Marktwirtschaften sind lernfähig, und die soziale Marktwirtschaft hat sich bewährt – davon ist Karl-Heinz Paqué überzeugt. Selbst Krisen steckt sie weg, weil die Menschen oft kreativer sind als der Staat.
Herr Paqué, braucht der Kapitalismus Korrekturen, oder reformiert er sich von selbst?
Ich spreche lieber von Marktwirtschaft. Das Wort Kapitalismus weckt für mich die Vorstellung von der Anhäufung von Kapitalmassen, wie man sie früher für die großen Stahlwerke brauchte. Das ist heute doch ganz anders. Die Marktwirtschaft hat es geschafft, sich jeder neuen Herausforderung anzupassen – im Gegensatz zur Planwirtschaft, die quasi überall gescheitert ist. Es gibt sie nur noch in Kuba, Venezuela und Nordkorea, und die dortigen Zustände sind schrecklich. Selbst China und Russland sind im Grunde staatlich gelenkte Marktwirtschaften.
Aber weil der Kapitalismus doch ständig wachsen muss: Gefährdet er da nicht unsere Umwelt und damit unsere Existenz?
Es geht nicht um quantitatives, sondern um qualitatives Wachstum. In den Industriestaaten haben wir doch längst ein Wachstum, das uns ressourcen- und umweltschonende Produktionsverfahren beschert. Für mich steht außer Frage, dass künftige Techniken noch schonender mit den vorhandenen Knappheiten umgehen werden.
Soll der Staat also nicht lenkend eingreifen?
Die CO2-Beschränkung kann durch den Emissionshandel durchgesetzt werden: Wer CO2 ausstößt, muss sich Rechte kaufen, also zahlen. Das bedeutet: Wer mehr produziert, zahlt mehr, wer weniger CO2 ausstößt, weniger oder gar nichts. Dieser harte CO2-Deckel garantiert, dass wir die ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen. Ich halte nichts von Verboten: Ihr dürft jetzt kein Fleisch mehr essen oder müsst das Autofahren einschränken und dürft nicht mehr fliegen. Wir sollten nicht dirigistisch die Konsumgewohnheiten der Menschen ändern wollen, vieles regelt sich besser über den Markt.
Früher war einmal vom „Rheinischen Kapitalismus" die Rede. Hat der sich bewährt, oder ist doch das angelsächsische Modell besser?
Eigentlich ist „Rheinischer Kapitalismus" nur ein anderes Wort für soziale Marktwirtschaft. Und die lebt nach wie vor: Tarifautonomie, Mitbestimmung, Sozialversicherung – das hat sich mehr als bewährt. Wohl gab es Ergänzungen, so wie den Mindestlohn. Aber die soziale Marktwirtschaft hat eine Deindustrialisierung verhindert, wie sie in Großbritannien und in den USA um sich gegriffen hat. Indes: Deutschland hat weniger Start-ups, wir haben kein Silicon Valley und aus unseren Start-ups sind keine Weltkonzerne wie Google, Facebook oder Microsoft hervorgegangen.
Aber gerade diese großen Konzerne setzen doch alle Regeln außer Kraft?
Wenn es um die Kontrolle und Regulierung dieser Unternehmen geht, haben Sie Recht. Die EU hat da ja schon gehandelt, die liberale Kommissarin Margrethe Vestager hat ihnen durch empfindliche Strafen schon mal Grenzen aufgezeigt.
Bei der Bankenkrise 2008 kam aber die Bankenaufsicht zu spät …
Das war eine Systemkrise, beschränkt auf einen Sektor. Die Politik regierte vernünftig, die Länder kooperierten bei der Lösung der Krise, und heute sind wir eigentlich darüber hinweg. Außer in einigen südeuropäischen Ländern, die durch ihr eigenes Verhalten aus der Schuldenkrise nicht so richtig herauskommen.
Also braucht die Marktwirtschaft auch strenge Regeln?
Das ist richtig. Sie muss ständig abgesichert werden. Sie funktioniert nicht ohne Regeln – das hat Ludwig Erhard von Anfang an gesagt.
Und worin besteht ihr entscheidender Vorteil?
Dass sie lernfähig ist, dadurch Wohlstand vermehrt und Krisen aushält. Ich würde sogar Preise für die lehrreichste Pleite vergeben. Apple ist einmal fast gescheitert, weil sie ein Betriebssystem herausbrachten, das perfekt und abgeschlossen, aber teuer war. Microsoft brachte ein Betriebssystem mit Schwachstellen heraus, das aber darauf setzte, dass die Millionen Nutzer es ständig verbessern würden. Es setzte sich durch.
Aber so eine kleine Ökodiktatur wie Greta sie will – da scheinen doch die Leute nicht abgeneigt zu sein?
Nur weil die Leute Angst vor dem Klimawandel haben, steht doch die soziale Marktwirtschaft nicht infrage. Die Menschen sind kreativer als der Staat, und moderne Industriegesellschaften leben davon, dass in ihnen ständig Bewegung herrscht. Die Marktwirtschaft schafft den besten Rahmen für Innovationen und Veränderungen – und sie helfen uns am besten, gegen den Klimawandel vorzugehen.