Europas Liberale strotzen derzeit vor Selbstbewusstsein. Die Wahl vor wenigen Wochen hat ihnen einiges an Machtzuwachs gebracht. Das zeigte sich einmal mehr bei ihrem Jahreskongress in Athen.
Mit einem energischen Slogan haben die europäischen Liberalen einen neuen Kurs auf dem politischen Spielfeld des Kontinents eingeschlagen: „Mission is possible – Renaissance of Liberalism!" lautet die Botschaft. Sie ist Aufruf und Hoffnung zugleich: Ja, der Kampf um Freiheit ist in Zeiten des Autokratentums weiterhin möglich. Und ja, gerade wegen der Gleichschaltungsversuche und Rechthabern von Trump über Erdogan bis zu Orbán und Putin ist jetzt als Gegenbewegung ein Comeback für Individualität, Ideenreichtum und Aufbruch fällig.
Der neue Spirit war beim 40. Jahreskongress des paneuropäischen Bündnisses Alde-Partei (Allianz liberaler und demokratischer Parteien) in Athen spürbar. Immerhin: Man stellt inzwischen zusammen mit Emmanuel Macrons Partei La République en Marche die drittgrößte Fraktion des Europäischen Parlaments. Das ist ein großer Erfolg, hatte der Franzose die Liberalen mit seinem Heiratsversprechen doch lange hingehalten:
Hans van Baalen aus den Niederlanden, der wiedergewählte Alde-Präsident, betonte angesichts des Machtzuwachses erfreut, nun sei das seit EU-Bestehen andauernde Duopol der Konservativen und Sozialisten im Europäischen Parlament endlich gebrochen worden. Liberale seien jetzt mächtig. Sie hätten beste Möglichkeiten, die Zukunft der europäischen Politik aktiv zu gestalten: „Lasst uns einzigartig sein und gemeinsam vorankommen!"
Die Liberalen sind deshalb so zufrieden, weil sie künftig in Brüssel zwei Schlüsselposten besetzen. So wird der belgische Ministerpräsident Charles Michelle als Nachfolger von EU-Ratspräsident Donald Tusk künftig die EU-Staats- und Regierungschefs koordinieren. Und die taffe Dänin Margrethe Vestager soll nach ihrem bisherigen Mammutjob als Wettbewerbskommissarin politisches Multitasking betreiben: Der heimliche Europastar der Liberalen wird Vize von Kommissionschefin Ursula von der Leyen und ist zugleich zuständig für Industrie und Digitalisierung. Außerdem werden Liberale bei den Ressorts Justiz, Energie, Verteidigung, Werte und Krisenmanagement mitmischen.
Gleich vier neue Länder dabei
Da war es für van Baalen ein i-Tüpfelchen, dass er Nachwuchs für seine Familie vermelden konnte. Mit der Aufnahme von Parteien aus Lettland, Litauen, Montenegro und Bosnien und Herzegowina haben die Liberalen gleich vier neue „Babys" aus ehemaligen Ostblock-Ländern adoptiert. Damit umfasst die 1979 vom damaligen FDP-Vorsitzenden Martin Bangemann mit sieben Mitmachern initiierte Allianz bereits 67 Mitstreiter auf einem Gebiet von Baku bis Berlin und von der Atlantikrepublik Island bis zum Mittelmeerstaat Malta.
Neben dem „Sich-selbst-auf-die-Schulter-Klopfen" betätigten sich die europäischen Liberalen in Athen auch inhaltlich. Die gut 500 Delegierten rangen leidenschaftlich um zahlreiche Resolutionen zu aktuellen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen. Schwerpunkte: die Zukunft der Europäischen Union etwa nach dem Brexit, der Klimawandel und Herausforderungen der Digitalisierung.
Beim Digitalen – einem der zentralen Felder der neuen EU-Kommission – fordert die Alde-Partei klare Weichenstellungen für innovative Programme bei Gesundheit, Bildung sowie Information und Kommunikation. Vestager mahnte nichtsdestotrotz an, unkontrollierbare Datenkraken zu vermeiden und Persönlichkeitsschutz zu bewahren: „Sonst spielen wir mit der Menschheit." Insbesondere bei der Schlüsseltechnologie Künstliche Intelligenz müsse man „vertrauenswürdige" Datenverarbeitung bieten – genau das könne Europa von China unterscheiden.
Dass sich die Liberalen in Athen wieder besonders für Freiheit, Menschenrechte und Rechtsstaat einsetzten, gehört zu ihrer DNA. Aus dem Rahmen fiel dieses Mal aber ein kurzer Auftritt des im Exil lebenden kambodschanischen Oppositionsführers Sam Rainsy. Kurz vor der Büfetteröffnung bei der Parteitagsparty kündigte der Vorsitzende der Nationalen Rettungspartei (CNRP) an, am 9. November in seine Heimat zurückzukehren: „Sie sehen mich heute das letzte Mal als freien Mann, denn bald werde ich verhaftet oder Schlimmeres." Da blieb manchem Delegierten die Lust auf einen Souflaki-Bissen im Halse stecken. Zumindest kurzzeitig.
Auf jeden Fall richtete die lakonische Ankündigung aus dem autoritär und korrupt geführten Kambodscha den Blick der Delegierten und Gäste darauf, dass Liberalismus anderswo in der Welt nicht renaissancemäßig wiedergeboren werden kann, weil er noch nie die Chance hatte, überhaupt erst das Licht der Welt zu erblicken. In diesen Regionen liegt das Freiheitsversprechen des Liberalismus anders als in Europa höchstens in den Wehen. Und manchmal ist es sogar nicht einmal zur Befruchtung gekommen.