Im französischen Harskirchen, unweit von Sarre-Union, betreiben Roger Roeser und seine Familie die letzte Wassermühle an der Saar, die „Moulin de Willer“. Mit ihrem Weizenmehl beliefern sie Kunden in der Region und machen auch leckere Pizzen und Flammkuchen damit.
Die Saar erlebt auf ihrem 235 Kilometer langen Weg vom Donon bis nach Konz sehr unterschiedliche Landschaften. Dabei gibt es außergewöhnlich schöne Ecken. Eine Gegend, in der die Saar durch eine wunderschöne Natur fließt, ist das sogenannte krumme Elsass. Hier sind ihre Ufer mit dichtem Schilfrohr umrahmt, und sie fließt in zahlreichen Windungen durch das flache Land. Ursprünglich, ohne dass Menschen viel verändert haben. Wir steuern heute das verschlafene Dörfchen Harskirchen an, nicht weit von Sarre-Union. Dort betreibt Familie Roeser die letzte Mühle an der Saar. Dazu öffnet sie am Wochenende ihr kleines Restaurant gegenüber, wo es überwiegend Flammkuchen und Pizza gibt. Die Geschichte der Mühle geht auf das Jahr 1532 zurück, in diesem Jahr wurde sie gebaut. 1713 wurde sie komplett renoviert und umgebaut. Fürst Heinrich von Nassau-Usingen-Saarbrücken hatte diese Arbeiten damals in Auftrag gegeben. 1921 kaufte der Urgroßvater des jetzigen Betreibers die Mühle und erweiterte sie um zwei Stockwerke. Er modernisierte alles und konnte nun auf vier Stockwerken arbeiten. Auf jedem Stock ist eine Maschine, die eine andere Arbeit verrichtet. Der Holzmechanismus der Mühle ist seit 1921 unverändert geblieben. Roger und Ariane Roeser sind die dritte Generation der Familie Roeser, die von diesem alten Bauwerk lebt. Sohn Philippe arbeitet schon seit geraumer Zeit mit. Seine Eltern hoffen, dass er eines Tages die Mühle übernehmen wird.
Roger Roeser erzählt, dass es in Frankreich an der Saar vor einigen Jahrzehnten noch elf Mühlen gab. Heute ist seine Familie die einzige, die eine Mühle mit Wasserkraft betreibt. Er selbst kam schon sehr jung zu seiner Profession. Sein Großvater stand noch mit 86 Jahren in der Mühle. Roger Roeser ging bei ihm in die Lehre. Nach dessen Tod musste er die Arbeit übernehmen und war damals einer der jüngsten Müller Frankreichs – noch keine 20 Jahre alt.
Das gewaltige Mühlrad dreht sich sieben Tage die Woche. Wir stehen am Geländer, oberhalb des Wehrs, und schauen den Wassermassen zu, die Richtung Mühlrad fließen. Das Rad ist aus Eisen, die Schaufeln sind aus Holz. Alle zwölf Jahre wird das Holz ausgewechselt. Das Mühlrad, an der Front offen, ist von einer dicken Mauer umgeben, die den Schall dämpft. Das Wasser fließt in Strömen zum Mühlrad. Ich schaue rüber zur Saar, sehe im Hintergrund eine ursprüngliche Landschaft mit grünen Wiesen. Roger Roeser zeigt mir auf der Achse des Mühlrads ein großes Zahnrad. Dieses überträgt die Wasserkraft auf das Räderwerk des Generators. So wird aus Wasserkraft Strom.
Drei unterschiedliche Mehltypen
Vor der Mühle stehen zwei große Getreidesilos, ein dickes Rohr verbindet sie mit der Mühle. Dieses Rohr führt zum Mühlstein, von einer kleinen Rolle werden die Weizenkörner hier erfasst und zermahlen. Durch den Einsatz unterschiedlicher Rollen erhält der Müller seine unterschiedlichen Mehltypen. Durch ein weiteres Rohr wird das gemahlene Mehl nach oben geleitet und in unterschiedlich große Säcke und Tüten zum Verkauf abgefüllt. 5.000 bis 6.000 Stufen legt Roeser täglich etwa zurück. Das hält fit.
Familie Roeser mahlt in ihrer Mühle nur Weizen, der von Bauern aus der Umgebung stammt. Im Winter gibt es immer etwas mehr zu tun als im Sommer, erzählt er. Das Mehl, das hier gemahlen wird, hat nichts mit einem Industrieprodukt zu tun. Es wird rein durch Wasserkraft und Handarbeit hergestellt. Roeser macht drei Typen Mehl: 405, 550 und 650. Das feinste ist Typ 405, geeignet für Gebäck und Kuchen. 550 und 650 sind für die Bäckereien, da sie gröber sind. Daraus wird etwa Baguette gemacht. Die Roesers beliefern Bäckereien, Metzgereien und ein paar größere Geschäfte in der Gegend, die ihr Mehl verkaufen. Außerdem beliefern sie auch Kunden im Umkreis. Das kleine angeschlossene Restaurant wurde 1994 eröffnet – mit einem alten Ofen, in dem die Pizzen und Flammkuchen gebacken werden. Im Restaurant umsorgen Ehefrau Ariane und freundliche Mitarbeiterinnen die Gäste. Roger Roeser steht am Ofen und backt die herrlichen Pizzen und Flammkuchen. Das lässt er sich nicht nehmen. Manchmal gibt es auch kalte Platten und geräucherte Forellen. Aber vor allem lieben die Gäste hier den „Flamm“. Ganz traditionell mit Crème fraîche, Zwiebeln und Speck, aber auch in einigen anderen Varianten, etwa mit Munster. Es stehen mehrere Flammkuchen auf der Karte. Auch mit Äpfeln. Und Äpfeln und Calvados. Wir probierten die Tarte flambée und die Variante mit Munster. Sehr gut! Wer keinen Flamm möchte, hat die Auswahl zwischen zwölf Pizzen.
„Unter unseren Gästen sind auch viele Deutsche“, erzählt der Hausherr. „Aus der Gegend von Saarbrücken, aber auch viele aus der Homburger Ecke. Franzosen kommen von Metz bis Straßburg.“ Bei unserem Besuch waren kurz nach 19 Uhr die Hälfte der etwa 60 Sitzplätze besetzt. Tendenz: schnell steigend.
Begeisterter Saarschwimmer
Nur ein paar Meter weiter fahren viele Hausboote auf dem Kanal vorbei. In den 90er-Jahren schickte der damalige Schleusenwärter viele Touristen zur Mühle. Damals wurde ja noch mit der Hand gekurbelt. Und manchmal rief er bei Roeser an, ob Touristen die Mühle besichtigen könnten. In dieser Zeit kam aus Saarbrücken auch ab und zu ein Hotelschiff vorbei, die „Centurion“, immer mit zehn bis zwölf Kunden. Der Besitzer des Schiffs bat Roeser, doch Essen und Trinken in der Mühle anzubieten. Und so entstand das Restaurant. Erst klein, dann wurde es immer größer. Heute gibt es keine Schleusenwärter mehr, alles funktioniert elektrisch. „Wenn der Schiffsbesitzer das damals nicht verlangt hätte, hätten wir kein Restaurant“, sagt Roger Roeser dankbar. Von seiner Mutter lernte er damals, wie man Flammkuchen macht und auch gutes Brot backt.
Immer wieder boten sie auch geräucherte Forellen an. Ab 1994 bekamen sie schließlich eine Konzession. In den Büchern, die die Bootstouristen mitführen, steht mittlerweile auch ein Hinweis auf die „Moulin de Willer“.
Natürlich gibt es auch eine Weinkarte. Die Weißen stammen aus dem Elsass, die Roten aus anderen Gebieten Frankreichs. Aus dem Elsass verkaufen sie hier von der Domaine Fritz aus Sigolsheim etwa einen Weißburgunder, einen Riesling und einen Grauburgunder. Die Roten stammen aus sehr interessanten, wenn auch weitgehend unbekannten Weinanbaugebieten: aus Saint Chinian in Südfrankreich oder aus der Vaucluse. Roséweine gibt es auch aus diesen Anbaugebieten, aber auch aus Bordeaux, aus dem Elsass und der Provence. Die Preiskalkulation ist bei allen Weinen sehr kundenfreundlich. Zum Schluss erzählt mir Roger Roeser noch von einem ganz speziellen Hobby. Er geht mehrere Male die Woche in der Saar schwimmen. Seit seiner Kindheit, regelmäßig von Mai bis Oktober. „Ich war die Tage noch drin. Da hatte die Saar gerade 14 Grad“, lächelt der Müller.
Bevor wir zurückfuhren, kaufte ich mir noch Mehl. Dabei bekam ich mit, dass Sohn Philippe tags zuvor Weihnachtsgebäck gebacken hatte. Keine Frage, dass ich auch davon eine kleine Auswahl mitgenommen habe.