Im FORUM-Dialog in der saarländischen Landesvertretung in Berlin hat Bundesaußenminister Heiko Maas Position zu den zentralen Herausforderungen bezogen. Im Mittelpunkt standen die deutsche Rolle im UN-Sicherheitsrat, die EU-Ratspräsidentschaft 2020 und das deutsch-französische Verhältnis.
Herr Maas, ist es ein Traumjob, die Bundesrepublik in aller Welt zu vertreten?
Es gibt ganz viele, die mir sagen: Es ist eine so schwierige Zeit, um Außenminister zu sein, denn es gibt viele Kriege und Konflikte. Es ist viel in Unordnung, alte Gewissheiten aus der Vergangenheit gibt es so nicht mehr. Aber natürlich ist es auch eine spannende Zeit, weil sich im Moment viele Dinge neu sortieren und es dabei ganz entscheidend sein wird, wer sich wie neu aufstellt, in Europa, in der Nato, im transatlantischen Verhältnis. Insofern ist es, ja, schwierig, aber auch außerordentlich spannend.
Also ein Traumjob?
Ja, meistens. (Lachen im Publikum)
Sie kommen gerade aus Paris. Gibt es von dort Neuigkeiten?
Ich war dort beim „Paris Peace Forum", das Emmanuel Macron veranstaltet hat. Es ging im Wesentlichen darum, dass wir in einer Zeit, in der sich so viele Strukturen verändern, mehr internationale Zusammenarbeit brauchen als weniger. Das ist ein zentrales Thema, das mein französischer Kollege und ich uns seit mehr als einem Jahr auf die Fahne geschrieben haben. Wir haben die „Allianz für den Multilateralismus" gegründet. Dem sind über 60 Staaten beigetreten. Alle großen Herausforderungen unserer Zeit – Globalisierung, Klimawandel, Migration, Digitalisierung – haben eines gemeinsam: Sie kennen keine Grenzen mehr. Deshalb gibt es auch keine allein nationalen Lösungen für diese Herausforderungen, sondern nur internationale. Diese Erkenntnis ist in Zeiten von „America first", „Russia first", „China first" leider alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Wir müssen neuem Nationalismus dringend entgegenwirken.
Multilateralismus ist ein schwieriges Wort. Ist es auch so schwierig, Staaten dafür zusammenzubekommen?
Im Gegenteil. Der Zuspruch ist enorm. Ganz viele Länder teilen unseren Ansatz. Sie haben längst verstanden: Wenn wir mehr zusammenarbeiten, geht es uns allen besser. Es wird ja immer davon geredet, dass es so mühselig ist, alle unter einen Hut zu bekommen. Aber der ständige Kontakt, das Suchen nach gemeinsamen Lösungen – ohne das ist keine verantwortungsvolle Außenpolitik möglich. Das gilt natürlich besonders für die Europäische Union.
Beim Syrienkrieg hätten die Europäer eine stärkere Rolle einnehmen können, spielen aber gar nicht wirklich mit, obwohl der Konflikt direkt vor der Haustür liegt.
Viele gravierende Entscheidungen sind hier schon vor einigen Jahren getroffen wurde. Russland, Iran und die Türkei haben ihren Einfluss dort Stück für Stück erhöht. Wir müssen jetzt alles tun, um eine politische Lösung des Konflikts zu unterstützen. In Genf haben sich erstmals alle drei Gruppen aus Syrien, also Vertreter des Assad-Regimes, Vertreter der Opposition und eine dritte Gruppe mit Vertretern aus allen gesellschaftlichen Schichten, zusammengesetzt. Ziel ist, dass es eine Verfassungsreform gibt, dass es in Syrien irgendwann echte demokratische Wahlen gibt und die Syrer selbst entscheiden können, wer ihr Land regiert. Damit hat ein Prozess, um den jahrelang gerungen wurde, begonnen. Niemand kann eine Prognose abgeben, inwiefern es gelingt. Aber alle überhaupt mal an einen Tisch zusammenzubekommen, ist zumindest mal ein erster Schritt. Das unterstützen wir vehement. Dauerhaft werden die Waffen nur schweigen, wenn es eine politische Lösung gibt.
Die Rolle der Türkei ist vielfältig diskutiert worden unter verschiedenen Aspekten, Stichworte Flüchtlinge, die Verbindungen zu Russland, jetzt der Einmarsch. Können Sie uns helfen zu verstehen, was Präsident Erdogan umtreibt?
Für uns ist es jetzt erst einmal wichtig, dass sich die Türkei wieder zurückzieht aus diesem 120-Kilometer-Streifen, der 30 Kilometer in Syrien hineinreicht, da es keine völkerrechtliche Legitimation für diese Offensive gegeben hat. Es mag sein, dass es in der Türkei Flüchtlinge gibt, die aus diesem Raum kommen und zumindest mittelfristig wieder dorthin zurückwollen. Uns ist von der Türkei zugesichert worden, dass Flüchtlinge dorthin nicht gegen ihren Willen gebracht werden, und auch, dass man sich wieder zurückzieht.
Dieser Einmarsch ist durch den Rückzug der USA möglich geworden. Zum Verhältnis zu den USA, die sich immer weiter zurückziehen wollen, und der bekannten Trump’schen Politik haben Sie das Wort von der „balancierten Partnerschaft" gebraucht. Was ist darunter zu verstehen?
Wir stellen zunächst einmal fest, dass die Außenpolitik, die Präsident Trump macht, eine andere ist als die, die sein Vorgänger gemacht hat. Wir, das heißt nicht nur Deutschland, sondern Europa, müssen das transatlantische Verhältnis neu ausbalancieren, weil die Prioritäten der amerikanischen Außenpolitik andere sind. Deswegen, finde ich, ist es höchste Zeit, unsere Partnerschaft neu zu vermessen – nicht um sie hinter uns zu lassen, sondern um sie zu erneuern und zu bewahren. Als Bauplan dient uns die Idee einer balancierten Partnerschaft: in der wir unseren ausgewogenen Teil der Verantwortung übernehmen. In der wir ein Gegengewicht bilden, wo die USA rote Linien überschreiten. In der wir unser Gewicht einbringen, wo sich Amerika zurückzieht. Und in der wir neu miteinander ins Gespräch kommen. Das muss man neu ausbalancieren, und da wird es wichtig sein – da hat Emmanuel Macron Recht – dass sich auch die Europäer verständigen müssen auch über sicherheitspolitische Fragen. Dabei wird man nicht gleich die Nato ersetzen oder für „hirntot" erklären müssen. Sie wird ein Teil der Lösung sein. Aber die Europäer werden sicherheitspolitisch mehr machen müssen, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
Wie muss man sich das konkret vorstellen? Was ersetzt da was oder ergänzt was? Es fällt noch schwer, sich das auszumalen.
Wie wir das Ziel eines starken und souveränen Europas am besten erreichen können, dazu müssen wir mit unseren französischen Freunden einen gemeinsamen Weg finden. Für Deutschland ist klar: Es wäre ein Fehler, wenn wir die Nato unterminieren würden.
Werden die Amerikaner in diesem Bündnis weiterhin der Taktgeber sein?
Ohne die Vereinigten Staaten sind weder Deutschland noch Europa imstande, sich wirkungsvoll zu schützen. Das hat zuletzt die russische Verletzung des INF-Vertrags sehr deutlich gemacht. Eine Außen- und Sicherheitspolitik ohne Washington wäre unverantwortlich, eine Entkopplung europäischer und amerikanischer Sicherheit gefährlich. Auf viele Jahre werden wir die Nato brauchen. Sie steht für Lastenteilung, für internationale Kooperation, für Multilateralismus. Und wenn Europa eines Tages fähig sein wird, seine Sicherheit selbst zu verteidigen, dann sollten wir die Nato weiterhin wollen. Ja, wir wollen das starke und souveräne Europa. Aber wir brauchen es als Teil einer starken Nato und nicht als deren Ersatz.
Eine stärkere Rolle Europas bei dem gleichzeitig geltenden und lähmenden Einstimmigkeitsprinzip ist aber ebenfalls schwer vorstellbar. Kommen wir in Europa zum Mehrheitsprinzip, auch um schneller reagieren zu können?
Ja. Das ist einer unserer Vorschläge. Wir sitzen immer mit 28 Außenministern zusammen. Und wenn auch nur ein Kollege Nein sagt, ist halt Nein, auch wenn die anderen 27 dafür sind. Das finde ich nicht sehr zufriedenstellend. Deshalb haben wir vorgeschlagen, bestimmte Bereiche herauszugreifen, bei denen wir mit qualifizierter Mehrheit entscheiden können. Das wird ein Thema für die neue Kommission, wenn sie endlich im Amt ist. Deutschland wird in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres die Ratspräsidentschaft haben, und dann wird es eines der Themen sein, die wir auf die Tagesordnung setzen. Es geht darum, dass wir richtig außenpolitikfähig werden und als Europäische Union strategischer handeln können.
Die Forderung nach mehr Verantwortung Deutschlands wird auch mit der wirtschaftlichen Stärke Deutschlands begründet. Ist das eine sinnvolle Begründung?
Die wirtschaftliche Stärke gibt uns Möglichkeiten, die andere nicht haben. Bei mehr Verantwortung geht es ja bei Weitem nicht nur um militärisches Engagement. Es geht darum, dauerhafte Friedenslösungen auf den Weg zu bringen. Wir sind in Mali militärisch präsent, und auch unser ziviles Engagement dort ist außerordentlich hoch. Es muss immer einen vernetzten Ansatz geben zwischen sicherheits- und zivilem Engagement. Wir wollen während unserer Präsidentschaft ein Kompetenzzentrum für ziviles Krisenmanagement gründen, das Europas Rolle als Friedensmacht stärkt. Länder, in denen es Kriege gegeben hat, liegen wirtschaftlich total am Boden. Viele, mit denen wir reden, erwarten Investitionen. Die Außenwirtschaft als Teil der Außenpolitik nimmt eine immer größere Rolle ein, was sich zwangsläufig dadurch ergibt, dass wir eine Exportnation sind. Hinzu kommt, dass wir zurzeit Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sind. Und wenn wir im nächsten Jahr noch die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union haben, wird es entsprechende Erwartungen an Deutschland geben – und dem wollen wir auch gerecht werden.
Im Zusammenhang mit einer stärkeren Rolle Deutschlands hat die Verteidigungsministerin auch einen Nationalen Sicher
heitsrat ins Gespräch gebracht.
Unabhängig davon sollten wir in außen- und sicherheitspolitischen Fragen immer europäisch denken. Wir sollten daher die Idee eines Europäischen Sicherheitsrat voranbringen. Kein Projekt für morgen, aber eine wichtige Orientierungsmarke am Horizont. Wir brauchen ein solches Gremium als den Ort, an dem die Europäer ihre außen- und sicherheitspolitische Arbeit bündeln, im institutionellen Gefüge der Europäischen Union und darüber hinaus. Großbritannien muss da auch weiter mit von der Partie sein, auch wenn es die Union verlässt.
Wenn wir Sie zu Gast haben, kommen wir natürlich nicht umhin, auch nach dem Zustand ihrer Partei zu fragen. Zeitgleich zu unserem Dialog stellen sich derzeit noch mal die beiden Kandidatenduos der Diskussion. Deshalb freuen wir uns umso mehr, dass sie trotzdem bei uns Gast sind.
Ich bin ja schon entschieden. (Lachen aus dem Publikum). Die Mitglieder können sich, glaube ich, ganz gut ein eigenes Bild machen. Also gibt es von mir als Außenminister auch keine Wahlempfehlung. Ich habe als SPD-Mitglied aber auch keine Lust, um den heißen Brei herumzureden. Ich kenne Olaf Scholz schon lange, habe gesehen, was er in Hamburg gemacht und geleistet hat und jetzt als Vizekanzler – etwa zuletzt bei den Verhandlungen über die Grundrente. Und: Es gibt ein Argument, das mir zu sehr unter den Tisch fällt. Wenn sich im Jahr 2019, also 30 Jahre nach dem Mauerfall, eine Partei eine Doppelspitze wählt, sollte zwingend auch einer aus dem Westen und einer aus dem Osten kommen. Die Möglichkeit gibt es nur mit dem Duo Klara Geywitz/Olaf Scholz.
Jenseits der Personalentscheidung der SPD, die jetzt langsam zum Ende kommt, geht es der Sozialdemokratie in Europa, mit einigen Ausnahmen, alles andere als gut. Woran liegt das?
Wenn man sich Europa betrachtet, ist es nicht so, dass es überall der Sozialdemokratie nicht so gut geht. In Portugal hat ein Sozialdemokrat gewonnen, in Dänemark eine Sozialdemokratin, auch in Spanien, wenn auch nicht ganz so, wie angestrebt. In Deutschland, glaube ich, haben viele den Eindruck, die SPD habe sich in letzter Zeit zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Das wird ein Ende haben, wenn die Vorsitzfrage geklärt ist. Im Moment ist einiges in Bewegung im Parteienspektrum. Ich glaube, wenn sich die SPD auf ihre Kernkompetenzen besinnt, auf die Menschen zugeht, soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt, aber auch Innovation, dann hat die Partei gute Chancen, sich zu erholen und zu behaupten.
Ist das für die SPD eine Frage des Stils, Sie haben gesagt: auf die Menschen zugehen, oder der Programmatik, oder beides?
Ich glaube schon beides. Politik hat auch mit Politikvermittlung zu tun. Aber es geht auch um Programmatik, wenn sich in unserer Gesellschaft so viel verändert, wirtschaftlich, sozial und mit der Digitalisierung. Ich glaube, dass die technische Entwicklung der Digitalisierung deutlich schneller ist als unsere gesellschaftliche Bewusstseinsveränderung. Ich finde, das muss auch ein großes Thema für die Fortschrittspartei SPD sein.
Eine Frage nach all den diskutierten Herausforderungen: Ist Optimismus eine Kategorie des Politischen?
Na, klar. Ohne Zuversicht ist es gar nicht auszuhalten auf der Welt. Ich hatte meine Kollegen aus der Europäischen Union zum 30. Jahrestag des Mauerfalls nach Berlin eingeladen. Einer von denen hat gesagt: Ich bin jetzt hier, weil der Fall der Mauer in Berlin mir auch meine Freiheit gebracht hat. Wenn wir über Zuversicht reden: Wie war das vor 30 Jahren? Da ging hier eine Mauer durch die Stadt, Millionen Bürger in der DDR waren nicht frei. Bei allen Schwierigkeiten, mit denen wir es heute zu tun haben: War es vor 30 Jahren besser, als wir eine Mauer hatten? Mit Blick auf das, was die Menschen in Deutschland, in Europa in den letzten Jahrzehnten erreicht haben, können wir auch die Herausforderungen von heute meistern. Deshalb bin ich zuversichtlich.