Selbst Experten sind sich uneins darüber, ob das Hautkrebs-Screening wirklich Sinn macht. Die Todesraten beim Schwarzen Hautkrebs konnten damit jedenfalls nicht reduziert werden. Jeder Deutsche über 35 Jahren sollte sich intensiv Gedanken über das Pro und Kontra eines Tests machen.
Es gibt nicht mal einen kleinen Pikser. Dafür müssen aber in der Praxis sämtliche Hüllen fallen. Denn der Haut- oder Hausarzt muss möglichst jeden Bereich unseres mit bis zu zwei Quadratmetern größten Körperorgans mit Adleraugen bei der im Schnitt zwischen zehn Minuten und einer halben Stunde dauernden Untersuchung nach Auffälligkeiten abscannen können – von der Schädeldecke über die Intimzone bis hin zu den Fußsohlen. Dieses Testverfahren wird Screening genannt. Hierzulande sind rund 40.000 Mediziner, in der Regel ein Dermatologe, dafür ausgebildet. Wer sich nicht allein auf das Urteil seines Scharfblicks verlassen möchte, nimmt ein Dermatoskop oder Auflichtmikroskop zu Hilfe, ein lupenartiges, tiefere Hautschichten abbildendes Instrument. Dieses Prozedere geht dann aber bereits über das 2008 als Kassenleistung bundesweit eingeführte und standardisierte Hautkrebs-Früherkennungs-Programm hinaus, auf das alle gesetzlich Versicherten ab 35 Jahren alle zwei Jahre einen Anspruch haben – ein Angebot, das derzeit jedoch nur von jedem Fünften genutzt wird.
Der Dermatoskop-Einsatz wird meist von Hautärzten zu den sogenannten individuellen Gesundheitsleistungen (IgeL) gezählt. Über den Sinn und Zweck des Hautkrebs-Screenings gibt es heftige Kontroversen innerhalb von Ärzteschaft und Forschergemeinschaft. In den meisten Wissenschaftsbeiträgen seriöser Printmedien wird es sehr kritisch beurteilt. Denn so einfach wie es der vom Berufsverband der Deutschen Dermatologen und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft lancierte Slogan „Früh erkannt – Gefahr gebannt" unterstellt, ist das Ganze wahrlich nicht.
Obwohl Deutschland mit seinen diversen Früherkennungsprogrammen im internationalen Vergleich ohnehin einen Spitzenplatz belegt, so ist doch bislang kein anderes Land dem Beispiel der Bundesrepublik in Sachen flächendeckendem Hautkrebs-Screening gefolgt, zu dem die Versicherten allerdings im Unterschied etwa zu Mammographie oder Darmspiegelung nicht eigens eingeladen werden. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Zum einen ist das Risiko, an der bösartigsten Hautkrebsform, dem sogenannten malignen Melanom, auch schwarzer Hautkrebs genannt, zu erkranken, vergleichsweise gering. Außerdem gibt es bislang keine einzige aussagekräftige internationale Studie, aus der die Schlussfolgerung gezogen werden konnte, dass sich durch das Screening die Mortalität bei schwarzem Hautkrebs habe reduzieren lassen. Und dennoch wurde das Screening-Programm hierzulande beschlossen, weil man sich neben der Senkung der Todesfälle beim malignen Melanom zusätzlich erhoffte, auch die weitaus häufiger auftretenden, harmloseren, selten tödlichen, langsamer wachsenden und nicht-melanozytären Tumortypen Basalzellkarzinom und Plattenepithelkarzinom, umgangssprachlich „heller" oder „weißer Hautkrebs" genannt, frühzeitig entdecken zu können.
Fakt ist jedenfalls, dass auch nach Einführung des Screenings die Hautkrebs-Neuerkrankungsraten hierzulande weiter deutlich angestiegen sind. Heute wird ja auch genauer hingeschaut, wodurch logischerweise viel mehr Befunde registriert werden können. Die meisten würden sich allerdings mit einiger Wahrscheinlichkeit niemals zu einem klinisch-relevanten Krebs entwickeln. Die sich daraus ergebende Gefahr einer Überdiagnose oder Übertherapie wurde selbst im von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Fachgesellschaften, der Deutschen Krebsgesellschaft und der Stiftung Deutschen Krebshilfe herausgegebenen Patientenratgeber „Prävention von Hautkrebs" offen eingeräumt. Demnach gibt es durchaus das Risiko, dass nach der Entdeckung eines Hautkrebses dieser behandelt werde, obwohl er zeitlebens niemals auffällig geworden wäre.
Prognose für schwarzen Hautkrebs ist verheerend
Auch weitere Risiken oder nützliche Überlegungen, die sich jeder potenzielle Interessent bei der Entscheidung für oder gegen eine Teilnahme am Screening bewusst machen sollte, werden in dem Ratgeber nicht verschwiegen. Die Früherkennungsuntersuchung biete keinerlei Gewähr dafür, dass der Betreffende nicht doch an Hautkrebs erkranken könne. Auch sei nicht ganz auszuschließen, dass bei der Untersuchung etwaige Erkrankungen übersehen werden könnten, im Fachjargon „falsch-negativer Befund" genannt, wodurch sich der Patient womöglich in einer zu großen Sicherheit wiegen könnte. Zudem müsse eingeräumt werden, dass das Risiko eines Fehlalarms, ein „falsch-positiver Befund", ziemlich hoch sei, weil sich häufig, bei rund 80 Prozent der Fälle, ein verdächtiger Befund nach eingehender Überprüfung des Hautpartikels als harmlos erweise (die diesbezüglich aus Studien ermittelten Angaben schwanken zwischen drei und 180 Fehlalarmen pro bestätigtem Hautkrebsverdacht). Das könnte neben unvermeidlichen kleinen Narben vor allem unnötigen psychischen Stress während der Wartezeit auf das Laborergebnis verursachen.
Hautkrebs ist inzwischen die häufigste Krebserkrankung in Deutschland. Da aber die Zahlen für den hellen Hautkrebs, bei dem die Sterberate äußerst niedrig ist und die Heilungschancen bei früher Diagnose zwischen 95 und 100 Prozent liegen, in der Bundesrepublik nicht flächendeckend erfasst werden, ist man auf Expertenschätzungen angewiesen. Die Zahlen schwanken zwischen 200.000 und 270.000 Neuerkrankungen pro Jahr. Den Rekordwert, zusammengesetzt aus 37.000 Fällen schwarzem Hautkrebs, rund 143.000 Basalzellkarzinomen und knapp 92.000 Plattenepithelkarzinomen, hatte jüngst die Techniker Krankenkasse (TK) in ihrem „Hautkrebsreport 2019" genannt. Laut TK handelt es sich bei jeder siebten Neuerkrankung um den schwarzen Hautkrebs. In den Untersuchungsjahren 2009 bis 2015 habe der helle Hautkrebs um über 50 Prozent zugenommen, der schwarze Hautkrebs um über 30 Prozent. Insgesamt waren laut TK im Jahr 2017 rund 1,4 Millionen Deutsche an Hautkrebs erkrankt, davon litten 1,2 Millionen an hellem und rund 210.000 Patienten an schwarzem Hautkrebs. Von Letzterem sind laut TK vor allem Männer in höheren Altersgruppen jenseits der 65 Jahre und Frauen auffallend häufig unter 60 Jahren (Stichwort: „Sonnenbank-Knie") betroffen. Die Zahl der Neuerkrankungen an schwarzem Hautkrebs ist laut TK in den drei Bundesländern Bayern, Saarland und Hessen bundesweit am höchsten.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat bezüglich des schwarzen Hautkrebses leicht von der TK abweichende Zahlen publiziert. Demnach waren 2014 rund 21.200 Neuerkrankungen und gut 3.000 Todesfälle zu beklagen, womit das maligne Melanom vier bis fünf Prozent aller bösartigen Krebsneubildungen ausmachte und für etwa ein Prozent aller Krebstodesfälle verantwortlich zeichnete. Für 2018 bewegen sich die Prognosen des RKI bezüglich des schwarzen Hautkrebses in etwa auf dem Level von 2014, rund 23.000 Neuerkrankungen und gut 3.000 Todesfälle. Zwei Drittel der malignen Melanome werden laut dem Institut in einem frühen Tumorstadium entdeckt, weshalb die relative Fünf-Jahres-Überlebensrate bei Frauen (94 Prozent) und Männern (91 Prozent) sehr hoch ist. Über einen längeren Zeitraum haben sich die Neuerkrankungsraten des schwarzen Hautkrebses seit den 70er-Jahren laut dem RKI mehr als verfünffacht, die Sterberaten hingegen waren im gleichen Zeitraum nur bei den Männern leicht gestiegen.
Für die Zukunft sieht der Hautkrebsexperte Prof. Claus Garbe, Leiter der Abteilung Dermatologische Onkologie der Universität Tübingen, bezüglich der Ausweitung der Krankheit jedenfalls ziemlich schwarz. Er geht bis 2030 von einer Verdoppelung der Zahl der Hautkrebs-Neuerkrankungen aus. Das würde nichts anderes bedeuten, als dass es dann in Deutschland jährlich genauso viele neue Fälle von Hautkrebs geben würde wie bei allen anderen Krebsarten zusammengenommen.