Berlins große Heizkraftwerke werden mit Kohle und Erdgas betrieben. Von der Kohle will man weg, aber erst 2030. Auf Erdgas setzt man weiter. Bis dahin wird schon mal diskutiert – und „beteiligt".
Zum Beispiel Kopenhagen" – der Zwischenrufer ist offenbar gut informiert, aber mit den internationalen grünen Vorbildern wie der dänischen Hauptstadt will sich Berlin dann doch nicht messen. Die Berliner Umweltsenatorin Regine Günther (Grüne) und das Unternehmen Vattenfall haben in die Kalkscheune, eine in der Berliner Polit-Szene beliebte Location, geladen, um über den Kohleausstieg Berlins zu reden. Wer zeige denn sonst mehr Ehrgeiz als Berlin, lautete die rhetorische Frage ans Publikum. Die Hauptstadt will klimafreundlich werden, hat sich hohe Ziele gesetzt. Während beim Thema Autoverkehr ein Fortschritt schwer ist, weil da über eine Million Autofahrer mitmachen müssen, setzt Berlins Umweltsenatorin nun ganz auf den mit Abstand wichtigsten Einzelakteur beim Thema: Dem Unternehmen Vattenfall gehören das größte Fernwärmenetz Europas und die großen Kraftwerke in der Stadt dazu. Damit ist das Unternehmen mit Abstand der größte Einzelverursacher von CO₂- und anderen Abgasen in Berlin – aber damit heizt er auch über eine Million Wohnungen. Nirgends sonst hat man jemanden, wo man mit einem einzigen Partner so viel erreichen kann. Verständlich, dass die Senatorin sich um Vattenfall bemüht. Und Berlin will viel erreichen: Klimahauptstadt wolle man sein, heißt es sogar.
Senatorin Günther und die Chefin der Fernwärmesparte von Vattenfall, Tanja Wielgoß, sind auf der Abendveranstaltung inhaltlich fast ein Herz und eine Seele. Beide beteuern, sie wollen von der Kohle wegkommen. Die Senatorin und Vattenfall haben gemeinsam bei einem Beratungsunternehmen eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: Der Kohleausstieg in Berlin ist tatsächlich machbar. Immerhin. Für Berlin ist das schon mal etwas – vermutlich allerdings stand dieses Ergebnis der Studie vorher schon fest. Berlin kann auf die Kohle verzichten, wenn dafür viel mehr Gebäude als bislang besser gedämmt werden, wenn die fünf großen Heizkraftwerke zum großen Teil mit Holzschnitzeln befeuert werden oder mit Strom aus Windkraft, und wenn nicht zuletzt die Wärme, die bei der Verbrennung des Berliner Mülls anfällt, besser genutzt wird als bislang schon.
Derzeit ist Berlin von der Kohle abhängig, wie kaum eine andere westeuropäische Großstadt. Zwar ist das letzte Braunkohlekraftwerk im Osten der Stadt vor zwei Jahren auf Erdgas umgestellt worden. Aber dennoch wird das Feuer in den fünf Steinkohlekraftwerken noch einige Jahre brennen, um Strom und Heizwärme zu erzeugen. Wenn man diese abstellen könnte, wären über zwei Millionen Tonnen CO² eingespart – von derzeit gut 16 Millionen Tonnen, die Berlin jährlich in den Himmel pustet. Immerhin. Das wäre der größte Einzelbeitrag eines Unternehmens überhaupt zum Ziel der Stadt, bis 2050 weitgehend klimaneutral zu sein. Das klingt ehrgeizig, ist aber eigentlich nur das, was Deutschland und die EU insgesamt auch sein wollen.
Erdgas statt Kohle ist nicht „fossilfrei"
Berlin und Vattenfall sind sich einig: Bis 2030 soll das letzte Kohlekraftwerk vom Netz, so hat es die Stadt Berlin per Gesetz beschlossen. Das muss Vattenfall also ohnehin. „Ganz fossilfrei in einer Generation" zu sein, verspricht Vattenfalls Berliner Wärme-Chefin darüber hinaus. Das ist das anspruchsvolle Ziel des Unternehmens, dessen Ehrgeiz auch mit seiner schwedischen Herkunft zu erklären ist. Fossilfrei würde aber bedeuten, dass dann auch kein Erdgas mehr verfeuert wird.
Kopenhagen könnte tatsächlich ein Vorbild sein. Nicht nur als Fahrradstadt, sondern auch als eine Stadt der nachhaltigen Heizung. In Kopenhagen sind 99 Prozent der Haushalte an die Fernwärme angeschlossen, die heißes Wasser für Heizung und Bad in die Häuser bringt und insgesamt eine Million Menschen versorgt, einschließlich vieler Bewohner des Speckgürtels. Kopenhagen setzt kaum noch auf Kohle, sondern vor allem auf die Nutzung der bei der Müllverbrennung entstehenden Hitze, auf Holzschnitzel und auch (noch) auf Erdgas. In Berlin, mit 3,6 Millionen Einwohner etwa sechsmal so groß wie Kopenhagen, sind jedoch nur etwa
30 Prozent der Haushalte ans Fernwärmenetz angeschlossen. Der Rest hat vor allem Erdgas- und Heizölheizungen. Diese Konkurrenz macht den Umstieg schwieriger.
Der Abschied von der Kohle wird nicht einfach. Darum muss man werben, Verständnis schaffen, Akzeptanz für die künftigen höheren Kosten. Und man will erst mal Ideen von außen sammeln. Darum jetzt die Studie, die in einem „beispielhaft transparenten und partizipativen Prozess" entstanden ist, unter Beteiligung der sogenannten Stadtgesellschaft, sowie von anderen Unternehmen und Wissenschaftlern. Dieser Prozess sei angeblich etwas völlig neues, das Unternehmen habe sich der Diskussion gestellt, es sei kein anderer Fall bekannt, wo das so geschehen ist, hieß es auf der Veranstaltung.
Natürlich lässt sich Vattenfall nicht einfach so reinreden bei milliardenschweren Entscheidungen über die Zukunft des Unternehmens. Ganz so ist „Partizipation" auch nicht gemeint. Julia Epp, die für den Umweltverband BUND im „Begleitkreis" beteiligt war, deutet an, dass sie zwar recht gut informiert wurde, aber viel Einfluss hatte sie denn doch nicht. So bleibt der Eindruck, diese Beteiligung dient vor allem dem besseren Verhältnis zu den potenziellen Kritikern, aber am Ende entscheidet Vattenfall doch allein. Aber „Beteiligung" ist in. Man sammelt Ideen, bindet Kritiker ein und schafft positive Stimmung.
Höhere Heizkosten nach Kohleausstieg
Dabei könnte der Senat dem Unternehmen deutlich mehr vorschreiben. So könnte er festlegen, wie viel CO₂ Vattenfall noch in die Atmosphäre schicken darf. Das aber will der Senat nicht riskieren. Klar ist, dass der Kohleausstieg etwas kosten wird. Der Experte der Beratungsgesellschaft, die die Studie erstellt hat, hat ausgerechnet, dass für einen Durchschnittshaushalt mit einer 65-Quadratmeter-Wohnung die Heizkosten durch den Kohleausstieg bei Vattenfall um
147 Euro im Jahr teurer werden könnten, was gerade mal etwa zwölf Euro im Monat bedeuten würden. Im Vergleich zu anderen Ausgaben tatsächlich ein minimaler Betrag – wenn er richtig ist.
Viel spannender sind daher die weiterhin ungelösten Grundsatzfragen: Wer soll die nötige Wärmedämmung der Gebäude bezahlen? Denn nur, wenn in den Gebäuden viel weniger Energie gebraucht wird, lassen sich die ehrgeizigen Ziele erreichen. Senatorin Günther verweist hier auf die Bundesregierung, die diese Frage beantworten müsse – und angeblich bereits daran arbeitet. Und muss man als Ersatz für die Kohle auf das Erdgas setzen, ebenfalls ein fossiler Brennstoff? Antwort: Großenteils ja, aber mit der Hoffnung auf künftige grüne Alternativen wie Wasserstoff.
Julia Epp vom BUND kritisiert zudem, dass das neue Konzept so stark auf die Nutzung der Wärme in der Müllverbrennungsanlage in Berlin-Ruhleben setzt. Damit gebe es neue Abhängigkeiten, und man komme dem Ziel der Müllvermeidung in die Quere. Denn eigentlich will Berlin ja auch noch weg vom Müll. Das würde dann schwierig. Aber Tanja Wielgoß, die vor ihrem Job bei Vattenfall die Berliner Stadtreinigung BSR leitete, weiß, dass Müll doch immer anfällt und sowieso da ist. Warum ihn dann nicht gleich noch für einen anderen Zweck nutzen. Der Abschied von der Kohle wird eben nicht leicht.