„Eine Woche, ein Gewinner" – so lautet das verwirrende Motto des verwandelten Davis-Cup-Finales, das vom 18. bis zum 24. November in drei Madrider Hartplatz-Stadien mit Mannschaften ausgetragen wird.
Es geht mysteriös los: Das deutsche Team-Foto auf der Turnierseite www.daviscupfinals.com/teams zeigt dominant Alexander Zverev, außerdem den strahlenden Tim Pütz vom legendären Doppel-Duo „Tim und Struffi". Nur sind beide in Madrid nicht dabei. Die fotogenen Vorzeigespieler aus Zeiten des traditionellen Davis Cups werden beim reformierten Format des Nationenwettbewerbs im Madrider Tenniscenter mit dem zauberhaften Namen „Caja Mágica" (übersetzt: „Magische Box") keine Rolle spielen: Der eine will nicht, der andere darf nicht. Das Bild mit den Abwesenden ist ein Symbol für das zwiespältige Verhältnis von Stars und Legenden zum grundlegend verwandelten Traditionscup der Nationalmannschaften. Ebenso für die späte Datierung des Turniers, nach der anstrengenden Tour-Saison der Profispieler. So soll Jan-Lennard Struff, der „Struffi" des bisher immer erfolgreichen Davis-Cup-Doppels „Tim und Struffi", fürs Einzel geschont werden, statt an zwei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils Einzel und Doppel spielen zu müssen. Denn Jan-Lennard, die Nummer 41 der Weltrangliste, hat eine aufreibende Saison hinter sich und ist aktuell der beste deutsche Spieler nach Zverev, der schon frühzeitig abgewunken hatte. Zu Struffs potenziellen Gegnern aus Argentinien gehören starke Einzelspieler wie Diego Schwartzman, Guido Pella und Leonardo Mayer. Gegen Chile bekommen es Struff, Philipp Kohlschreiber und Dominik Koepfer beispielsweise mit Cristian Garin und Nicolas Jarry zu tun.
Leistung ist gefragt: Es geht nicht nur um den Titel der besten Mannschaft der Welt im legendären Davis Cup, der zumindest seinen Namen behalten hat. Auch wenn er in seinem 119. Jahr ziemlich nach Fußball-Großinszenierung schmeckt – der spanische Verteidiger Gerard Piqué ist Initiator der Reform und Teilhaber eines Unternehmensinvestors. Zusätzlich wird bereits jetzt um Plätze für die Finalwoche des kommenden Jahres gerungen, denn die vier Halbfinalisten von 2019 sind direkt wieder dabei.
Auch das ist neu: Statt wie früher vier über das Jahr verteilter Runden, gab es schon Anfang Februar eine Qualifikationsrunde, in der 24 Teams, darunter auch Deutschland, um zwölf Plätze im Finalturnier spielten. Sechs Nationen hatten ihren Platz bereits sicher. Wie der ausrichtende Weltverband ITF mitteilte, werde von 2020 an – unterhalb der Finalisten – eine Weltgruppe I sowie eine Weltgruppe II etabliert. Diese sollen die Gruppen I und II der regionalen Zonen Amerika, Asien/Ozeanien sowie Europa/Afrika ersetzen. Zwischen den Weltgruppen ist eine Auf- und Abstiegsregelung geplant.
Neulinge und Erfahrene
Die Tennisnation Deutschland hätte gern einen vierten Davis-Cup-Titel: Michael Kohlmann, deutscher Team-Kapitän, entschied sich deshalb strategisch geschickt bei der Nominierung des Doppels für die French-Open-Sieger Kevin Krawietz (ATP-Doppel 10) und Andreas Mies (ATP-Doppel 12). Neu im Team ist außer den beiden auch Dominik Koepfer, der sich vom unbekannten Collegespieler auf Rang 86 der ATP-Weltrangliste hochgearbeitet hat. „Dominik Koepfer, Kevin Krawietz und Andreas Mies haben sich durch ihre Leistungen, über das Jahr gesehen, die Nominierungen absolut verdient. Hinzu kommen mit Philipp Kohlschreiber und Jan-Lennard Struff zwei sehr erfahrene Spieler, sodass wir insgesamt eine sehr gute Mischung haben und ich mir sicher bin, dass wir wie in den letzten Jahren auch eine Superstimmung in der Mannschaft haben werden", begründete der Davis-Cup-Kapitän seine Entscheidung. Zuvor hatte Kohlmann die zur Auswahl stehenden Spieler auf den letzten Turnieren der Saison genauestens inspiziert. Das zahlte sich für Mies und Krawietz, die in Antwerpen ihren zweiten ATP-Titel holten und zuvor in New York das Halbfinale erreicht hatten, aus. Im Mai hatte das Duo bereits überraschend und souverän die French Open in Paris gewonnen, danach ein wenig geschwächelt. „Sicherlich ist es etwas Besonderes, mit drei Neulingen zu den Finals zu fahren. Aber es zeigt, dass jeder die Chance hat, ins Team zu kommen", räumte der 45-jährige Kapitän ein.
Vor allem dann, wenn die Nummer sechs der Weltrangliste nicht will. Alexander Zverev, genannt Sascha, hatte im Februar beim 5:0-Triumph über Ungarn noch kräftig mitgemischt, als sich Deutschland eines von 18 Tickets für den ersten reformierten Finalwettbewerb im November erkämpfte. Ein wenig hatte Kohlmann wohl gehofft, dass sich der deutsche Spitzenspieler doch anders besinnen und nach Madrid statt in den Urlaub auf die Malediven jetten würde. Doch es kam ganz anders. Sascha musste einmal mehr in dieser Saison dem Karriere-Management Tribut leisten. Sein rapider Bruch mit seinem früheren Management und die daraus folgenden Querelen und Belastungen bremsten häufig das Gewinner-Händchen des 22-Jährigen auf den Courts aus. Doppelfehler – anstelle von Assen in Massen – waren in diesem Jahr Zverevs Schicksal. Die Übergabe seiner Terminplanungen und Vermarktungsangelegenheiten im August an Federers Agentur Team8, die der Schweizer mit seinem Manager Tony Godsick gegründet hat, brachte Sascha einerseits Entlastung. Andererseits fand der gebürtige Hamburger eine unerwartete Saisonverlängerung in Chile, Kolumbien, Mexiko und Ecuador ab dem 19. November in seinem Kalender. Wenn auch nur mit Schaukämpfen und immerhin mit seinem Idol und Mentor Roger Federer als Show-Gegner. Mit noch so einem Tennis-Liebhaber, der keinen Hehl aus seinem Misstrauen gegenüber der Entkernung und kompletten Neugestaltung des Traditionswettbewerbs Davis Cup machte: „Ich bin traurig darüber, nicht mehr den Davis Cup zu haben, der er einmal war", sagte der Schweizer.
Federer zweifelt am neuen Modus
Zverev und Federer sind also nicht am Start in Madrids komfortablem Tennis-Stadion. Dafür die verbliebenen drei der revitalisierten Big Four, sofern ihre Gesundheit mitspielt. Novak Djokovic zählt mit dem serbischen Team zu den Favoriten auf den Jahressieg. Ebenso Rafael Nadal als Teamführer der Spanier, der frisch verheiratet in seiner Heimat antreten will. Andy Murray bescherte Großbritannien eine von zwei Wildcards für die insgesamt 18 Mannschaften.
Die rastlose Frische ist wieder da bei Sir Murray aus Schottland, der vor seiner Hüftoperation im Januar seine Einzelkarriere eigentlich schon beendet sah. Doch jüngst in Antwerpen, wo er einst den Davis Cup für sein Land geholt und zum Helden geworden war, schnappte der eigenwillige Spieler mit einem Stück Metall in der Hüfte dem Schweizer Stan Wawrinka den Turniertitel in drei Sätzen gnadenlos weg. „Einer der größten Siege, die ich je hatte. Ich bin sehr stolz", sagte er anschließend. Aus den Top 900 hat sich die ehemalige Nummer eins der Welt über ein Challenger und Antwerpen wieder in die Top 200 vorgespielt. Eine weitere Herausforderung sieht der 32-Jährige gerade auf sich zukommen, nachdem er die Schmerzen besiegt hat und das Karriereende verschieben konnte: „Bald habe ich drei Kinder unter vier Jahren. Und ich bin immer unterwegs, habe sie nicht unter Kontrolle."
Mehr Spaß als Kampf und trotzdem kein Urlaub steht für Deutschlands besten Spieler zur Davis-Cup-Zeit an. Zwischen 11.000 und 40.000 Zuschauer werden für die vier Showevents erwartet, bei denen sich Zverev und Federer in großer Inszenierung duellieren: In Mexiko sogar in einer Stierkampfarena.
Wie groß das Interesse des Publikums an der fast zeitgleichen Davis-Cup-Finalwoche in Spanien sein wird, wo der Center Court etwa 12.000 Menschen fasst, wird sich zeigen. Am Tag, nachdem die Nationen ihre Aufstellung endgültig benennen mussten, etwa einen Monat vor der Premiere des neu gestalteten Events an zentralem Ort in Madrid, gab es noch reichlich Tickets. So auch für das erste Kräftemessen der Deutschen am 20. November ab 11 Uhr gegen Argentinien in der Gruppe C. Für 25 bis 45 Euro, streng sortiert nach Bereichen, die den Fans der einen oder anderen Nation im knapp 3.000 Zuschauer fassenden Stadion zwei zugedacht waren. Immerhin die Schüler, die am Buß- und Bettag freihaben, können vor den heimischen Fernsehern oder auf ihren Smartphones beim Streamingdienst DAZN die Matches sehen. Am nachfolgenden Donnerstag treten Struff, Kohlschreiber, Koepfer, Mies und Krawietz am gleichen Ort zur gleichen Zeit gegen Chile an. Jeweils zwei Einzel und ein Doppel sind an einem Tag zu spielen. Die Zahl der gewonnenen Sätze entscheidet mit über den Einzug ins Viertelfinale. Die sechs Gruppensieger und die beiden besten Gruppenzweiten qualifizieren sich für die K.o.-Runde.
Lohnen sich die Investitionen? Von drei Milliarden Dollar über den Zeitraum von 25 Jahren an den Weltverband ITF war während der Abstimmungsrunde die Rede, die somit dazu beigetragen hätten, dass aus der „Magischen Box" von Madrid ein rundum reformierter Davis Cup gezaubert wurde. Für 50 bis 450 Euro konnte man sich am 22. Oktober problemlos ein Ticket fürs Halbfinale am Samstag holen. Selbst für das Finale am Sonntag gab es noch reichlich Auswahl für Plätze, die zwischen 100 und 500 Euro kosteten. Beim Blick in die magische Box werden wir sehen, ob eine Fortsetzung der Zaubershow 2020 folgt.