Nur wenige Meter von der ehemaligen Mauer entfernt hat sich Außenminister Heiko Maas die Zeit genommen, in einer FORUM-Veranstaltung über seinen Job und die Herausforderungen, die er mit sich bringt, zu sprechen.
Im Hinblick auf das, was sich in den vergangenen 30 Jahren verändert habe, verweist der Minister auf seinen Dienstsitz: „In dem Büro, in dem ich heute sitze, saß vor dem Mauerfall Erich Honecker." Heiko Maas erinnert zu Beginn des FORUM-Dialogs in der Berliner Landesvertretung des Saarlandes an den Mut der Menschen der DDR, mit dem sie ein Unrechtsregime zu Fall gebracht haben. Das stimme ihn zuversichtlich.
Viele würden ihn fragen, warum sollte man denn eigentlich dorthin gehen, wo einen nur Krisen und Konflikt erwarten? Doch auch wenn Fortschritte oft langsam seien: „Es gibt keinen Fortschritt ohne Kompromisse: Das gilt für die Innenpolitik, wie die Außenpolitik."
Kein Fortschritt ohne Kompromisse
Ob der Job des Außenministers ein Traumjob sei? „Manchmal ja, manchmal nein. Es gibt viele, die mich bemitleiden. Überall gibt es Kriege und Konflikte, keiner ist gelöst", sagte Maas. Vieles sei in Unordnung, viele Gewissheiten gebe es heute nicht mehr. „Trotzdem ist es eine spannende Zeit." Außenpolitik und Diplomatie seien eben nicht immer nur Harmonie. „Wenn ich immer nur zu denen fahren würde, mit denen ich einer Meinung wäre... Diplomatie heißt, dorthin zu gehen, wo Konflikte sind, wo es wehtut."
Maas kommt gerade aus Paris, besuchte dort das Peace Forum, wo eine Allianz für Multilateralisten entstehen soll, an der sich bereits über 80 Staaten beteiligen. Die meisten großen Fragen seien heute international, sogar global: Globalisierung, Klimawandel, Digitalisierung, hierbei gebe es nur internationale Lösung. Und es gehe es darum, ob Europa in Zukunft noch eine Rolle spielen werde angesichts der großen Rivalen in der Welt. Diese hätten durchaus andere Interessen. Dem müsse man etwas entgegenstellen.
Dass dieser Prozess mühselig, zäh verlaufe, kann er nicht abstreiten. „Aber das darf man nicht kleinreden." Immerhin sitze man zusammen und bespreche gemeinsam Lösungen. Allein das sei schon ein Wert für sich, auch wenn nicht immer gleich Ergebnisse auf dem Tisch liegen. Die Alternative? Sich nicht zu treffen. Diese Mühen würden ihm oft zu despektierlich behandelt.
Beispiel Syrien. Kommt man hier einer Lösung näher? Immerhin säßen nun die drei Gruppen der wichtigsten syrischen Kriegsparteien in Genf zusammen und verhandeln über eine Verfassung. Deren Ziel seien echte demokratische Wahlen. Darum habe man jahrelang gerungen. „Dauerhaft werden die Waffen erst schweigen, wenn sich alle an einer politischen Lösung beteiligen."
Europäische Aufgaben neu definieren
Wie stehe er da zur Initiative der Kabinettskollegin Annegret Kramp-Karrenbauer für eine Sicherheitszone in Syrien? Nach dem Treffen der Staatschefs Putin und Erdogan in Sotschi sei die Lage eine neue: Syrien werde neu geordnet, in dieser Situation sei es schwer, diesen Vorschlag weiter zu diskutieren. Die Türkei habe keine völkerrechtliche Legitimation für einen Einmarsch in Syrien. Wichtig sei, dass die Türkei sich wieder zurückzieht und dass Flüchtlinge nicht gegen ihren Willen dorthin verbracht würden. Das habe die Türkei zugesichert.
Am Beispiel dieses Konflikts zeigt sich, dass auch das Verhältnis zu den USA neu ausbalanciert werden muss. „Trump macht eine andere Außenpolitik als seine Vorgänger." Der Rückzug der USA aus Afghanistan stelle ernste Fragen angesichts vieler deutscher Soldaten dort. „Vieles erfahren wir von Trump nur über Twitter." Da habe der französische Präsident Emmanuel Macron Recht: die Europäer werden sich zusammentun müssen. Die Nato sei zwar nicht „hirntot", aber die Amerikaner würden sich Schritt für Schritt zurückziehen. Deswegen müssten die Europäer ihre Aufgaben neu definieren. So spiele die Sicherheit beispielsweise in den baltischen Staaten und Polen eine viele größere Rolle als hierzulande.
Die Devise: die Nato für die heutigen Zeiten fit machen. Sie habe in der Vergangenheit immer vor Herausforderungen gestanden, nun kämen mit der Terrorismusbekämpfung neue hinzu, die eigentlich in den Verträgen nicht angelegt seien. Dafür sei es gut, dass es eine internationale Organisation wie die Nato gebe, die Sicherheit garantiert. „Wir sind Opfer unseres eigenen Erfolges." Doch sei die Nato ohne USA nicht denkbar. Trotzdem müssten die Europäer ein größeres Gewicht bekommen. Das könne aber nur dann gelingen, wenn die EU handlungsfähiger werde. Dazu müsse der Außenrat, also der Rat der EU-Außenminister, künftig sein Einstimmigkeitsprinzip aufgeben. Das sei ein Ziel für die deutsche Ratspräsidentschaft in der EU in der zweiten Jahreshälfte 2020. Denn „wir Europäer müssen außenpolitikfähiger werden". Und: „Wenn wir mehr Verantwortung übernehmen wollen, müssen wir erst mal eine Haltung entwickeln."
Dabei verwische auch zunehmend die Grenze zwischen Außen- und Innenpolitik. Jeder Kollege im Kabinett sei regelmäßig mit europäischen Fragen befasst. Viele Gesetze seien Umsetzungen von EU-Richtlinien. Hier sei die Schnittstelle zwischen Europapolitik und Innenpolitik fließend.
Dazu komme die wirtschaftliche Stärke der Deutschen. Aus dieser resultierten auch Erwartungen. So sei man bei der Friedensmission in Mali sowohl militärisch, als auch zivil aktiv. Deutschland sei hier mehr gefordert als andere. Außenwirtschaft spiele im Außenministerium daher auch insgesamt eine immer größere Rolle. Die Auslandsvertretungen versuchen daher, zugleich auch die Interessen der Unternehmen zu vertreten.
Hohe Erwartungen an Deutschland
Dazu zählt auch das Thema der Migration, vor allem von Fachkräften. Pflegekräfte sollen künftig auch aus Mexiko nach Deutschland kommen können. Die Basis dafür sei das Fachkräftezuwanderungsgesetz. Dieses schaffe die Voraussetzungen dafür. Es gebe viele Bereiche, in denen hierzulande Fachkräfte fehlen. Deutschland sei darauf angewiesen, dass es Menschen gewinnen könne. Es gebe Erleichterungen bei Einreise und Aufenthaltstitel. Jahrelang habe man darum gerungen. „Das ist eine Entscheidung, die dem Wirtschaftsstandort gut tut."
Europa stehe vor der Frage, ob es die Strategie „Kerneuropa" verfolge, wie sie der französische Präsident Macron bevorzuge, oder sich Europa als Ganzes behauptet. Das sei eine strategische Kernfrage. „Ich habe die Befürchtung, dass es, wenn wir Emmanuel Macron folgen, in Europa Staaten erster und zweiter Klasse geben wird." Insbesondere im Baltikum gebe es solche Befürchtungen. Dann steige es vor allem in Südosteuropa die Gefahr, dass sich Staaten anderen, zum Beispiel China, zuwenden.
Maas ist aber nicht nur Außen-, sondern auch Parteipolitiker. Die Zukunft der Sozialdemokratie muss den Minister ebenso beschäftigen wie die Krisen der Welt. Er bekannte sich klar für das Duo Olaf Scholz und Klara Geywitz. „Ich habe keine Lust um den heißen Brei zu reden. Ich kenne Olaf Scholz schon lange und weiß, was er in Hamburg geleistet hat." Es gebe aber noch einen anderes Argument: Die Doppelspitze solle nicht nur aus Mann und Frau bestehen, sondern auch aus West und Ost. Das gebe es nur mit Scholz-Geywitz.
Gefragt als politischer Vermittler
Auf die Frage, warum die SPD so schlecht dasteht, verwies Maas auf die Erfolge der Sozialisten in Spanien, Portugal und Dänemark. Er gab zu, dass die SPD sich in letzter Zeit zu sehr mit sich selbst beschäftigt habe. Man habe nur noch über die eigene Erneuerung gesprochen. Wenn die Menschen den Eindruck hätten, die Politiker diskutieren nur noch über sich selbst, sei das für die Wähler nicht attraktiv. Zwar sei die SPD eine alte Partei, bei der alles etwas länger dauern könne. Aber wenn sie sich auf ihre Kernkompetenz besinne, nämlich die soziale Gerechtigkeit, dann werde sie sich wieder erholen. Die Große Koalition sei nicht so schlecht wie ihr Ruf. Wenn man über die eigenen Erfolge nicht rede, müsse man sich nicht wundern, wenn man bei Wahlen keinen Erfolg habe. Politik sei immer auch Politikvermittlung. Immerhin habe sich die Koalition und mit ihr die Bundeskanzlerin einen großen Vertrauensvorschuss erarbeitet. Nicht zufällig sei Deutschland gefragt in Afghanistan, der Ukraine und in Libyen, um als Vermittler an politischen Lösungen mitzuarbeiten. „Viele sagen uns: Wir nehmen euch ab, dass ihr nicht nur eure eigene Interessen verfolgt." So etwas sei derzeit eher selten. Hierzu trage auch der Politikstil der Kanzlerin bei, dieser sei bewusst nicht marktschreierisch. „Außerhalb Deutschlands wird uns mehr zugetraut, als wir uns selbst zutrauen." Im Ausland werde viel besser über Deutschland gesprochen, als in Deutschland selbst.
Europa warte darauf, dass im zweiten Halbjahr 2020, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, viele Probleme wie Migration, Finanzen und Brexit angepackt werden. „Wir stehen vor einem wichtigen und spannenden Jahr der Außenpolitik", resümiert der Außenminister. Dem sieht er mit Zuversicht entgegen. Ohne diese sei es ohnehin nicht auszuhalten auf der Welt.