Ist ein Thema wie „Kapitalismus und Moral" für Leser und Leserin überhaupt noch interessant? Oder schreckt es ab? Auf den folgenden Seiten finden sich weder sprödes Dozieren noch lehrreiche Textungetüme – es sind spannende Storys. Wer sich’s leicht machen will, fängt am besten an, Monopoly zu spielen.
Das hätten sich die beiden alten Herren auch nicht gedacht: dass dieser Kapitalismus auch noch nach 200 Jahren weiterlebt. Dabei war ihnen klar, welche Wucht dieses Wirtschaftssystem entfalten kann: „Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisie-Epoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können… Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hundertjährigen Klassenherrschaft massenhaftere und kolossalere Produktionskräfte geschaffen als alle vergangenen Generationen zusammen." (Kommunistisches Manifest; Anm. d. Red.)
Doch die Arbeiterklasse vernichtete und überwand die Bourgeoisie nicht. Es etablierten sich im Namen der Diktatur des Proletariats zentral gesteuerte elitäre kommunistische Parteien und errichteten bürokratische Herrschaftssysteme, die die Wirtschaft zur Planwirtschaft erklärten – und über ihren Zahlenkolonnen zusammenbrachen. Währenddessen hielt sich der Kapitalismus, passte sich an, wandelte sich und steckt heute im Gewand der sozialen Marktwirtschaft. Alles ist noch da: Lohnarbeit, Konkurrenz, Profitmaximierung, die Krisen und die schnöde Ausbeutung – aber die Gegenkräfte haben dafür gesorgt, dass aus dem kalten, menschenfeindlichen System ein moralisches geworden ist. Das ist die Kernthese der Historikerin Ute Frevert: Nur weil der Kapitalismus immer wieder seine sozialen Gegenspieler herausforderte, hat er überlebt.
Den Zwängen des Kapitalismus entkommen
Dagegen kann man mit Recht polemisieren, wie das im nächsten Beitrag Michael Bechtel tut, der die hässlichen Seiten des Kapitalismus betont. Nach wie vor werden Kunden betrogen, teure Sicherheitsstandards umgangen und Tiere für Billigfleisch gequält – nur um der Konkurrenz zuvorzukommen.
Schon zu Zeiten von Marx und auch bis heute gab und gibt es immer wieder Versuche, sich aus den Zwängen dieses Wirtschaftssystems zu lösen. Arbeiter gründeten Konsumgenossenschaften – sie überlebten, zum Beispiel auch nach dem Ende der DDR. Auf dem Land entwickelten sich Ende des 19. Jahrhunderts genossenschaftliche Siedlungsprojekte. Und gerade heute, bei den hohen Mieten und knappen Wohnungen, helfen Wohnungsbaugenossenschaften mit Namen wie „Lichte Weite" oder „Syndikat" vielen Menschen, ein Dach über dem Kopf zu erwerben. Wenigstens das Gefühl, den kapitalistischen Zwang abzustreifen, ist ein Motiv für immer mehr junge Leute, ohne Chef zusammenzuarbeiten.
Wer sich trotzdem mal als Krösus fühlen möchte, schafft sich ein Monopoly-Spiel an. Nicholas Williams hat der Versuchung nachgegeben, hat gesiegt und wieder verloren, und erst später dabei entdeckt, wie ungleich in der realen Gesellschaft die Chancen wirklich verteilt sind.
Karl-Heinz Paqué (FDP) bricht eine Lanze für die soziale Marktwirtschaft. Sein Credo: Sie ist lernfähig, hält Krisen aus und überlässt vieles den Regelungen des Marktes. Paqué traut ihr auch zu, gegen den Klimawandel vorzugehen.
Harald Welzer, ein Zukunftsforscher, hat genug von den Untergangsszenarien, den Warnungen vor dem Klimakollaps und dem Zittern vor dem Zusammenbruch der Kapitalmärkte. Er meint: Wir brauchen wieder mehr Utopien.
Eine Utopie hatten auch die beiden Urväter. Die klassenlose Gesellschaft werde es jedem einzelnen ermöglichen, „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden". Da war Marx gerade mal 28.