Kein Zufall: Der E-Auto-Pionier Tesla plant bei Berlin eine gigantische Fabrik. Zugleich drängt an die Spitze des Automobilverbandes eine Frau aus der Elektrizitätswirtschaft.
Seit der schillernde amerikanische Unternehmer-Star Elon Musk nach der Preisverleihung des „Goldenen Lenkrads“ in Berlin, quasi beim Rausgehen aus der Veranstaltung, die Bemerkung fallen ließ, er plane eine Fabrik bei Berlin, scheint die deutsche Auto-Welt kopfzustehen. Die neue „Giga-Factory“ soll in weniger als zwei Jahren in Brandenburg, wenige Kilometer östlich der Berliner Stadtgrenze, und damit ganz in der Nähe des künftigen Flughafens BER entstehen. Angeblich sollen bis zu vier Milliarden Euro investiert werden, ein beträchtlicher Teil davon EU-Mittel. Schon 2021 sollen die ersten Teslas vom Band laufen, wenn alles glatt läuft. Das heißt vor allem: Wenn die Behörden alle an einem Strang ziehen, wovon auszugehen ist, denn die Ansiedlung der Fabrik, die einmal 7.000 oder 8.000 Mitarbeiter beschäftigen soll, ist natürlich Chefsache in der Brandenburger Staatskanzlei in Potsdam.
Automobilbranche ist nach Dieselkrise tief verunsichert
Eine Fabrik für Elektroautos mitten in Deutschland? Manche sehen darin eine offene Kriegserklärung an die deutschen Hersteller, die mit ihren Otto- und Dieselmotoren über Jahrzehnte die Autotechnik im Inland und weltweit beherrscht haben. „Die deutschen Hersteller wissen längst, dass sie Elon Musk und Tesla sehr ernst nehmen müssen“, sagt Autoexperte Stefan Bratzel, Professor an der FHDW Bergisch Gladbach und Gründer des Center of Automotive Management (CAM). 2012 hat Tesla das erste Elektroauto ausgeliefert, als Start-up, quasi aus dem Nichts. „Nun baut Tesla eine Autofabrik in Deutschland, die erste eines ausländischen Herstellers seit Jahrzehnten“, so Bratzel.
Wie sehr die deutsche Automobilindustrie verunsichert ist, zeigt sich nicht zuletzt an einer Personalie, nämlich derjenigen des prominentesten Auto-Lobbyisten: des Präsidenten des VDA. Bernhard Mattes hat nach etwas über einem Jahr an der Spitze des Automobilverbandes das Handtuch geschmissen. Er war ganz offensichtlich nicht in der Lage, nach dem Dieselskandal die Interessengegensätze der vielen tief verunsicherten Firmen zu überbrücken und die Konflikte zu lösen, die sich aus dem halb gewollten, halb getriebenen Umstieg auf E-Mobilität auftun. Um die Nachfolge von Mattes wird geschachert und geworben. Sigmar Gabriel hat bereits abgewunken, Günther Oettinger, noch EU-Kommissar ist interessiert. Die besten Chancen aber hat eine Frau, deren Name die Debatte um das große „E“ einen ganz neuen Schwung geben dürfte.
Hildegard Müller wäre als oberste Repräsentantin der deutschen Automobilwirtschaft ein Signal: Der Job des deutschen Auto-Cheflobbyisten an der Spitze des VDA ist ein hochpolitischer Job, politische Erfahrung ist an der Stelle wichtiger als die eines Managers. Immerhin hatte ihn über zehn Jahre lang der ehemalige Verkehrsminister Matthias Wissmann inne, ein Mann mit besten Verbindungen zu CDU und Kanzleramt.
Das Entscheidende aber ist: Hildegard Müller beschäftigt sich seit über zehn Jahren nicht mit Mobilität, sondern mit – Stromleitungen. Von 2008 bis 2016 verantwortete sie als Hauptgeschäftsführerin des Industrieverbandes BDEW die Interessenvertretung der Strom-, Gas, und Wasserversorger. Von 2016 bis 2019 war sie Netzvorstand bei RWE, und nach der Umstrukturierung des Konzerns, bei Innogy.
Das Stromnetz gehört mit den Aufladepunkten und dem Akku des EU-Autos zu den Knackpunkten der ganzen E-Revolution. Nur wenn es gelingt, die Stromnetze für die Belastungen aus dem millionenfachen Laden von Auto-Akkus fit zu machen, kann der E-Mobilität der Durchbruch funktionieren. Noch ist nicht wirklich klar, ob das gelingen wird. Werden die nötigen Hochspannungsleitungen, die den Strom vor allem von Norden (wo der Wind weht) nach Süden bringen müssen, schnell genug gebaut? Reichen die Verteilnetze und ihre Kapazität aus? Gibt es genug Lademöglichkeiten? Gerade haben Stromnetzbetreiber in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Tschechien gefordert, die Leistung der Ladesäulen zu begrenzen, weil die Netze sonst zu sehr beansprucht werden könnten.
Das Ziel der Bundesregierung ist, dass in zehn Jahren in Deutschland etwa eine Million Ladepunkte stehen. Dann sollen auf den deutschen Straßen sieben bis zehn Millionen E-Autos fahren, so der neue „Masterplan“ der Bundesregierung. Ohne ausreichend Ladepunkte bleibt das Fahren mit E-Auto schlicht zu unbequem und zu riskant. Je mehr Ladesäulen es gibt, umso größer ist die Bereitschaft zum Kauf eines E-Autos. Derzeit gibt es erst rund 21.000 Ladestationen, die Hälfte davon kommunale. Laut Masterplan sollen in den nächsten zwei Jahren 50.000 neue Ladestellen gebaut werden. Die Autoindustrie will davon 15.000 Stück beisteuern. 50 Millionen Euro stellt die Bundesregierung zur Finanzierung bereit. „Wir arbeiten eng mit den Herstellern wie Volkswagen zusammen. Die kennen den Kundenbedarf, wir kennen die Lage vor Ort und die Netzinfrastruktur“, sagte Katherina Reiche, die Hauptgeschäftsführerin des VKU, des Verbandes der Stadtwerke, nach einem Treffen mit VW-Spitzenvertretern in Wolfsburg. VW setzt inzwischen komplett aufs „E“ und investiert in den kommenden Jahren mehr als 30 Milliarden Euro in die Elektro-Mobilitätstechnik. Im Werk Zwickau hat vor wenigen Tagen die Massenproduktion des Modells ID.3 begonnen. VW unternimmt gerade die größte E-Offensive der Automobilindustrie überhaupt. Dazu gehört auch, dass VW selbst 8.000 Ladestationen errichten will.
Das alles wird das Stromnetz vor gewaltige Herausforderungen stellen. Was passiert, wenn Millionen E-Autos gleichzeitig geladen werden wollen? Die Zusammenarbeit von VW und den Stadtwerken zeigt, dass diese Herausforderung nur in einem riesigen Gemeinschaftsprojekt öffentlicher und privater Akteure zu stemmen ist. Anders als bei Tankstellen kann man das nicht einfach dem Markt überlassen, es muss geplant werden. Das ist neu: Die Autoindustrie hat traditionell gar keine Erfahrung mit öffentlicher Infrastruktur: Ihre Produkte sind mobil, Fragen des Bodens, ob rechtlich oder technisch, spielten bislang für sie praktisch keine Rolle.
Hier ist daher auch eine ganz neue politische Sensibilität erforderlich, von der die Autoindustrie in der Vergangenheit eher wenig hatte. Der Dieselskandal hat das nun jedem in aller Deutlichkeit gezeigt. All das wird auch einen ganz neuen Typ Manager notwendig machen.
Hildegard Müller könnte für einen solchen Typus mit „politischen Antennen“ stehen, wie wenige andere sonst. Die 52-Jährige begann ihre Karriere als Vorsitzende der Jungen Union, war dann zu Beginn von Angela Merkels Kanzlerschaft drei Jahre lang Staatsministerin im Kanzleramt. Als Verbandschefin des Branchenverbandes BDEW hat sie den Beginn der Energiewende miterlebt und mitgestaltet. Dagegen stünde etwa der bisherige EU-Kommissar Oettinger, der seine politische Herkunft als früherer Ministerpräsident des Automobil-Ländles Baden-Württemberg schon sprachlich nicht verstecken kann, als Person sehr viel weniger für einen Neuanfang und einen Abschied vom Verbrenner als die „Powerfrau“ Müller.
Neue politische Sensibilität ist gefragt
Automobilexperte Stefan Bratzel hält die Personalie Hildegard Müller für bemerkenswert. „Die Automobilwirtschaft ist nach dem Dieselskandal tief verunsichert. Dass Hildegard Müller als Chefin des VDA gehandelt wird, ist bezeichnend. Der Verband lässt sich da auch nichts von außen aufdrängen, das kommt von innen.“ Er sieht große Herausforderungen auf den künftigen Cheflobbyisten zukommen: „Ich würde mir eine Person an der Spitze des VDA wünschen, die das nötige Charisma hat und eine inhaltlich überzeugende Vision entwickelt und vertritt, um der ganzen Industrie wieder eine Perspektive zu verschaffen.“ Die aktuelle Unsicherheit betreffe ja nicht nur die großen Hersteller, sondern auch alle von ihnen abhängigen Zulieferer, die sich zum Teil komplett umstellen werden – wenn es denn überhaupt noch eine Aufgabe für sie gibt.
Vor wenigen Tagen hat Hildegard Müller den Bundesverdienstorden wegen „herausragender Verdienste um das Gemeinwohl“ erhalten. Gut möglich, dass sie sich in Zukunft auch noch um das Autoland Deutschland verdient machen wird.