Einer der größten Sportstars der vergangenen Jahre wechselt die Sportart: Die frühere Skijägerin Laura Dahlmeier startet bei der Berglauf-WM in Argentinien.
Garmisch-Partenkirchen – Laura Dahlmeier und die Berge, das war schon immer eine große Liebe. Schon als Kind und erst recht als gefeierter Biathlon-Star nahm sich die Bayerin beim Klettern immer wieder Auszeiten vom Alltag. „Ich liebe das Gefühl, das ist eine Art von Freiheit", sagte Dahlmeier einmal über die Faszination: „Es ist ein befreiendes Gefühl auf dem Gipfel. Oder wenn man wieder im Tal unten ist und sich die Wand noch mal anschaut: ‚Das habe ich geschafft, mit eigener Kraft.‘ Ich bin bergsüchtig."
Für ihre geliebten Berge kehrt die 26-Jährige nun sogar in den Leistungssport zurück. Noch mal auf Skiern an den Füßen und mit einem Gewehr auf dem Rücken dem x-ten Titel nachjagen, das kam für sie nicht infrage. Als sie vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) aber für die Langstrecken-Weltmeisterschaften im Berglauf (15. und 16. November) nominiert wurde, zögerte Dahlmeier nicht lange und sagte zu.
„Es freut mich wahnsinnig, dass ich dabei sein kann. Das ist für mich etwas ganz Besonderes", sagte die zweifache Biathlon-Olympiasiegerin dem SID. Dahlmeier liebt neue Herausforderungen, und wenn sie diese auf einem Berg angehen kann – umso besser! Bei der Berglauf-WM im argentinischen Villa la Angostura muss sie eine Distanz von 41,5 Kilometer und einen Höhenunterschied von 2.184 Metern bewältigen.
Natürlich kommt Dahlmeier nicht nur wegen ihres großen Namens zu der Nominierung, sie hat sie sich sportlich verdient. Nach ihrem Rücktritt im vergangenen Mai nutzte Dahlmeier die freie Zeit, um viel in den Bergen zu laufen. Und sie wurde immer besser und schneller. Aus Spaß, aber auch, um sich ein wenig zu testen, nahm die langjährige Biathlon-Dominatorin an zwei Wettkämpfen teil. Einen davon, der Zugspitz Basetrail XL über 38,7 Kilometer von Mittenwald nach Garmisch-Partenkirchen, gewann sie auf Anhieb. Nach 4:15:38 Stunden. Da es zugleich ein offizieller WM-Qualifikations-Wettkampf war, startet Dahlmeier nun auch bei der WM in den argentinischen Anden, unweit der chilenischen Grenze.
Hartes Training in den Bergen
Es habe sich „alles mehr oder weniger zufällig ergeben", sagte Dahlmeier, die vor zu hohen Erwartungen bei ihrer WM-Premiere auf ungewohntem Terrain warnt. Sie könne „nicht die gleichen Ambitionen wie bei einer Biathlon-WM haben, wo ich immer auf Sieg gelaufen bin", betonte die siebenmalige Weltmeisterin: „Für mich geht es auch um das Erlebnis. Ich möchte da schon ohne Druck rangehen."
Dass die ehrgeizige Athletin diese Vorgabe selbst einhält, darf bezweifelt werden. Dahlmeier gilt als extrem erfolgshungrig und wettkampfstark, und deshalb nimmt sie die Herausforderung auch an: „Ich bin schon so weit noch Sportlerin, dass ich alles gebe, wenn ich die Startnummer anhabe."
Im DLV freut man sich über den prominenten „Neuzugang", plötzlich bekommt die hierzulande kaum beachtete Berglauf-WM einen ganz anderen Stellenwert in der Öffentlichkeit. Man freue sich, „so eine fantastische Sportlerin wie Laura im Team zu haben. Sie ist nicht nur eine gute Läuferin, sondern auch eine gute Kletterin", sagte DLV-Berglauf-Berater Kurt König.
Innerhalb des Verbandes traut man der Umsteigerin viel zu. „Sie hat eine außergewöhnliche Grundlagenausdauer und ist eine Wettkämpferin", sagte DLV-Generaldirektor Idriss Gonschinska. Er würde Dahlmeier gerne länger an den Verband binden, „aber ich kenne ihre individuellen Nach-Karriereziele nicht".
So ganz konkret kennt diese wohl Dahlmeier selbst nicht. Nach dem Ende ihrer erfolgreichen Biathlon-Karriere probierte sie sich in vielen Dingen aus, sie widmete sich ihren Hobbys und dem Naturschutzprojekt „Protect the alps", und sie schrieb sogar ein Kinderbuch. In „Laura und die KlimaGang" gehe es darum, „junge Menschen zu motivieren, etwas für unsere Welt, für unsere Natur zu tun", erklärte Dahlmeier.
Die Biathletin schrieb sogar ein Kinderbuch
Der Klimaschutz ist der Garmisch-Partenkirchnerin ein sehr großes Anliegen. „Die Auswirkungen des Klimawandels entdecke ich täglich hier vor meiner Haustür", schrieb Dahlmeier im Vorwort zu ihrem Buch, „die Gletscher der Zugspitze schmelzen jeden Sommer etwas mehr, und zwei von ihnen könnten innerhalb der nächsten Jahrzehnte ganz verschwinden." Dahlmeier bildete sich aber auch auf anderen Gebieten fort. An der Technischen Universität in München begann sie ihr Sport-Studium, „um etwas für den Kopf zu tun". Die Theoriestunden sind eine große Herausforderung für den Bewegungs-Menschen Dahlmeier: „Es fällt mir da gar nicht so leicht, den ganzen Tag still zu sitzen." Parallel fing die einstige Skijägerin mit der B-Trainerausbildung an, womöglich landet sie irgendwann doch wieder im Biathlon. Dort, wo sie zweimal Gold und einmal Bronze bei den Olympischen Spielen 2018 sowie 15 WM-Medaillen – davon sieben in Gold – gewonnen hat. Momentan sei ein Einstieg beim DSV aber keine Option, sagte Dahlmeier.
Eine Rückkehr als aktive Biathletin wird es dagegen geben – als absolute Ausnahme. Am 28. Dezember bestreitet sie im Rahmen der World Team Challenge in der Schalke-Arena an der Seite des zweimaligen Weltmeisters Erik Lesser ihr Abschiedsrennen. „Darauf freue ich mich sehr", sagt sie, „ich könnte mir keinen besseren Rahmen für meinen Abschied vorstellen."
Und mit welchen Ambitionen geht sie an den Start? Sie werde „sicher nicht rückwärts über die Strecke stolpern", scherzte Dahlmeier und fügte an: „Ich habe festgestellt, dass ich ganz gut gerüstet bin für Schalke." Danach wird es die Biathletin Dahlmeier nicht mehr geben, so viel steht fest.
Dafür vermisst die Bayerin den Sport zu wenig – und das ganze Drumherum erst recht nicht. „Ich bin viel freier unterwegs, kann ungezwungen das machen, was ich will", sagt sie.
Ursprünglich wollte Dahlmeier sich „ein Jahr lang" keine Biathlon-Rennen mehr anschauen, geschweige denn selbst die Langlaufskier und das Gewehr auspacken. „Ich hatte keinen Nerv mehr dafür", berichtete sie. Nachdem ihre einstige Teamkollegin Maren Hammerschmidt sie im Sommer aber angerufen und zu einer Einheit auf Skiroller überredet hatte, wuchs der Wunsch nach dem Abschiedsrennen. Zuvor gilt ihr ganzer sportlicher Fokus aber der Berglauf-WM. Die langjährige Leistungssportlerin, die in ihrer Karriere zahlreiche Medaillen und Podestplätze eingefahren hat, will sich dort keinem Erfolgsdruck beugen. Nicht von außen, nicht von sich selbst. Der „Erlebnisfaktor" stehe klar im Vordergrund, betont Dahlmeier.
Wunsch nach einem Abschiedsrennen wuchs
Die leidenschaftliche Kletterin war im Sommer 2017 schon zur Olympia-Vorbereitung auf einer Berg-Tour in Südamerika gewesen. „Als ich hörte, dass die WM in Patagonien in den Anden stattfindet", sagt Dahlmeier, „war das für mich eine doppelte Motivation." Bei ihrer ersten Kletter-Tour in den Anden habe sie „auch einen 6.000er" bestiegen, „ich habe Erfahrung mit der Höhe, dem Kontinent und den Menschen vor Ort". Die genauen Bedingungen in Villa la Angostura kennt sie aber natürlich noch nicht. „Ob es besonders schroff oder felsig oder schneereich ist, davon muss ich mich selbst überraschen lassen", sagt Dahlmeier. Sie habe aber gehört, dass der vergangene Winter in Argentinien sehr schneereich gewesen sei, „es kann sein, dass wir noch auf das ein oder andere Schneefeld treffen." Aber mit Schnee, scherzt Dahlmeier, „habe ich ja bekanntermaßen keine Probleme."
Mit welcher Taktik sie das Rennen, das vier bis fünf Stunden dauern dürfte, bestreitet, weiß Dahlmeier nicht. Bei solch langen Rennen sei es wichtig. „vom Kopf her cool zu bleiben und seinen eigenen Rhythmus zu finden". Auch hier könnte ihr ihre Erfahrung aus dem Biathlon entgegenkommen: „Ich war schon immer die Sportlerin, die nicht zu schnell angeht."
Einen internationalen Vergleich mit den besten Bergläuferinnen der Welt hat Dahlmeier bislang nicht. Sie müsse schauen, ob sie das Tempo mitgehen könne. Doch eines ist gewiss: Die Konkurrenz wird auch auf sie achten. Der einstige Biathlon-Weltstar verspricht: „Ich werde mich zu 100 Prozent reinhängen."
Und wenn Dahlmeier sagt, sie sei „als Sportlerin relativ fit für so etwas", und dass sie „natürlich noch sehr von dem Training und den Wettkämpfen der letzten Jahre" profitiere, dann sollten die etablierten Bergläuferinnen gewarnt sein. Zumal Dahlmeier es als „große Motivation" ansieht, sich „auf einem anderen Kontinent mit den Besten der Welt des Trail-Runs messen zu dürfen".
Und noch ein Schuss Extra-Motivation nimmt Dahlmeier auf ungewohntem Terrain mit auf den Weg. Die Frau, die so oft nach siegreichen Biathlon-Rennen die Nationalhymne für sich hat spielen gehört, will auch für ihr Land so schnell wie möglich den Berg hochlaufen: „Deutschland international vertreten zu dürfen, ist immer etwas sehr Besonderes."