Richard Linklaters neuester Film „Bernadette" erzählt die Geschichte einer außergewöhnlichen Frau, die sich selbst verloren hat. Die Bestseller-Verfilmung mit Cate Blanchett kommt am 21. November ins Kino.
Die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn ist manchmal schwer zu erkennen. Und wer sich zu weit auf die Seite des Wahnsinns vorwagt, hat es oft sehr schwer, wieder zu seiner Genialität zurückzufinden. Richard Linklaters neuer Film „Bernadette" erzählt die Geschichte einer Frau, die die Grenze schon vor langer Zeit überschritten hat. Die ihre Fähigkeiten nicht mehr nutzt und möglicherweise nie zu ihnen zurückfinden wird.
Bernadette (Cate Blanchett) lebt mit ihrem Mann Elgin (Billy Crudup) und ihrer 15-jährigen Tochter Bee (Emma Nelson) in einem riesigen, aber stark heruntergekommenen Haus in Seattle im US-Bundesstaat Washington. Auf dem großen Grundstück, das das Haus umgibt, wuchern Brombeersträucher. In der Nachbarschaft hat sich Bernadette damit nicht gerade beliebt gemacht. Nachbarin Audrey (Kristen Wiig) drängt darauf, zumindest einen Teil der Sträucher am Hang zu ihrem Grundstück zu entfernen. Und da sie gleich einen Gärtner mitgebracht hat, der die Sträucher roden soll, stimmt Bernadette zu. Wohl wissend, dass die Wurzeln der Brombeersträucher dem Hang Halt geben.
Bernadette hasst es, unter Menschen zu sein. Einkäufe und ähnliche Angelegenheiten wickelt sie über einen Dienst ab, der scheinbar von Indien aus operiert und in etwa wie eine menschliche „Alexa" funktioniert. Dafür hat sie dem Anbieter sämtliche persönlichen Daten anvertraut.
Richard Linklater ist einer der interessantesten Independent-Regisseure der USA. Geschichten über Menschen zu erzählen, die eine vielschichtige Handlung haben – das ist typisch für ihn. Bekannt wurde er mit seinem zweiten Film „Rumtreiber" – vielen besser bekannt unter dem englischen Titel „Slacker" – aus dem Jahr 1990. Mit ihm ist er zum Vorbild für viele junge Indie-Regisseure geworden. Im Laufe der Jahre hat er sehr engagierte Filme gemacht, etwa 2006 „Fast Food Nation", in dem er mit der Hamburger-Industrie abrechnet. Sein wohl am langfristigsten angelegtes Projekt ist der Film „Boyhood", herausgekommen im Jahr 2014. In ihm erzählt er die Geschichte vom Aufwachsen eines sechsjährigen Jungen zu einem 18-jährigen Mann. Von 2001 bis 2013 filmte er jedes Jahr einige Szenen mit den gleichen Schauspielern.
Auch optisch überzeugt der Film
Mit „Bernadette" hat Linklater sich nun einer Romanverfilmung gewidmet. Vorlage ist das im Jahr 2012 in den USA erschienene Buch „Where’d you go, Bernadette" von Maria Semple, das dort monatelang auf den Bestsellerlisten stand. Raffiniert lässt er den Zuschauer nach und nach erfahren, warum Bernadette sich für ihren eigenwilligen Lebensstil entschieden hat. Dabei greift der Regisseur unter anderem zu dem Trick, dass sich Tochter Bee eine alte Dokumentation über ihre Mutter anschaut, die sie im Internet gefunden hat. Es wird klar, dass Bernadette einmal zu kreativen Höchstleistungen in der Lage war, sich 20 Jahre zuvor aber komplett zurückgezogen hat. Irgendetwas muss dies verursacht haben. All das hat natürlich auch seine Komik – die entsteht aber nicht dadurch, dass der Zuschauer über Bernadette lacht, sondern aus ihrer Interaktion mit anderen Menschen. Und oft genug ist es dabei das vermeintlich normale Leben der anderen, dessen Absurdität durch Bernadette erst sichtbar wird.
Das Haus von Bernadette und ihrer Familie haben die Bühnenbildner und Requisiteure mit Liebe zum Detail gestaltet. Der von den Wänden abgeplatzte Putz, das Wasser, das bei Regen durch das undichte Dach hereintropft, eine Brombeer-Ranke, die zwischen den Dielenbrettern hervorsprießt – die Atmosphäre dieses Ortes ist voll gelungen und macht einen Teil des optischen Reizes des Filmes aus. Angetan hat es Linklater ganz offensichtlich auch die Optik der Antarktis, Bilder von Eis, von Kajaks und Wasser, die schon vor ihm immer wieder Regisseure fasziniert haben.
Denn mitten in das Familienleben platzt Tochter Bee und erinnert ihre Eltern daran, dass sie ein paar Jahre zuvor versprochen hatten, ihr einen Wunsch zu erfüllen, wenn sie gute Noten in der Schule bringe. Sie will in die Antarktis reisen – und obwohl den Eltern die Idee nicht wirklich gefällt, stimmen sie zu, mit der Familie eine Kreuzfahrt dorthin zu unternehmen. Auch wenn sich Bernadette eigentlich davor gruselt, auf dem Schiff mit anderen Passagieren zusammen zu sein und nach Gründen sucht, nicht mitfahren zu müssen. Doch am Ende entpuppt sich die Reise als ungeahnte Chance.