Adel Tawils Songs sind aus der deutschen Radiolandschaft nicht mehr wegzudenken. Das aktuelle, dritte Album des 41-jährigen Berliners trägt den Titel „Alles lebt“. Im Interview spricht Adel Salah Mahmoud Eid E-Tawil über Rassismus in Deutschland und Glücksgefühle auf der Bühne.
Adel, bei Ihrem aktuellen Album „Alles Lebt“ haben Sie mit dem Duisburger Hip-Hop-Produzenten Juh-Dee alias Marcel Uhde gearbeitet. Wie hat er Ihnen bei der Umsetzung Ihrer Vision geholfen?
Schon das Lied „Bis hier und noch weiter“ vom letzten Album „So schön anders“ war eine Zusammenarbeit mit Juh-Dee, KC Rebell und Summer Cem. Juh-Dee hat gleichzeitig aber auch ein großes Verständnis für Pop. Auf meinem letzten Album habe ich viele Erfahrungen meines Lebens in zum Teil traurigen Liedern verarbeitet. Beim jetzigen Album wollte ich viele neue Komponenten einfließen lassen und auch soundmäßig neu klingen. Die Zusammenarbeit mit Juh-Dee hat dazu einen großen Teil beigetragen. Die erste Session dazu hatten wir in New York.
Wie fruchtbar war die Zeit in New York?
Wir hatten eine Wohnung in Chinatown über Airbnb gefunden – in einem Haus mit chinesischen Brautmoden. Die Wände bestanden aus dünnen Spanplatten, aber wir konnten nachts laut sein, weil das Geschäft um 18 Uhr zu machte. Normalerweise gehe ich zum Schreiben nach Hawaii, aber New York war diesmal genau richtig. Es war der Startschuss für das neue Album. Aufgenommen habe ich es dann in Berlin, und zwischendurch war ich noch auf Hawaii zum Songwriting.
Haben Sie im Studio mit Autotune gearbeitet, um nachzuhelfen, wenn Sie etwas nicht perfekt gesungen haben?
Ich bin kein Fan von Autotune, ich mag es pur am liebsten. Bei den Beats auf meiner Platte würde man zwar an einigen Stellen eine Autotune-Stimme erwarten, aber ich kann versichern, sie ist echt. Mir fallen selbst Melodien ein, ohne dass ich Hilfsmittel brauche.
„Sie rennt“ erzählt eine Fluchtgeschichte. Wie haben Sie für den Song recherchiert?
Er ist im Zuge der #metoo-Debatte entstanden. Ich dachte dabei an eine starke Frau, die ihr Leben noch einmal komplett neu ordnen muss. Das ist ab einem bestimmten Alter gar nicht so einfach. Es ist eine Geschichte über einen Menschen, der es in seiner Situation nicht mehr aushält und dem am Ende alles gelingt, was er sich erträumt hat. Ich wollte, dass es positiv ausgeht. In jedem Song steckt auch immer etwas von mir selbst drin.
In „Wohin soll ich gehen“ erzählen Sie von Menschen, die in Deutschland zu Hause sind und trotzdem immer wieder zu hören bekommen, dass sie hier nicht hingehören. Haben auch Sie diese Erfahrung gemacht?
Glücklicherweise bin ich in Berlin-Siemensstadt aufgewachsen, weil meine Mutter bei Siemens gearbeitet hat. Dort lebten Gastarbeiter aus aller Herren Länder. Zu meinem Freundeskreis gehörten Leute aus 15 Nationen. Von daher gab es bei uns keine Ressentiments, aber heute geht es rauer zu. Das macht mir Sorgen. Durch den rauen Jargon von gewissen Politikern fühlen sich radikale und populistische Kräfte legitimiert, noch lauter zu sein. Es entwickelt sich momentan in eine unschöne Richtung.
Ist das Rassismus?
Im Kern ja. Wir hätten diese Diskussion nicht, wenn 800.000 Schweden nach Deutschland eingewandert wären. Es ist die Angst vor dem Anderssein. In meinem Lied geht es nicht nur um Flüchtlinge, es könnten auch Homosexuelle oder Andersgläubige sein. Ich wollte mit diesem Lied nicht auf Angriff schalten, sondern Populisten die Frage stellen: „Wohin soll ich deiner Meinung nach gehen?“ Ich bin hier geboren, ich liebe dieses Land, ich esse deutsch, ich denke deutsch. Ich singe sogar auf Deutsch. Die meinen ja auch mich damit, wenn sie auf den Straßen skandieren: „Geht ihr alle nach Hause!“ Darüber habe ich ein Lied gemacht. „Wohin soll ich gehen“ ist eine Liebeserklärung an Deutschland. Ich erfahre Liebe, egal wo ich hinkomme. Besonders in Sachsen, Thüringen und Brandenburg habe ich über viele Jahre grandiose Situationen bei meinen Konzerten erlebt.
Kommen Sie mit AfD- und Pegida-Leuten ins Gespräch?
Ich diskutiere schon mit dem einen oder anderen im Alltag. Dann merke ich, dass da eine Angst vor Flüchtlingen besteht. Ich kann das nachvollziehen. Ich gehöre nicht zu denen, die der AfD den Mittelfinger zeigen. Diese Partei ist demokratisch gewählt worden. Ich sehe sie jedoch skeptisch, weil sie zum Beispiel die Sprache verrohen lässt. Aber nicht jedes AfD-oder Pegida-Mitglied ist radikal. Da sind Menschen dabei, die mit der allgemeinen Entwicklung überfordert sind und nur noch das sehen, was sie sehen wollen. Darauf möchte ich aufmerksam machen. Man kann das auch anders lösen, indem man aufeinander zugeht. Ich fand zum Beispiel den provokanten Sachsen-Titel vom Spiegel überzogen.
Können Künstler dazu beitragen, dass der soziale Zusammengehalt gestärkt wird?
Ja, solange Musik Liebe als Überthema hat. Es können auch traurige oder anklagende Lieder sein. Was ich überhaupt nicht verstehe, ist, dass mit Musik auch Hass gepredigt wird. Das passt für mich gar nicht zusammen. Für mich hat Musik die Funktion, Brücken zu bauen. Sie hat mir immer dabei geholfen, Vorurteile abzubauen.
Künstler und Fremdenfeindlichkeit – das ist eigentlich ein Anachronismus.
Das ist völlig absurd! Ich frage mich manchmal: Herrscht bei rechtsradikalen Bands gute Laune im Backstagebereich? Wenn ich live spiele, dann macht das etwas mit mir. Manchmal bin ich auch ungerecht oder habe einen schlechten Tag – und dann gehe ich auf die Bühne und singe meine Lieder. In dem Moment wird mir wieder bewusst, was da passiert ist. Ich gehe immer mit einem aufgeräumten, positiven Gefühl von der Bühne. Aber Typen, die zwei Stunden lang über Hass singen, müssen sich doch total scheiße fühlen, wenn sie von der Bühne gehen.
Sie sind voriges Jahr Vater geworden. Wie hat das Ihr Denken verändert?
Ich bin schon immer politisch interessiert gewesen, aber jetzt als Vater mache ich mir noch mehr Gedanken. Es gibt für mich keinen Grund, den Klimaforschern nicht zu glauben. In zehn Jahren werden die ersten Sachen eintreten, die nicht mehr umkehrbar sind. Mein Kind hat zu dem Zeitpunkt noch sein ganzes Leben vor sich. Wir Menschen sind Meister im Verdrängen. Und wir verlassen uns sehr auf die Technik. Ich bin oft in El Gouna in Ägypten. Dieses private Projekt bekommt fast jedes Jahr einen Preis für die grünste Stadt der Welt. Dort wird Wasser zum Beispiel viermal wiederverwendet. Politiker hingegen handeln nicht, weil sie zu sehr von Lobbyisten abhängig sind. Mein Lied „Katsching“ befasst sich mit dem ständigen Konsum und dass man nie satt und zufrieden ist.
In „Katsching“ kritisieren Sie den Kapitalismus. Aber Sie profitieren auch von ihm. Wie gehen Sie mit dem Spagat um?
Ich will den Kapitalismus nicht per se schlecht machen. Er darf nur nicht komplett außer Kontrolle geraten. In Berlin werden wir irgendwann solche Mieten wie in London oder Paris bezahlen und für viele Menschen wird der Wohnraum dann nicht mehr bezahlbar sein. Wir sollten uns überlegen, ob wir in so einer Gesellschaft leben wollen. Hier ist die Politik gefragt und in der Pflicht, eine vernünftige Balance zu finden.
Investieren Sie Ihr Geld in nachhaltige Projekte?
Ich fange jetzt an, mir gewisse Projekte auszusuchen. In El Gouna gibt es ein paar Sachen, die man durchaus fördern kann. Ich bin aber kein Klimapapst, ich verbrauche auch Wasser und Strom und esse gern mal Fleisch. Aber ich bin mir bewusst darüber, was ich mache. Es gibt heute sehr engagierte, politisch denkende junge Menschen. Auf der anderen Seite wird auf Instagram der Konsum so sehr verherrlicht wie noch nie. Die Botschaft lautet: Wenn du den dicksten Wagen und die fetteste Uhr hast, bist du glücklich. Das macht mir Sorgen.
Geld ist ein Lieblingsthema in der Hip-Hop-Musik. Woher kommt eigentlich der Hang zum lustvollen Protzen?
Ich glaube, es ist eine Art Kompensation und ein Ventil. Je mehr Statussymbole man nach außen zeigen kann, desto erfolgreicher ist man. Da wird mit falschen Idealen gespielt und einem etwas vorgemacht. Die Realität ist eine andere. Als ich jünger war und meine ersten Erfolge hatte, ließ ich mich auch davon blenden.
Wer oder was brachte Sie zum Umdenken?
Annette Humpe. Sie fragte mich: „Was willst du mit einem Sportwagen? Den kannst du in Berlin sowie nicht schnell fahren.“ Zuerst reagierte ich trotzig, aber später musste ich ihr Recht geben.
Sie sind seit 2017 Präsident der ZNS Hannelore-Kohl-Stiftung, einer Hilfsorganisation für Unfallopfer mit Verletzungen des Zentralen Nervensystems. Erdet Sie dieses Ehrenamt?
Ja, das ist für mich eine völlig neue Welt. Ich bin nicht nur Schirmherr, sondern aktiv an der Stiftung beteiligt. Ich nehme an Sitzungen teil und versuche, der Stiftung ein neues Gesicht zu geben. Viele Kids wissen gar nicht mehr, wer Hannelore Kohl überhaupt war. Die Stiftung unterstützt höchst professionelle Forschungsprojekte. Ich sitze da tatsächlich mit den besten Chefärzten am Tisch. Daran merke ich, dass es bei der ZNS wirklich ein großes Engagement im medizinischen Bereich gibt.
Wie sehr hat der Badeunfall, bei dem Sie sich 2016 den ersten Halswirbel viermal brachen, Ihr Leben verändert?
Ich bin manchmal noch etwas eingeschränkt, aber die Wirbel sind ohne OP wieder zusammengewachsen. Ich weiß jedoch nicht, wie stabil das ist.
Welche Dinge sind heute für Sie tabu?
Mich interessiert es nicht mehr, mit 250 km/h über die Autobahn zu brettern. Früher bin ich gern in Ägypten Motocross gefahren. Die Maschine habe ich verkauft, weil ich keine Lust mehr auf diese Erfahrungen habe. Das liegt auch daran, dass ich Vater geworden bin.
Wie halten Sie es mit Stagediving?
Mein Publikum ist nicht bekannt dafür, dass es von mir Stagediving fordert. 2014 habe ich mit dem Amerikaner Matisyahu das Lied „Zuhause“ gemacht. Er macht bei seinen Konzerten immer Stagediving. Und er tat es auch bei mir in der Barclaycard Arena in Hamburg. Ich weiß noch, wie er sich auf die Absperrung stellte, die Leute ihn aber nur fassungslos angeguckt haben. Zum Glück haben sie ihn aufgefangen, aber es war definitiv eine kritische Situation. Ich habe es ihnen lieber erspart aus bekannten Gründen. Nach dem Badeunfall habe ich einen Gang zurückgeschaltet und mich gefragt, was ich eigentlich vom Leben will. Was wäre gewesen, wenn ich in den Rollstuhl gemusst hätte? Ich habe mich gefragt, was mir wirklich wichtig ist.
Auf welche Antwort sind Sie gekommen?
Ich wollte Vater werden. Ursprünglich wollte ich Kinderarzt werden und eigene Kids haben. Mein 40. Geburtstag war für mich ein Einschnitt. Bis dahin konnte ich Halligalli machen, aber dann musste ich erwachsen werden. Doch die Musik verhindert das Erwachsenwerden ein bisschen. Ich liebe es, mit meinen Jungs Mucke zu machen. Bei uns ist Verantwortung nicht das Hauptthema. Aber mein Kind hat mein Leben wirklich auf den Kopf gestellt. Darüber bin ich sehr glücklich. Es war genau der richtige Zeitpunkt.
In „Neues ich“ besingen Sie die Freuden des Vaterseins. Wie lange haben Sie nach der Geburt gebraucht, um sich mit der neuen Situation auseinanderzusetzen?
Es war ein schleichender Prozess. Unser Kind war geplant. Natürlich war erst einmal alles neu und unwirklich, aber dann wächst der Beschützerinstinkt in einem. Im Januar 2018 hatte ein falscher Raketenalarm den US-Bundesstaat Hawaii im Pazifik in Angst und Schrecken versetzt.
Hatten Sie in dem Moment Angst um sich und Ihre Familie?
Es ging alles super schnell und ich habe nur funktioniert. Aber ich habe da auch Tränen gesehen. Ein paar Leute haben ihre Familien angerufen. Alle, die den Ortungsdienst eingeschaltet hatten, erhielten eine Push-Warnung mit dem Hinweis: „Das ist keine Übung“. Unsere Yoga-Lehrerin Ellen Einhorn versuchte, uns zu beruhigen, indem sie sagte: „Ich würde Gefahr spüren, aber ich spüre nichts!“ Sie lebt an der hippiesken Captain-Cook-Bucht in einem Zelt im Wald. Vielleicht war sie ein bisschen feinfühliger als wir Großstadtkinder, aber ich konnte dem nicht voll vertrauen. Es war eine sehr dramatische Situation. Da bekommt man natürlich Panik, aber ich habe versucht, Ruhe auszustrahlen.
Wie haben die anderen Menschen sich verhalten?
Auf den Straßen war die Hölle los. Angst ist in Amerika vorherrschend. Manche haben mitten auf der Straße gehalten, um zu telefonieren. Andere haben Gullideckel geöffnet und ihre Kinder in die Kanalisation geschoben. Eine Frau meinte zu uns: „Trump is starting world war III“. Wir hatten keine Informationen, weil das Netz überlastet war. Erst im Krankenhaus haben wir erfahren, dass es glücklicherweise nur ein Fehlalarm war. Das Ereignis hat mir die Augen geöffnet: Die Gefahr eines Atomschlags ist real! Auf der Welt gibt es gerade verschiedene Brandherde. Der impulsive Donald Trump war zum Glück gerade auf dem Golfplatz, als der falsche Alarm ausgelöst wurde, der vor einer nordkoreanischen Rakete warnte. Im Oval Office hätte er vielleicht sofort zurückschießen lassen. Das wäre ein Fehler gewesen – und wir hätten Krieg gehabt.
Spürt man in Hawaii den Klimawandel?
Das kann ich nicht sagen. Hawaii hat für mich etwas Magisches, weil man dort durch verschiedene Klimazonen fährt. Mein Freund Marlo, der in Hawaii seinen Seelenfrieden finden wollte, lebt mittlerweile wieder auf dem Festland. Zuerst wurde Trump Präsident, dann gab es auf Hawaii diesen Raketenalarm und schließlich brach dort, wo wir immer gewesen sind, der Vulkan Kilauea aus. Genau in unserem Viertel ging der Boden auf und Lava quoll heraus. Das war für Marlo zu viel.
Welches waren eigentlich die ganz besonderen Augenblicke in Ihrer bisherigen Karriere?
Ein Tischtennisturnier mit einem Konzert in der TUI-Arena in Hannover – und einem speziellen Match zwischen Timo Boll und mir. Der Europameister gegen mich! Tagsüber spielten die fünf stärksten Profis gegeneinander und anschließend habe ich ein Konzert gegeben.
Nach welchen Bedingungen lief das Match gegen Timo Boll ab?
Wenn ich einen Punkt mache, habe ich das ganze Ding gewonnen. Und wenn es 11:0 ausgeht, hat er gewonnen.
Wie ging es aus?
11:0 für Timo Boll natürlich. Es gab aber hin und wieder einen guten Schlagabtausch. Ich hatte einen Run und habe ein paar Mal geschmettert, aber Boll hat alle Runden ganz entspannt gewonnen.