Für die „Mission Olympia" hat bei den deutschen Hockey-Herren ein alter Bekannter in großer Not wieder das Kommando übernommen. „Goldschmied" Markus Weise soll die früheren Medaillenlieferanten durch die Play-offs zu den Sommerspielen 2020 in Tokio führen.
Olympia ohne die deutschen Hockey-Herren? Ohne die gefühlten Medaillenlieferanten? Was undenkbar erscheint, ist für die Stockartisten mittlerweile ein reales Schreckensszenario. In den Play-offs am ersten November-Wochenende in Mönchengladbach gegen Österreich droht dem viermaligen Olympiasieger eine Nervenschlacht um die letzte Chance auf die Teilnahme an den Sommerspielen 2020 in Tokio. Das Motto ist einfach: Hopp oder topp – nur der Sieger fliegt nach Nippon.
Die Voraussetzungen muten alles andere als gut an – könnten aber wiederum auch kaum besser erscheinen. Einerseits nämlich läuft das Team um den früheren Welthockeyspieler Tobias Hauke seit der Bronzemedaille beim Olympia-Turnier 2016 in Rio de Janeiro bei bedeutenden Turnieren vergeblich einer Podestplatzierung hinterher und verpasste dadurch zuletzt bei der EM im Sommer in Belgien auch die Direktqualifikation für Tokio. Zum anderen aber kehrte nach dem Rücktritt des glücklosen Bundestrainers Stefan Kermas niemand Geringeres als Markus Weise nach vier Jahren als „Nothelfer" für die Duelle mit der Alpenrepublik auf den Chefcoach-Posten bei den seit Rio in K.-o.-Spielen sieglosen „Honamas" zurück. Weise ist auch als „Goldschmied" bekannt, führte 2004 in Athen erst die deutschen Damen und danach 2008 in Peking sowie 2012 in London die Männer zu Olympiasiegen.
Rückstand auf die Weltspitze hin oder her: Kann unter der Regie des erfolgreichsten Hockey-Trainers der Welt überhaupt etwas schiefgehen? „Kann schon", meint Weise, stellt jedoch gleich mit größtmöglicher Entschlossenheit klar: „Aber wir werden nicht an Österreich scheitern." Von seinem Team ist der 56-Jährige, der 2015 kurzfristig ein Angebot des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zur Übernahme der Aufgaben eines Konzeptionsleiters für die künftige DFB-Akademie angenommen hatte und mit Abschluss des Projektes dem Ruf „seines" Hockey-Verbandes offenkundig auch nur allzu gerne wieder folgte, mindestens ebenso überzeugt wie von sich selbst: „In diesen beiden Spielen müssen wir mit voller Konzentration unseren Matchplan durchziehen. Die Jungs sind intelligent genug, dass sie das nicht unterschätzen werden. Deshalb glaube ich nicht nur, sondern ich weiß, dass wir es schaffen werden. Das Potenzial ist da, man muss es nur auf die Wiese bringen. Wir müssen wieder lernen, Entscheidungsspiele zu gewinnen, und werden knallhart daran arbeiten, dass wir uns qualifizieren."
„Er hat die höchste fachliche Expertise"
Die zukunftsweisende Bedeutung des Prestige-Duells mit den international zweitklassigen Österreichern ist Weise, der nach den Play-offs als Leiter des neuen Bundesstützpunktes in Hamburg weiter großen Einfluss auf die Entwicklung zahlreicher Spieler haben wird, nur zu sehr bewusst. „Für das deutsche Hockey ist das eine extrem wichtige Aufgabe", meint der gebürtige Mannheimer und bezieht dabei ein positives Ergebnis in Tokio gleich ein: „Für den Verband ist es überlebenswichtig, dass wir nicht nur an Olympia teilnehmen, sondern auch erfolgreich teilnehmen."
Tatsächlich lebt die Anerkennung des Hockey-Sports hierzulande von Olympia. Nur bei dem Mega-Event rückt der Sport alle vier Jahre in den Fokus der Medien und konnte sich dadurch – dank Weises Erfolgen – seit den Sommerspielen 2004 in Athen kontinuierlich im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankern. Die Olympiamedaillen in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten haben diesen Effekt nur noch verstärkt.
Beim Deutschen Hockey-Bund (DHB) setzt Sportdirektor Heino Knuf zunächst einmal alle Hoffnung auf den erfahrenen Erfolgstrainer: „Markus bringt alles mit, was man für solch ein wichtiges kurzfristiges Engagement braucht. Er kennt die Mannschaft bestens, kennt das Umfeld des Teams und hat die höchste fachliche Expertise, die ich mir vorstellen kann." Sogar die momentan knifflige Situation ist Weise nicht unbekannt. Schon 2007 kurz nach seinem Wechsel vom Damen-Team zur Herren-Mannschaft verpasste seine beim „kleinen Sommermärchen" im Jahr zuvor im eigenen Land zum Weltmeister gekürte Mannschaft die direkte Qualifikation für das Olympiaturnier, musste sich durch ein forderndes Ausscheidungsturnier quälen – und gewann 2008 in Peking Olympiagold.
Zurück in die Zukunft lautet also die Parole. Doch für eine Wiederholung der Geschichte sieht Weise trotz aller Eigenmotivation („Ich habe voll Bock auf das Projekt") das Nationalteam nicht reif genug – jedenfalls noch nicht. Nach den Play-offs „müssen ganz viele Hausaufgaben erledigt werden, denn es gibt einen Rückstand auf die absolute Weltspitze. Wenn wir nicht als Touristen in Tokio antreten wollen, müssen wir noch in diesem Jahr beginnen, den Rückstand aufzuholen", blickte Weise schon auf die Wochen nach den Showdowns in Mönchengladbach nach vorne.
Schwächen „in aller Klarheit besprechen"
Zur „Aufholjagd" aber wird Weise schon nicht mehr selbst blasen. Eine Verlängerung seiner Bundestrainer-Tätigkeit bis Tokio kommt für den Familienvater keinesfalls infrage. „Ich habe das insgesamt 15 Jahre gemacht – und bin gefühlt 30 Jahre gealtert. Ich will nicht zurück in meine alte Rolle. Da bist du Einzelkämpfer und hast keinen, mit dem du auf Augenhöhe diskutieren oder den du fragen kannst. So etwas könnte ich mir künftig nicht mehr vorstellen. Eine Rolle an der Mannschaft ja, aber die alte Rolle kommt nicht in Betracht", erläutert Weise seinen offenbar unverrückbaren Standpunkt.
Wenn Weise sich also nicht noch eines anderen besinnen sollte, muss der DHB also neben den sportlichen Problemen auch noch eine immens wichtige Personalfrage klären. Allerdings könnte sich auch auf dieser Ebene Geschichte wiederholen: Wie schon vor vier Jahren nach Weises Wechsel zum DFB könnte der heutige Hallen- und U21-Bundestrainer Valentin Altenburg das wichtigste Traineramt im Verband übernehmen. Als Interimscoach hatte der Hamburger die DHB-Herren 2016 zu Olympiabronze und damit zum bislang letzten größeren Erfolg auf internationaler Bühne geführt, ehe Kermas übernahm. Altenburg machte jedenfalls schon Anfang Oktober kurz nach der Bekanntgabe von Weises „Retteraktion" keinen Hehl aus seinen Ambitionen. „Ich möchte sehr gerne wieder Feld-Bundestrainer werden und die Jungs zu Olympia 2024 in Paris führen, und auf dem Weg dahin liegt Tokio", sagte der 38-Jährige selbstbewusst. Seine momentanen Aufgaben sieht Altenburg auch nicht als Ausschlusskriterium: „Dass ich jetzt Hallen-Bundestrainer bin, ist kein Signal, ob ich Feld-Bundestrainer werde oder nicht."
Ob Altenburg oder ein anderer: In jedem Fall darf der künftige Bundestrainer auf die Unterstützung seines Interims-Vorgängers Weise zählen. Denn bereits nach seinem Abschied vom DFB hatten Knuf und seine Kollegen beim DHB mit der Trainer-Ikone eine Mitarbeit im sogenannten Steuerungsteam für Tokio vereinbart. „Ich bin gerne bereit, den Neuanfang mitzugestalten", sagte Weise zum Umfang seiner Tätigkeit.
Damit dieser Neuanfang nicht an einem Tiefpunkt und in der Rolle des Olympia-Zaungastes beginnen muss, will Weise bis zu den Tagen der Wahrheit in Mönchengladbach kurzfristig an den offenkundigen Schwächen feilen. Ein Schwerpunkt dürfte dabei sicherlich die notorische Strafecken-Schwäche der vergangenen Monate sein, und auch andere Erkenntnisse aus der EM-Pleite in Belgien will Weise „in aller Klarheit besprechen". Übertreiben will Weise seine Kritik jedoch auch nicht: „Wir machen uns nicht kleiner, als wir sind."
Sorgen um seinen exzellenten Ruf macht sich Weise auch für den Fall eines Misserfolgs gegen Österreich überhaupt nicht. „Es würde mich null kratzen, wenn an meinem Denkmal ein Arm abfällt. Ich brauche nämlich kein Denkmal, sondern nur eine gute Mannschaft", sagt Weise und fügt demonstrativ hinzu: „Die haben wir auch."