Deutschland packt die Energiewende anders an als seine Nachbarländer. Damit alle voneinander lernen können, fördert die EU ein grenzüberschreitendes Netzwerk in der Großregion.
Spätestens seit dem Reaktorunglück 1986 in Tschernobyl wissen wir, dass Klima- und Umweltschutz keine Grenzen kennen – radioaktive Wolken machen an Schlagbäumen nicht Halt. Wurden regenerative Energien und Energieeffizienz in Europa vor über 30 Jahre eher stiefmütterlich behandelt und Öko-Pioniere noch belächelt, so hat sich der Wind inzwischen gedreht. Die Energiewende scheint in der Großregion bei Politik, Wirtschaft und in der Gesellschaft angekommen zu sein, obwohl der Weg, wie sie zu erreichen ist, in den jeweiligen Ländern unterschiedlich interpretiert wird. Grund genug, über den eigenen Tellerrand zu schauen, um zu sehen, wie unsere Nachbarländer Frankreich, Belgien und Luxemburg Maßnahmen zur Energiewende voranbringen. Voneinander lernen, nachhaltige und innovative Energieprojekte gemeinsam voranbringen und mögliche neue Geschäftsfelder identifizieren lauten daher wichtige Ziele des grenzüberschreitenden Netzwerks „Greeneff" zur Förderung nachhaltiger Stadt- und Quartiersentwicklung. Diese mit EU-Fördergeldern in Höhe von rund 6,2 Millionen Euro unterstützte Initiative der Großregion ging 2017 offiziell an den Start. Inzwischen haben die acht Projektpartner aus den Teilregionen Saarland, Rheinland-Pfalz, Lothringen, Luxemburg und der belgischen Wallonie 18 Projekte geplant und teilweise schon umgesetzt. „Bis Mitte 2021 müssen die Projekte abgeschlossen sein", erklärt Olaf Gruppe vom federführenden Projektkoordinator Arge Solar aus Saarbrücken. Diese kümmert sich unter anderem um die Förderanträge aller beteiligten Partner.
Während die EU und die regionale Politik dies- und jenseits der Grenzen sich eine verstärkte interregionale Zusammenarbeit beim Klima- und Umweltschutz global betrachtet wünschen, steckt der Teufel bekanntermaßen im Detail. Unterschiedliche Strukturen und Zuständigkeiten der jeweiligen Projektpartner, verschiedene Herangehensweisen bei der Lösungsfindung, andere Schwerpunktsetzungen bei Maßnahmen zur Energiewende sowie Unterschiede bei technischen Normen und Standards gehören zum Alltag in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Das sei zwar auf der einen Seite mühselig, auf der anderen Seite aber auch ungemein spannend, so Gruppe. Anhand eines Kriterienkatalogs wie Energieeffizienz, Nachhaltigkeit, smarter Technik, aber auch sozialer und Umweltqualität wurden Pilotprojekte unter den eingereichten Vorhaben ausgewählt.
Schon am Begriff Zeit scheiden sich bekanntlich die Geister. Während beispielsweise im Saarland die Greeneff-Projekte energetische Sanierungen von Wohnhäusern in Saarlouis in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Bau- und Siedlungsgesellschaft komplett in der Umsetzung sind oder schon realisiert wurden, haben die französischen Nachbarn gerade mal ihre Projekte definiert. Und trotzdem sollten sie es fristgerecht schaffen, denn ist ein Projekt erst einmal geplant, geht es bei Genehmigungen und Umsetzungen oft sehr schnell.
Das zeigt beispielsweise die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme „Alzette-Belval" am ehemaligen Stahlstandort von Arcelor-Mittal im lothringischen Micheville in Audun-le-Tiche. Dieses ehrgeizige Projekt des französischen Staats, das allerdings nicht mit Greeneff-Mitteln, sondern aus nationalen Töpfen gefördert wird, gilt als Reaktion auf das luxemburgische Vorzeigeprojekt „Esch-Belval" in nur rund fünf Kilometern Entfernung. Nicht kleckern, sondern klotzen, lautet die Devise beim Luxemburger Greeneff-Projekt in der Gemeinde Kehlen im Westen des Großherzogtums. Dort entstehen derzeit drei Wohnquartiere mit 750 neuen Wohneinheiten. Ein ganzes Stadtviertel mit mehreren Mustergebäuden zum Wohnen und Arbeiten, das mit Greeneff-Mitteln gefördert wird, ist bereits im Bau.
Energetischer Neubau oder Sanierung
Die Gas- und Wasserwerke Bous-Schwalbach verfolgen beim Projekt „Nachhaltige Quartiersversorgung Ensdorf Süd" den Aufbau einer hocheffizienten und umweltfreundlichen Nahwärmeversorgung mit einer Wärmezentrale inklusive Blockheizkraftwerk (BHKW) und Spitzenlastkessel. Das BHKW soll auch innerhalb des virtuellen Kraftwerks für Regelenergiedienstleistungen zur Verfügung stehen. Während die Belgier den Schwerpunkt auf die energetische Sanierung von Wohngebäuden legen, ist das Projekt im pfälzischen Annweiler anderer Natur. In einem Gewerbegebiet entsteht ein Plus-Energie-Haus, bei dem natürliche Stoffkreisläufe und der Einsatz solarer Energietechniken besondere Berücksichtigung finden.
Die Liste lässt sich fortsetzen. Pro Region sollen fünf Projekte mit jeweils 200.000 Euro von der EU gefördert werden. Übrigens gibt es inzwischen in der Großregion eine Reihe von innovativen Energieprojekten, die entweder mit EU-Geldern oder mit nationalen Mitteln unterstützt werden, so zum Beispiel das Projekt Landaufschwung im nördlichen Saarland in Freisen-Oberkirchen.
Lagen die technischen Standards bei Neubauten oder Sanierungsmaßnahmen in den jeweiligen Ländern vor über
20 Jahren noch weit auseinander, so haben sie sich in den zurückliegenden Jahren angenähert. Trotzdem gebe es in verschiedenen Regionen unterschiedliche Schwerpunkte, betont Gruppe. So gehe es in Belgien und Frankreich verstärkt um die Nachhaltigkeit bei Baustoffen oder Baustelleneinrichtungen oder um die Frage des sozialen Wohnungsbaus. In Luxemburg finde der Kreislaufgedanke von A bis Z hohe Wertschätzung.
So bunt und verschieden die Partner, die Projekte und die Lösungswege auch sind, so eint sie doch ein gemeinsames Ziel: den Klima- und Umweltschutz voranzubringen. Wenn am Ende von Greeneff tatsächlich ein gemeinsam erarbeitetes Lastenheft stünde, um Normen und Standards möglichst zu vereinheitlichen, wäre dies ein Fortschritt in der fragmentierten Norm- und Gesetzeslandschaft der Großregion. Ein grenzüberschreitendes Projekt mit Vorbildcharakter, von dem alle Beteiligten lernen, Sichtweisen der anderen in die tägliche Arbeit einfließen und neue Perspektiven entstehen lassen können.