Was in Teilen der sozialen Medien noch immer als Kavaliersdelikt gehandelt wird, hat sich zu einem Riesenproblem für den Versandhandel entwickelt: Das Bestellen von Kleidung mit dem festen Vorsatz, diese Teile nicht kaufen zu wollen, sondern nach kurzem Gebrauch wieder zurückzusenden.
Unmittelbar vor Beginn der New Yorker Fashion Week Anfang September hat das Label Diesel auf den Social-Media-Accounts ein ungewöhnliches Kampagnen-Video veröffentlicht. Das sorgte auf der Stelle im Web für helle Aufregung und zugleich große Begeisterung. Denn der italienische Denim-Spezialist feierte darin persiflierend einen betrügerischen Tatbestand, der sich in den letzten Jahren immer stärker vor allem in der Selfie-Community verbreitet hat. Tenor des Videos und einer begleitenden Foto-Marketingaktion: Wenn man das Wardrobing, das Bestellen von Kleidung oder Mode-Accessoires im E-Commerce mit der festen Absicht, diese nach kurzem Gebrauch wieder an den Versender zurückzuschicken, ohnehin nicht mehr eindämmen könne, dann sei es doch für alle Beteiligten am besten, wenn diese vermeintliche Errungenschaft in vollen Zügen genossen werden könne. Diesel lieferte dafür denn auch gleich den passenden Slogan mit: „Enjoy before returning".
Wie das volle Vergnügen geht, führten auf dem Video auch gleich die Models auf dem Laufsteg vor, wobei sämtliche Looks der neuen Diesel-Kollektion von Jeansjacken über Lacklederhosen bis hin zu Sonnenbrillen oder Uhren mit unübersehbaren Preis- und Sicherungsschildchen versehen waren. Letztere wurden in den vergangenen Jahren von einer ganzen Reihe von Versandhändlern im verzweifelten Bemühen eingeführt, um damit womöglich die Flut der stetig steigenden Retouren etwas eindämmen zu können. Obwohl der Hinweis an potentielle Kunden, dass ein Entfernen dieser Sicherungssiegel zwingend zum Kauf verpflichten würde, rechtlich nicht haltbar ist und die erhoffte Wirkung daher eigentlich nur rein psychologischer Natur sein kann. Diesel setzte noch einen drauf, indem er potenziellen Returnern die perfekten Rückgaberegeln mundgerecht servierte: Die Produkte sollten möglichst unversehrt in der Originalverpackung zurückgeschickt werden, Preisschilder und Waschhinweise sollten möglichst noch vorhanden sein. Nach dem Erfolg in New York kündigte Diesel gleich eine Fortsetzung der schrägen Kampagne in Gestalt einer „Return-Party" auf der Londoner Fashion Week an.
Zu viele Retouren jedes Jahr
Retouren sind seit jeher für die Kunden ein erfreulicher, für die E-Commerce-Unternehmen leidvoller Bestandteil des Versandhandels. Für Kunden ist der Vorgang kostenlos, den Versendern reißt er Löcher in die Kasse. Laut dem im Jahr 2000 verabschiedeten Fernabsatzgesetz dürfen Onlineshopper hierzulande Waren bis zu 14 Tage lang zu Hause anprobieren und können sie ohne Angabe von Gründen wieder an den Händler zurücksenden, der zudem die dabei anfallenden Rücktransportkosten zu tragen hat, die sich laut einem „Spiegel"-Beitrag vom Sommer mit dem Titel „Die Retourenrepublik" auf rund 20 Euro belaufen, gesplittet in jeweils zehn Euro Transport- und Bearbeitungskosten. Laut dem „Spiegel", der seine Daten von der Bamberger Forschungsgruppe Retourenmanagement bezog, ist die Zahl der Retourpakete hierzulande gewaltig, 2018 sollen es rund 280 Millionen gewesen sein, womit 16,3 Prozent der ausgelieferten Pakete wieder an den Versender zurückgegangen waren. Besonders hoch liegt die Retourenquote bei Kleidung und Schuhen, Branchenkenner gehen von mindestens 50 Prozent aus, was selbst den Onlineriesen Zalando oder About You schwer zu schaffen macht. Die Bamberger Forscher bezeichneten die Retouren ziemlich treffend als „Blinddarm des E-Commerce": Jeder hat ihn, keiner spricht gern darüber, und manchmal tut er den Händlern richtig weh.
Das Wardrobing, abgeleitet von Wardrobe (Garderobe) und Robbing (Beraubung), verschärft das Problem für den Versandhandel in erheblichem Maße. Dahinter verbirgt sich die scheinbar pfiffige Idee, sich für einen bestimmten Anlass zumeist hochpreisige Kleidung zu bestellen, um die Klamotten dann nach Erfüllen des Bedarfszwecks, beispielsweise dem Besuch einer vornehmen Abendgesellschaft oder einer besonderen Festivität, wieder zurückzusenden. Im Selfie-Zeitalter ist zusätzlich eine Praxis auf dem Vormarsch: Einfach Luxus-Klamotten ordern, damit ein Foto auf Instagram und Co posten und dann ruckzuck die Kleidung wieder auf die Rückreise schicken. Laut einer Ende 2018 von der britischen Rundfunk- und Fernsehanstalt BBC durchgeführten Umfrage hatten zehn Prozent der britischen Onlineshopper zugegeben, schon mal Klamotten allein zu dem Zweck geordert zu haben, um damit ein interessantes Selfie bei Instagram oder Facebook einstellen zu können. Noch heftiger sind die Zahlen, die der Warensicherungsspezialist Checkpoint im Sommer veröffentlichte. Demnach macht mehr als ein Fünftel der britischen Online-Shopper (22 Prozent) beim Wardrobing mit.
Betrug um den Warenwert
Für Deutschland liegen keine ähnlich konkreten Angaben vor, gelegentlich ist bei Schätzungen die Rede von einem jährlichen Wardrobing-Schaden in Höhe von 400 Millionen Euro. In den USA ist Wardrobing noch ein größeres Problem als in Großbritannien. Neuesten Zahlen zufolge verursachen betrügerische Retouren dem Handel dort einen jährlichen Schaden von 24 Milliarden Dollar. Kein Wunder, dass Versand-Größen wie Asos oder Amazon inzwischen mit Riesenaufwand versuchen, die schwarzen Schafe, vor allem durch Checken der sozialen Medien, ausfindig zu machen und auf eine Black List zu setzen. Was vergleichsweise wenig nutzen dürfte, da die geübten Wardrober (nicht nur in den USA) längst untereinander ein Kommunikationsnetz aufgebaut haben und damit Informationen austauschen, bei welchem Versender der Betrugstrick am einfachsten über die Bühne gehen kann.
Im Prinzip stehen die Versandhändler dem Wardrobing machtlos gegenüber. Sie werden einem Wardrober niemals den Vorsatz fehlender Kaufabsicht nachweisen können. Und selbst wenn deutliche Indizien wie Parfümgeruch dafür zu sprechen scheinen, dass die Klamotten länger getragen wurden, können sie das letztendlich nicht beweisen und müssen daher den Kaufpreis rückerstatten. Nur im Einzelfall können solche Kleider nach Reinigung als Neuware zum regulären Preis nochmals auf die Reise geschickt werden. Letztendlich wird der Versender durch Wardrobing daher um seinen Warenwert betrogen.