Die Preise für Mietwohnungen steigen seit Jahren. Mehr und mehr Menschen suchen nach alternativen Wohnformen, durch die sie selbstbestimmt leben können.
Hannes Schritt ist 33, bei einem Umweltberatungsinstitut und gehört zu den Gründern eines Hausprojektes in Berlin. In diesem bewohnt er aber nur ein WG-Zimmer. Wie fast die Hälfte der anderen Bewohner stammt er nicht aus Berlin, sondern aus der Nähe von Oldenburg. In Berlin eine Wohnung zu finden war schwierig. Gemeinsam mit Freunden suchte er daher nach einem Haus. Eigenleistung wäre okay, wenn sie bezahlbar wäre. Er hatte mit seinem Vermieter schlechte Erfahrungen gemacht, andere aus der Gruppe wollten einfach mal alternative Lebensformen ausprobieren. Drei Jahre suchten sie erfolglos, bis sie von einem Gebäude in der Magdalenenstraße erfuhren, das der Liegenschaftsfonds verkaufen wollte, der über viele staatliche Grundstücke und Häuser in Berlin verfügt. „Wir haben mitgeboten", erzählt er, „mussten aber innerhalb eines Monats nachweisen, dass wir liquide sind." Mit mehreren Freunden gründeten sie einen Hausverein und holten das „Mietshäuser Syndikat" ins Boot. Der Verein und das Syndikat sind nun zwei Gesellschafter einer GmbH, die das Haus gekauft hat. Dank der Kontakte des Syndikats konnte ein Bankkredit von 1,3 Millionen Euro aufgenommen werden. Rund 700.000 Euro hatten die Mitglieder des Hausvereins selbst aufgebracht. Damit waren zunächst die Kosten für Kauf und Grundrenovierung gesichert.
Syndikat: 149 Projekte in ganz Deutschland
Das Freiburger Mietshäuser Syndikat ist einer der interessantesten neuen Akteure in der Wohnungswirtschaft. Es umfasst derzeit 149 Hausprojekte und 27 Projektinitiativen in ganz Deutschland, davon 18 in Berlin. Das Syndikat unterstützt bundesweit die traditionelle genossenschaftliche Idee, gemeinsam langfristig bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Mitgliederversammlung entscheidet etwa, ob man sich an der Gründung einer weiteren Hausbesitz-GmbH beteiligt. Grundprinzipien der Projekte sind Selbstorganisation, die Verpflichtung zum Solidartransfer und zur Weitergabe von Know-how. Gerade die Vielfalt der Wohn- und Lebensentwürfe in den unterschiedlichen Projekten ist eine Stärke des Syndikat-Verbundes. Er setzt auch klare Grenzen: Nicht erlaubt sind die Beteiligung kommerzieller Bauträgerfirmen, Projekte von Psycho-Sekten oder von Neonazi-Kameradschaften.
Das Mietshäuser Syndikat steigt bei selbstorganisierten Hauskauf-Projekten mit ein und steht mit der Vermittlung von Kapital oder Beratung zur Seite. Dazu gehört auch das Haus, in dem Hannes Schritt wohnt, die „WilMa19" in der Magdalenenstraße in Lichtenberg. Es ist ein Mehrgenerationen-Haus: In einem DDR-Plattenbau mit einer dicken weißen Bauchbinde, das einst dem Ministerium für Staatssicherheit gehörte, leben rund 65 Menschen aller Altersgruppen und Lebensformen. Es gibt Wohnungen für Familien ebenso wie WGs für Studenten. Die Magda GmbH hatte das ehemalige Bürohaus 2012 gekauft und komplett umgebaut. Neben den Wohnungen gibt es auch Gemeinschaftsflächen, einen grünen Innenhof und die „Remise", in der Veranstaltungen stattfinden.
2014 begann die Sanierung. Vieles wurde selbst gemacht: Fenster, Heizungen und Fußböden erneuert, Küchen, Bäder und Toiletten eingebaut und auch einige Grundrisse geändert, um beispielsweise in den WGs große Wohnküchen zu ermöglichen. Für die Fassadendämmung reichte das Geld erst mal nur bis zur dritten Etage. Balkons wurden nachträglich angebaut. Wer wo wohnt, wurde per Los entschieden: „Fast alle wollten nach oben wegen der tollen Aussicht", erinnert sich Hannes Schritt. Aber die Miete ist für alle gleich, seit damals 4,70 Euro pro Quadratmeter netto und kalt. „In fünf Jahren müssen wir mit der Bank den Kredit nachverhandeln. Dann könnte es sogar sein, dass die Miete sinkt wegen der niedrigeren Zinsen. Das bestimmen einzig und allein wir."
Einen Weiterverkauf des Hauses haben sie ausgeschlossen. Das Haus gehört den Genossen, sie haben ihren Anteil eingezahlt. Kein Genosse verfügt frei über seinen Wohnraum, er darf ihn weder verkaufen noch ohne Einverständnis der anderen vermieten. Über alle Belange des Hauses entscheidet die Genossenschaftsversammlung. „Schließlich wollen wir ja garantieren, dass das Haus langfristig dem Immobilienmarkt entzogen wird und im Besitz derer bleibt, die darin wohnen", betont Hannes. Die Entscheidung darüber, was im und um das Haus geschieht, trifft der Hausverein, in dem alle Bewohnerinnen und Bewohner Mitglied sind. Als nächstes ist das Dach dran, es soll sogar begrünt werden. Derzeit wird geprüft, was machbar ist und welche Förderungen es dazu gibt.
Wichtig war und ist den Bewohnern auch der Kontakt zu den Menschen im Kiez. Gleich nebenan ist eine Unterkunft für minderjährige Geflüchtete. Mit denen spielen sie manchmal Fußball. Oder die Jugendlichen kommen einfach in den Hof zum Abhängen. Jeden zweiten Montag im Monat gibt es einen Ping-Pong-Tresen in der Remise mit Essen oder auch mal einem Film.
Projekt fördert und unterstützt soziale und ökologische Inhalte
Ein anderes Modellprojekt ist die 2002 gegründete Stiftung Trias. Sie fördert gemeinschaftlich orientierte Wohnprojekte mit sozialen und ökologischen Inhalten. 121 selbstverwaltete Wohnprojekte verzeichnet das Webportal der Stiftung in Berlin. Dazu gehört das Wohnprojekt „Lichte Weiten" im Lichtenberger Weitlingkiez, das von der Stiftung unterstützt wird.
In dem mit Wein berankten Haus auf einem ruhigen, grünen Hof leben verschiedene Generationen zusammen. Insgesamt sind es 23 Personen, davon 17 Erwachsene, der älteste Bewohner ist gerade 85 Jahre geworden. Hans-Otto Tröder wohnt mit seiner Frau seit zehn Jahren dort. Neben den privaten Wohnungen gibt es auch eine gemeinschaftlich genutzte mit Gästezimmer, Büro und Wohnküche. Überhaupt wird in dem Projekt ökologisch und nachhaltig gewirtschaftet. Für den Strom sorgt eine Photovoltaikanlage, für die Wärme im Haus eine solarthermische Anlage, eine Gas-Therme und ein Holzpellet-Ofen.
Das Regenwasser wird aufgefangen, läuft durch Fließbeetfilter und wird im Keller mit Mikromembranen gereinigt. Eigentlich hat es Trinkwasserqualität, darf aber nur zum Duschen genutzt werden. Auch das Duschwasser wird gesammelt, wieder durch einen Fließbeetfilter geleitet und dann für Toiletten und die Gemeinschaftswaschmaschinen verwendet. Zudem werden alle Verbräuche protokolliert. Das ausgeklügelte Wassersystem hat sich herumgesprochen: Mehrmals im Jahr kommen Besuchergruppen aus dem In- und Ausland, um sich das anzusehen.
„Umwelttechnik ist rentabel", erklärt Hans-Otto. „Wir verbrauchen 50 Prozent weniger Wasser, Strom und andere Ressourcen als durchschnittliche Haushalte in Deutschland". Damit kennt er sich aus, er hat sich nach seinem Ausstieg aus der Automatisierungsbranche mit Umwelttechnologie und speziell Energieeffizienz beschäftigt.
Für Hans-Otto Tröder ist ökologisches Handeln auch ökonomisch. Vieles im Haus machen die Bewohner selbst, wie beispielsweise die Kontrolle und Reinigung der Wasseranlage, die Verwaltung des Hauses und auch die Treppenreinigung. Alle zwei Wochen gibt es ein Treffen, das HGT (Hausgemeinschaftstreffen). Entscheidungen werden im Konsensverfahren getroffen und in Protokollen festgehalten. „Wir hatten schon zwei- oder dreimal Situationen, wo es größere Diskussionen gab. Aber letztlich haben wir uns geeinigt." Jeder bringt sich ein und macht das, was er am besten kann, ob in der Technik-AG, die sich um die Wasser- und Photovoltaikanlagen kümmert, in der Garten- oder Öffentlichkeits-AG. Einiges von ihrer Selbstorganisation haben sie von einem Wohnprojekt gleich gegenüber übernommen, das schon länger besteht.
Hans-Otto Tröder hat viele Jahre im Ausland gelebt, nun ist er angekommen und fühlt sich wohl. Und sicher. „Durch die Trias, die das Projekt unterstützt hat, ist garantiert, dass uns keiner privatisieren kann. Unser Verein ‚Lichte Weiten‘, in dem alle hier Mitglied sind, hat ein Erbbaurecht am Grundstück erworben. Mehr nicht. Wir sind auch keine Eigentümer an Wohnungen, sondern nur Nutzer, das ist gut so."