Nachdem jahrelang ständig von einem Niedergang des Kopfputzes die Rede war, haben diesen Winter auffallend viele renommierte Damenmode-Labels den Hut als trendiges Mode-Accessoire wiederentdeckt.
Eigentlich hätte sich die „Vogue" in ihrer noch immer unbestrittenen Funktion als weltweite Fashion-Meinungsmacherin längst dafür einsetzen müssen, den Hut auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Modeaccessoires setzen zu lassen. Hat sie aber nicht getan, sondern nur hilflos dem bereits in den 60er-Jahren rasant einsetzenden Niedergang der klassischen Kopfputz-Kultur zugesehen. Mit dem Siegeszug des auf Bequemlichkeit ausgelegten Athleisure-Looks hatten traditionelle Kopfbedeckungen endgültig ausgedient. Denn wer wäre schon auf die Idee gekommen, zum sportiven Freizeit-Outfit aus Sneakers, Jogginghosen oder Leggins einen unpassenden Hut zu tragen? Wer sein Haupt dennoch cool schmücken wollte, griff allenfalls zu Beanies, Baseballmützen oder neuerdings auch zu Sturmhauben.
Früher war der Hut ein Gebrauchs-Gegenstand
Das Thema Hut fand nur noch in den Klatschspalten der Boulevard-Blätter statt, wo zum Amüsement der Leserinnen die wagenradgroßen Ungetüme der vornehmen britischen Ladys von den legendären Rennbahnen wie Ascot präsentiert wurden. Das Brexit-Land kann überhaupt als eines der weltweit letzten Hut-Reservate angesehen werden. Nicht zuletzt dank der längst zur Stilikone aufgestiegenen Herzogin Kate, deren diverse mit Pailletten, Perlen oder Federn geschmückte Fascinators selbst unter jungen Frauen inzwischen viele Bewunderinnen gefunden haben.
Es gab allerdings auch Zeiten, da war der Hut ein gleichsam unabdingbarer Bestandteil der Garderobe, bei den Damen ebenso wie bei den Herren. Bis Ende der 50er-Jahre ging keine Lady ohne Hut, Handschuhe oder Schirm auf die Straße. Die Kopfbedeckung wurde keineswegs als modisches Statement oder als hübsches Accessoire verstanden, sondern als alltäglicher Gebrauchsgegenstand. Im Kultfilm „Casablanca" aus dem Jahr 1942 beispielsweise ließ sich Ingrid Bergman alias Ilsa Lund behütet von dem Borsalino tragenden Humphrey Bogart alias Rick Blaine in die Augen schauen. Die berühmte Flughafenszene dürfte Regisseur und Kameramann seinerzeit einige Probleme bereitet haben, weil Bergmann den gerade mal 1,73 Meter großen Bogart etwas überragte und der Hut bei beiden einige zusätzliche Zentimeter hineingeschummelt hatte. Denn der Hut verleiht dem Träger optisch eine Silhouettenverlängerung gen Himmel.
Nur scheinbar hatte Bergman übrigens in „Casablanca" einen Männerhut aufgesetzt. Denn der aus Filz gefertigte Fedora, der später zum Markenzeichen der US-Mafiosi und mit kleinerer Krempe auch als Trilby bekannt werden sollte, wurde ursprünglich von der Pariser Theaterschauspielerin Sarah Bernhardt 1882 in ihrer Rolle als Prinzessin Fédora Romanoff populär gemacht. So wurde er von den Vorreiterinnen der frühen Frauenbewegung zu einem ihrer äußerlichen Markenzeichen erhoben. Dass der klassische Hut ab den 60er-Jahren von der modischen Bildfläche verschwand, hatte verschiedenste Gründe. Zum einen wollte sich die rebellierende Jugendbewegung ganz bewusst von allem Tradierten und Gestrigem distanzieren. Zum anderen waren in der Damenwelt dank Brigitte Bardot oder Farah Diba hochtoupierte Frisuren mit reichlich Volumen im Glamour-Look angesagt, über die beim besten Willen nicht auch noch eine Kopfbedeckung gestülpt werden konnte. Last but not least erlaubten die immer schnittigeren Automodelle mit stetig niedriger werdenden Dächern keinen in die Höhe ragenden Kopfputz mehr.
Mit einem Schlag den kompletten Look verändern
Umso überraschender, dass diesen Winter gleichsam aus dem Nichts ein Comeback des Damenhutes eingeleitet worden ist. Davon hat allerdings so gut wie niemand richtig Notiz genommen, mit Ausnahme der „Neuen Zürcher Zeitung", die gleich in zwei Beiträgen unter den Headlines „Endlich wird wieder Hut getragen!" und „Diese Saison wird Hut getragen" auf den neuen Trend aufmerksam gemacht hat. Wir können uns diese Hut-Renaissance dadurch erklären, dass wichtige Designer dem Athleisure-Look zumindest diesen Winter eine Atempause verpasst haben und dem kopfschmückenden Accessoire im Zuge der derzeit zu beobachtenden Rückbesinnung auf elegant-feminine Mode wieder neue Aufmerksamkeit schenken möchten. Hilfreich dürfte dabei auch sein, dass die aktuell dominierenden Styles in der Haarmode wie Pagenschnitt oder Pony ideal mit Hüten kombiniert werden können. Auch zu längerem Haar lassen sich die neuen Modelle super tragen, am besten sieht das aus, wenn der Anschein erweckt wird, dass der Hut ohne viel Federlesen oder Aufwand einfach nur ganz lässig auf dem Kopf platziert worden ist. Grundsätzlich kann jede Frau Hut tragen. Allerdings sollte berücksichtig werden, dass Damen mit rundlichem Kopf eher zu einem nicht zu großen Modell mit ausladenden Krempen greifen sollten und nur Ladys mit schmalerem Kopf frei nach ihrem Geschmack aus dem vollen Hutregal schöpfen können. Das Tolle am Hut ist, dass er zwar ein vergleichsweise einfaches Accessoire ist, aber dennoch mit einem Schlag den gesamten Look komplett verändern kann.
Vor ein, zwei Jahren war schon ein kleiner Vorgeschmack des aktuellen Hut-Revivals zu bemerken. Auffällig war damals, dass die Damen, darunter vor allem auch jüngere Ladys, eine deutliche Vorliebe für eher maskuline Hüte wie Fedora, Trilby oder Schlapphut beziehungsweise Flapper gezeigt hatten, die mithilfe kleinerer Details wie Federn, Schleifen oder Bommeln feminin abgewandelt waren.
Hierzulande schlug sich aber auch der Erfolg der Fernsehserie „Babylon Berlin" in einer verstärkten Nachfrage nach Glockenhüten nieder, die schon in den Goldenen Zwanziger Jahren der ideale Partner der Bob-Frisur waren. Doch so richtig Fahrt nahm der neue Hut-Trendzug erst dank Miuccia Prada auf, die im Sommer 2018 den Fischerhut oder Bucket Hat, der zuletzt in den 90er-Jahren gelegentlich aufgetaucht war, wieder aus der Versenkung geholt hatte. Da wollte sich das französische Label Jacquemus offenbar nicht lumpen lassen und führte den einstmals mondänen Strohhut in pfiffiger Variante wieder in die Damenmodewelt ein.
Die Männermode profitiert derzeit nicht davon
Diesen Winter sind nun eine ganze Reihe von renommierten Labels quasi auf den Hut gekommen. Frau hat die Qual der Wahl zwischen Melonen mit extrabreiter Krempe (Céline), prächtigen Fascinators (Michael Kors) oder bunten Glockenhüten von Valentino oder Nina Ricci bis hin zu vielfältigen Fedoras, originellen Gatsby-Hüten wie bei Balmain, Dolce und Gabbana, Sally LaPointe oder Michael Kors, Neuinterpretationen des Baskenmützen-Klassikers oder leuchtfarbenen und teilweise mit pfiffigen Prints versehenen Bucket Hats (von Christian Dior, Emilio Pucci, Prada oder Vivetta). An Materialien ist so ziemlich alles vertreten, von Filz über Kunstpelz, Kaschmir oder Angora bis hin zu Tweed (Chanel). Natürlich gibt es auch für die Athleisure-Victims jede Menge neue Offerten, beispielsweise Beanies von Marc Jacobs, Missoni, Baseball-Kappen von Off-White, Sportmax oder J. W. Anderson oder Sturmhauben von Calvin Klein. Weniger Wagemutige können sich für neue, bestens wärmende Trapper-Mützen (Versace oder Fendi), Fellmützen (Fendi, Giorgio Armani oder Tom Ford) oder elegante Kappen (Louis Vuitton oder Saint Laurent) entscheiden. Moderne Interpretationen des Schleiers nicht zu vergessen wie von Erdem, John Galliano oder Dolce und Gabbana.
Wer nun annehmen sollte, dass der Hut auch in der Herrenmode wieder modern werde könnte, dem sei geraten, besser die Finger davon zu lassen. Es sei denn, er möchte sogleich als Exzentriker abgestempelt werden. Was bei Udo Lindenberg, Boy George, Johnny Depp oder dem verstorbenen Roger Cicero noch toleriert wurde, lässt sich kaum auf die gesamte Männerwelt übertragen.
Oder um den Stilkolumnisten der „Zeit" Tillmann Prüfer zu zitieren: „Heute ist mit einem Hut eine Botschaft verbunden. Manchmal lautet die: Ich habe Urlaub! Oder: Ich bin ein Künstler! Stets ist ein Ausrufezeichen dahinter. Für die große Mehrheit der Männer, jene, die keine Botschaft haben, ist der Hut verloren."