In der CDU ist etwas Ruhe eingekehrt – zumindest für den Moment. Annegret Kramp-Karrenbauer hat die Vertrauensfrage überzeugend gewonnen. Die K-Frage bleibt aber offen, ebenso interne Macht- und Richtungsfragen.
CDU-Fraktionschef Ralf Brinkhaus ist bekannt für seine innere Ruhe und seinen larmoyanten Umgang. Besonders herzlich fielen die Begrüßungen mit den Kollegen nach dem Bundesparteitag aus. Das sei ja alles „großartig gelaufen", dazu noch endlich mal viel positives Medienecho. Selbst Mitglieder, die nun nicht unbedingt zum AKK-Fanclub gehören, kommen in den Genuss dieser Herzlichkeit. Ralf Brinkhaus wäre ein idealer Moderator für eine große Samstagabendshow im Fernsehen – würde es so etwas noch geben.
Trotz etwas erleichterterer Stimmungslage ist in der Fraktion weiter klar: Die Parteichefin muss jetzt liefern. Man hat zur Kenntnis genommen, dass die 5G-Huawei-Entscheidung nun in der Bundestagsfraktion getroffen werden soll – eine Aufwertung der Fraktion. Dagegen spielte die Werte-Union keine Rolle. Kann sie ja auch gar nicht, denn sie ist keine offizielle Gliederung der Partei. Aber ihr Geist ist weiter wach. Zur Werte-Union gehört auch Kristy Augustin, Chefin der Frauen-Union (FU) in Brandenburg und Landwirtschaftsexpertin. Die 40-Jährige ist Abgeordnete in Potsdam, wo sich der Landtag gerade neu konstituiert hat. Für Kristy Augustin ist zum Beispiel die Debatte um eine Frauenquote in der Union noch lange nicht beendet. „Wir haben einen Teilerfolg erzielt, und nun muss die Kommission ihre Arbeit machen. Aber es kann doch nicht sein, dass bereits die FU-Ehrenvorsitzende Rita Süssmuth bereits vor 30 Jahren das Thema auf dem Schirm hatte und bis heute nichts passiert ist." Die Brandenburgerin ist sich sicher: In einem Jahr wird es die Frauenquote für Parteiämter geben.
Der Fraktionschef der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus glaubt das eher weniger. Burkard Dregger, Sohn von Partei-Urgestein und Hardliner Alfred Dregger, hält eine Frauenquote für völligen Unsinn. „Als Mann kann man in dieser Diskussion ohnehin nur verlieren. Aber ganz im Ernst: Wenn zum Beispiel die Bundestagsfraktion nur einen Frauenanteil von 20 Prozent hat, wie wollen sie dann die Ämter zu 50 Prozent mit Frauen besetzen?" Die Partei hat eine Frauenquote von etwas unter 30 Prozent. „Und da geht es für uns darum, dass die Besten die Ämter besetzen sollen. Wenn das Frauen sind, bin ich immer vorne mit dabei." Burkard Dregger hält ganz andere Aufgaben für vordringlich und sieht sich da an der Seite von CSU-Chef Markus Söder: der Kampf der Union gegen die Grünen. „Wir müssen jetzt erstmal die ganzen verirrten grünen Wähler, die früher mal CDU gewählt haben, wieder zurückgewinnen." Damit geht der Berliner CDU-Fraktionschef auf Konfrontationskurs zu Daniel Günther. Der Jamaika-Regierungschef in Schleswig-Holstein sieht auf Bundesebene nur eine Chance in einer Koalition mit den Grünen.
Vor einer Arbeitsteilung, wonach Union und Grüne jeweils ihre Kernthemen voranbringen und nicht zwingend zuerst im anderen Garten grasen, warnt neben Dregger auch der ehemalige Euro-Rebell der CDU, Klaus-Peter Willsch. Für den 58-Jährigen geht der ganze Kurs der CDU sowieso viel zu sehr in Richtung Schwarz-Grün. Willsch ist Direktkandidat der Hessen-CDU und kann von daher ganz offen reden. Ihm kann keiner was, außer seinen Wählern. Und die fremdeln ganz offen, mit der Kanzlerin sowieso, aber auch mit der derzeitigen Parteivorsitzenden. Es sind die unendlichen Satzgirlanden der Annegret Kramp-Karrenbauer, die kaum ein Zuhörer sofort versteht – verstehen kann. „Ich sehe, dass Friedrich Merz Hallen füllt. Mein Neujahrsempfang in Limburg zum Beispiel im kommenden Februar ist dank Friedrich Merz schon jetzt total ausgebucht. Mit Annegret Kramp-Karrenbauer ist sowas nicht möglich", meint Willsch. Ein Indiz hinsichtlich der Kandidatenfrage und Erfolgsaussichten?
Im Zweifel setzt AKK auch mal alles auf eine Karte
Während der Parteitag im Leipziger Congress Center, Halle 2, seinem Ende entgegengeht, sitzen Jens Spahn und Friedrich Merz einträglich in den Delegiertenreihen zusammen. Um sie herum nur leere Stühle. Viele ihrer Parteifreunde sind längst auf dem Weg nach Hause, so ein Parteitag ist anstrengend, vor allem nach einem Sachsen-Abend. Ein Parteifreund tritt an die Kanzlerkandidaten-Anwärter in spe heran, möchte sich von Friedrich Merz persönlich verabschieden. Dieser reicht ihm freundlich die Hand, entschuldigt sich dann aber. „Ich möchte mich einfach mal mit Jens in Ruhe über unsere Zukunft unterhalten". Die beiden plaudern gut eine halbe Stunde miteinander, keine Aufgeregtheiten. Jens Spahn und Friedrich Merz scheinen tiefenentspannt. Kein Wunder, nichts ist entschieden, das Rennen um die Kanzlerkandidatur in der Union ist weiterhin völlig offen. Dass CSU-Chef Söder seinen Hut in den Ring wirft, gilt als ausgeschlossen. Seine Parteitagsrede war furios und hat gezeigt, wie sowas in weniger als 40 Minuten geht. Aber Söder muss erstmal in Bayern eine Wahl wirklich gewinnen, also mit absoluter Mehrheit für die CSU.
Die K-Frage bleibt offen, dafür hat auch AKK mit ihrem Auftritt gesorgt. Medial mag das eine spannende Dauerspekulation sein, so wie die Debatte um die Urwahl, die vom Deutschlandtag der Jungen Union losgetreten wurde. Für Friedrich Merz war der entsprechende Antrag auf dem Bundesparteitag eher idiotisch. Selbst wenn die SPD nach ihrem Parteitag im Dezember aus der großen Koalition austeigen sollte, wofür derzeit ziemlich wenig spricht, könnte Kanzlerin Angela Merkel ohne Probleme weiter regieren, in einer Minderheitsregierung. Der Haushalt für 2020 ist unter Dach und Fach. Die Bundeskanzlerin kann damit also im kommenden Jahr auch ohne eigene Mehrheit durchregieren und bliebe solange im Amt, bis es eine neue Mehrheit gibt, die das oberste Regierungsamt neu besetzen kann.
Das bedeutet umgekehrt auch, dass CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sich in dieser Zeit in den Niederungen der Parteipolitik durchwursteln und nebenbei ihren Job auf dem Minenfeld der Verteidigungsministerin meistern müsste. Ihre Herausforderer Jens Spahn und Friedrich Merz können dabei bequem zuschauen. AKK steht unter Druck, die beiden möglichen Konkurrenten haben alle Zeit der Welt. Frei nach einem afghanischen Sprichwort: Sie hat die Uhr, die beiden die Zeit. Dass auch Spahn als Gesundheitsminister im Regierungsamt gefordert ist, ist weniger ein Problem. Er hat Erfolg bei seiner Arbeit. In der Bundestagsfraktion ist er längst Everybody’s Darling und gilt als Gegenentwurf zum Grünen-Chef Robert Habeck. Dann müsste nur noch Friedrich Merz überraschend auf die Kanzlerkandidatur im kommenden November verzichten und stattdessen Jens Spahn empfehlen. Wobei sich durchaus auch andere Varianten spekulieren ließen. AKK jedenfalls ist immer für Überraschungen gut. Das war so, als sie als Generalsekretärin antrat. Das war so beim Dreikampf um die Parteispitze, als sich nicht wenige Kommentatoren eher den Konkurrenten zugeneigt hatten. Das war beim Wechsel in die Kabinettsdisziplin auf einen Schleudersitz so. Und den Befreiungsschlag auf diesem Parteitag hatten ihr auch nicht mehr viele zugetraut. Obwohl bekannt sein könnte, dass sie im Zweifel auch Risiken eingeht und alles auf eine Karte setzt.