Der Burel ist typisch für die Serra da Estrela im Zentrum Portugals. Fast wäre die Kunst seiner Herstellung ausgestorben. Doch seit einigen Jahren haben Designer und engagierte Unternehmer das vielseitige Material für sich entdeckt.
Einen Moment lang ist es in der riesigen Halle ohrenbetäubend laut. Es surrt, klackt und rattert, Spulen drehen sich, Fäden in sattem Gelb, dunklem Grün, strahlendem Blau sausen am Auge des Betrachters vorbei, werden in atemberaubenden Tempo aufgewickelt. Für ein paar Sekunden kann man sich selbst heute an einem arbeitsfreien Sonntag gut vorstellen, wie es wohl unter der Woche in der lichtdurchfluteten Produktionshalle aussehen und sich anhören mag. Wenn all die Webstühle und die zahlreichen Maschinen zum Kämmen und Vorbereiten der Wolle, zum Aufspulen der Fäden in Betrieb sind.
Noch vor wenigen Jahren allerdings hätte kaum jemand geglaubt, dass in die alte Burel-Fabrik am Rande des Städtchens Manteigas im Zentrum Portugals wieder Leben einziehen würde. Zwar waren die Schafherden in den Gebirgszügen der Serra da Estrela immer ein wichtiger Teil des Alltags und des wirtschaftlichen Überlebens, die Region für die Produktion widerstandsfähiger Wolle und für den hier hergestellten Burel-Stoff bekannt. Doch die Globalisierung setzte den Webereien und Fabriken zu, und wegen der vergleichsweise hohen Produktionskosten waren bald die wenigsten von ihnen überhaupt noch konkurrenzfähig.
Aus der Rente zurück an den Webstuhl
Auch in Manteigas war 2007 das Aus für die Burel-Fabrik gekommen, die früher einmal rund 1.000 Angestellte beschäftigt hatte. Maschinen wurden verkauft, jahrelang stand das Areal leer. Bis sich die Stadt dazu entschloss, einen Teil des Gebäudekomplexes zu übernehmen, in der Hoffnung, interessierte Unternehmer oder Start-ups ansiedeln zu können. Was für ein glücklicher Zufall, dass Managerin Isabel Costa nach 20 Jahren in einem der größten Konzerne Portugals nach einer neuen Herausforderung suchte. Gemeinsam mit Ehemann João Tomás hatte sie in den Bergen oberhalb von Manteigas ein kleines Boutique-Hotel in einem ehemaligen Sanatorium eröffnet, das sie mit typischen Elementen der Region ausstatten wollte.
So kam der Burel ins Spiel, eine Art Lodenstoff, robust, isolierend, wasserabweisend. Einst war er von den Werkstätten und Schneidereien in der Serra da Estela zu Umhängen für die Schäfer verarbeitet worden, brauchten die doch draußen bei ihren Herden Kleidung, die Kälte und Hitze gleichermaßen trotzte. Isabel begann, mit befreundeten Designern zu experimentieren. Der früher nur in verschiedenen Beige- und Brauntönen hergestellte Stoff fand bald in unterschiedlichsten Farbtönen seinen Platz als Wandverkleidung, Polster oder Designobjekt.
Das kleine Hotel entwickelte sich rasch zur Erfolgsstory, ein zweites Haus wurde wenige Jahre später quasi „gleich nebenan" eröffnet. Und spätestens zu diesem Zeitpunkt sei klar geworden, sagt Isabel, dass es eine eigene kleine Werkstatt zur Herstellung des Burels und zum Experimentieren geben sollte. Was also lag näher, als mit der Stadt Manteigas über die Nutzung der alten Fabrik zu verhandeln? Erste hier produzierte Muster fanden auf Messen Anklang und ein großer Auftrag kam von Microsoft: Das amerikanische Unternehmen wollte seinen Firmensitz in Lissabon – natürlich in den Unternehmensfarben – mit Burel ausstatten lassen.
„Wir mussten also schnell handeln, um diese Order ausführen zu können", erinnert sich Isabel. Man ging auf die Suche nach früheren Mitarbeitern der Fabrik, stellte 15 der inzwischen pensionierten Webspezialisten wieder ein. Und versuchte, in der Region alte Webstühle und andere für die Burel-Herstellung notwendige Maschinerie aufzutreiben – teils in anderen in der Zwischenzeit stillgelegten Fabriken. Isabels Team konnte auch Bücher mit alten Stoffmustern und -proben erwerben, manche stammten noch aus den 1940er-Jahren, sagt Isabels Mitarbeiterin Cintia. Und dank der Expertise der „alten Weber" können genau diese Muster auch heute wieder gewebt werden.
Damit deutet sie auch schon auf einen der Webstühle, die in einer langen Reihe hintereinander aufgebaut sind. Ein kleines Stück eines auf den ersten Blick hochkompliziert wirkenden Musters in Wollweiß und Bordeaux ist da schon zu sehen. Celia hebt einen der vielen hundert Fäden an. Nur für die Einrichtung des Webstuhls würde auch ein erfahrener Arbeiter einen ganzen Tag benötigen. Ein aufwendiger Prozess also – das gilt auch für die Herstellung der benötigten Fasern. Denn trotz Maschineneinsatzes ist hier nichts vollautomatisch. Es brauche bei allen Arbeitsschritten die Erfahrung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim Umgang mit dem Material, erklärt Cintia, auch eine der Besonderheiten der Burel Factory in Manteigas.
Wandverkleidung aus Hunderten Stoffblüten
Und natürlich das Design – dazu lotst Firmenchefin Isabel die Gäste in eine weitere lichtdurchfluteten Halle. Gewebte Decken, Schals, große Umlegetücher stapeln sich hier – in satten Rot- und Gelbtönen, in Grün- und Braunschattierungen. Dazwischen große Arbeitstische, auf denen unter anderem Hunderte kleine Blütenblätter und Blumen – aus Burel-Stoff genäht – darauf warten, zu einem komplizierten Design zusammengefügt zu werden.
Genau in solchen sehr hochwertigen Kreationen sehe sie einen der stetig wachsenden Märkte für den eigentlich vor kurzer Zeit noch „totgesagten" traditionellen Lodenstoff, sagt Isabel. Und demonstriert gleich einmal, wie eine dieser kunstvollen Blüten entsteht. Dazu greift sie sich ein rund ausgeschnittenes Stoffteil und eine große Nadel, beginnt den robusten Stoff in Falten zu legen und fixiert sie mit wenigen Stichen. Es dauert nicht lange – und Isabel präsentiert eine kleine graubraune Stoffblüte auf ihrer Handfläche. Eine ganze Decke – eine Wandverkleidung gar – würde wohl aus Tausenden solcher kleinen, in Handarbeit hergestellten Einzelteilchen bestehen. Gut nachvollziehbar, dass die Kreationen ihren Preis haben.
Die stylishen und gleichzeitig isolierenden Wandverkleidungen sind aber nur ein Segment in der wachsenden Produktpalette aus Burel, für die Isabel und ihr Mann regelmäßig mit jungen Designern kooperieren. So gibt es Kleinmöbel wie Hocker oder Stühle mit raffiniert gefälteltem Bezug ebenso wie Rucksäcke oder Handtäschchen in leuchtendem Safrangelb oder dunklem Rot. Und immer mehr Designer nutzen das einstige Material der „Hirten-Umhänge", um jetzt daraus hippe Mode zu machen. So wurde beispielsweise in Covilhã am südlichen Rand der Serra da Estrela das „New Hand Lab" gegründet. Früher war das Städtchen ein wichtiges Wollproduktionszentrum, galt als das „Manchester Portugals". Noch Anfang des 20. Jahrhunderts gab es hier rund 60 Fabriken. An diese Tradition haben Francisco Afonso, der aus einer lokalen Textildynastie stammt, und die Künstlerin Ana Almeida angeknüpft, als sie das „New Hand Lab" gründeten. Dort wird nach wie vor Garn gesponnen, aus dem hochwertige individuelle Decken hergestellt werden. Andererseits gibt es hier Ateliers und Werkstätten nicht nur für Künstler und Designer, sondern auch für Architekten, Fotografen, Musiker.
Miguel Gigante ist einer der Designer im „New Hand Lab". Er stammt aus Covilhã und auch aus einer Familie, die stets mit der Verarbeitung von Wolle zu tun hatte. So ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass er nach seinem Studium beschloss, der aussterbenden Handwerkskunst der Burel-Produktion wieder Leben einzuhauchen. Mittlerweile zählt Miguel zu den anerkanntesten Designern Portugals, seine Entwürfe sind europaweit gefragt: Capes, Jacken, Mäntel in grau, wollweiß, braun. Mal mit blau abgesetzt, oder in sonnenbumengelb bestickt. Dann wieder mit einem detailverliebten Kragen oder Applikationen auf dem Rücken. Noch an die traditionellen Umhänge der Schäfer der Serra da Estrela erinnernd – aber unbedingt catwalk-kompatibel.