Thorsten Schreiner, Prof. Dr. Peter Bilsdorfer und Dr. Christoph Dallinger gehören zu den Gründern von „KVA+“. Der Rechtsdienstleister vertritt als unabhängiges Abrechnungsunternehmen Privatversicherte, Beamte und deren Angehörige und sorgt dafür, dass Privatpatienten nicht mehr in Vorleistung gehen müssen. Im Interview erklären die Drei, wie das System funktioniert.
Herr Schreiner, wie ist die Idee zu „KVA+“ entstanden?
Schreiner: Aus persönlicher Not. Die Eltern meiner Frau sind beihilfeberechtigt. Mein Schwiegervater erkrankte an Demenz und wurde zum Pflegefall. Für meine Schwiegermutter setzte genau in dieser Zeit, in der sie durch die Pflege ihres Mannes und ihren Beruf sowieso schon vollständig eingespannt war, eine Flut von bürokratischen Aufgaben ein – mit steigender Tendenz über zehn Jahre hinweg. Die Summe der logistischen und organisatorischen Herausforderungen brachten nicht nur sie, sondern die ganze Familie in arge Bedrängnis. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits seit mehr als zehn Jahren für eine der größten privaten Krankenversicherungen tätig. Ich kannte bis dato nur die Seite der Versicherung. Die Erkenntnis, dass man sich als Patient und Angehöriger orientierungs- und hilflos fühlt (obwohl selbst fachkundig und mit dem System vertraut) war ernüchternd. Weder die Versicherung noch die Rechnungssteller konnten die nötige Unterstützung bieten. In mir wuchs der Wunsch, Abhilfe zu schaffen.
Eine private Versicherung ist also eigentlich gar nicht so gut?
Schreiner: Doch. Es hat viele Vorteile, privat versichert zu sein. Aber alles hat zwei Seiten. Privatversicherte müssen sich um vieles selbst kümmern – jeder noch so kurze Arztbesuch muss am Ende selbst bezahlt und abgerechnet werden. „Das muss einfacher gehen!“, war unser Gedanke. Der erste Plan war: Wir gründen einen Verein und bündeln die Kräfte zur Abrechnung für hilfsbedürftige Vereinsmitglieder.
Also ähnlich der Lohnsteuerhilfe?
Schreiner: Genau. Aber der Vereinsgedanke war nicht realisierbar. Deshalb haben wir eine GmbH gegründet und ein eigenes Softwareprogramm erarbeitet. Heute – nach längerer Entwicklungszeit sind wir deshalb in der Lage, eine schnelle und zuverlässige Abwicklung aller Abrechnungsprozesse zu bieten.
Bilsdorfer: Viele Patienten sind mit der Abrechnung völlig überfordert: Belege sammeln, in Vorkasse gehen, einreichen, anschließend überprüfen, was erstattet wurde und Fehlbeträge nachfordern – und bei Beamten das Ganze dann auch noch zweifach (Beihilfe und PKV). Nicht selten kommt ein Bescheid beziehungsweise eine Mitteilung, dass einzelne Posten gekürzt wurden. Was also tun? Zum Anwalt gehen? Das alles beinhaltet der Service von „KVA+“. Eine enorme Entlastung für die Betroffenen. Nicht nur für solche, die Angehörige pflegen. Auch zeitlich sehr eingespannte Berufstätige profitieren von unserem Service.
Wie funktioniert das System bei einem Privatversicherten?
Dallinger: Privatpatienten stehen persönlich mit dem Arzt oder der Ärztin in einer Abrechnungsbeziehung. Denn die Rechnung stellt der Arzt direkt an sie. Privatpatienten sind zwar deshalb genau über die erbrachten Leistungen informiert. Allerdings haben sie auch die organisatorische Arbeit, denn sie müssen die Rechnung erstmal aus eigener Tasche bezahlen und dann mit der Versicherung und gegebenenfalls mit ihrer Beihilfestelle abrechnen.
Gerade in jungen Jahren, wenn man wenige Rechnungen hat, ist das sicher noch nicht kompliziert?
Schreiner: Zumindest ist der Aufwand noch nicht so umfänglich. In Vorleistung muss aber auch der junge Privatpatient gehen. Denn je öfter die Patienten zum Arzt gehen, umso höher wird die finanzielle Belastung. Eine Nichterstattung seitens der Kostenträger führt in diesen Fällen oftmals zu erheblichen finanziellen Engpässen und einem hohen Aufwand bei Streitigkeiten. Gerade hierbei fehlen den Privatversicherten die Erfahrung und die Transparenz, wie die Chancen für einen Einspruch stehen.
Herr Bilsdorfer, Sie sind als Berater und Investor eingestiegen, was hat Sie dazu bewegt?
Bilsdorfer: Ich bin Anwalt und gemeinsam mit Dr. Christoph Dallinger, der Zahnarzt ist, als Investor dabei. Ich habe drei Kinder, für die ich als Privatpatient die Abrechnungen erledigt habe, eines davon mit Pflegebedarf. Der zeitliche Aufwand und Umfang für die ärztlichen Abrechnungen war immer hoch. Auch ich habe die Arztrechnungen immer im Voraus bezahlt, ohne zu wissen ob und in welcher Höhe Erstattungen zu erwarten sind. Diese Zwickmühle kenne ich also auch persönlich.
Einige Erstattungen wurden von Versicherung oder Beihilfe zunächst abgelehnt. Auf Empfehlung der Experten von „KVA+“ erbat ich von meinen Ärzten die Attestierung der medizinischen Notwendigkeit. Daraufhin erfolgte – dank „KVA+“ – die berechtigte Erstattung. Dieses medizinische Verständnis hat man als Patient eben nicht. Bei „KVA+“ sitzen Experten, die genau wissen, wann und wie welche Leistungen berechtigterweise einzufordern sind.
Schreiner: Richtig! Wir haben nicht nur fachliche Expertise, sondern zusätzlich eine spezielle Software entwickelt. Diese Komponenten ermöglichen es, das bisher aufwendige händische System effizient abzubilden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage: Ist das Vorgehen der Versicherer hin zur automatischen Verarbeitung ohne persönlichen Kontakt und das zur Verfügungstellen von Apps tatsächlich benutzerfreundlich?
Ist es das?
Schreiner: Wir empfinden das nicht so.
Bilsdorfer: Die privaten Krankenversicherungen bieten Apps an, in denen man Bilder seiner Rechnungen hochladen und verschicken kann. Das ist zunächst eine schöne Sache, aber trotzdem müssen die erstatteten Beträge häufig summarisch und in der Regel auch nur anteilig überwiesen werden – ohne weitere Aufschlüsselung. Wenn man viel auf einmal abrechnet wird es dann zur akribischen Puzzlearbeit, herauszufinden, welcher Beleg denn nun gar nicht oder nur teilweise erstattet wurde. Das ist und bleibt Aufwand. Das individuelle klärende beziehungsweise erklärende Gespräch entfällt. Automatisierte Antwortschreiben sind oftmals für den Laien unverständlich. Die Anzahl der PKV-Versicherten liegt in Deutschland zwischen acht und neun Millionen. Sie werden immer älter. Oft geht Alter mit Krankheit Hand in Hand, Rechnungen häufen sich. Eine alternde Gesellschaft kann mit dem Fortschritt der Digitalisierung nicht in allen Fällen Schritt halten. Viele haben kein Smartphone oder PC.
Was machen Sie anders?
Schreiner: Wir sind und bleiben persönlich erreichbar. Unser Service ist menschlich, digital begleitet. Vieles kann im Hintergrund standardisiert und automatisiert ablaufen. Aber das persönliche Verhältnis ist und bleibt wichtig und wird gepflegt.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Bildsorfer: Nehmen wir an, ich habe eine Frage zu einer Rechnung eines Telekommunikationsanbieters. Ich kenne keinen Berater, den ich telefonisch erreichen und fragen kann. Was soll denn da ein älterer Mensch ohne PC machen?
Schreiner: Zumal viele, selbst wenn sie einen PC haben, die Inhalte und Funktionen der Websites nicht verstehen und bedienen können. Es ist unvorstellbar, dass ein Pflegebedürftiger Rechnungen mit einer App abfotografiert – das bestätigt uns tagtäglich die gelebte Praxis mit unseren Mandanten. Wir bieten für Alte, zu Pflegende und deren Angehörige sowie grundsätzlich für alle Privatversicherten, die beruflich eingespannt sind, Unterstützung und Lösungen an.
Wie sieht die aus?
Schreiner: Wir übernehmen für unsere Mandanten die Abrechnung und Erstattung von Kranken-, Heil- und Pflegekosten. Dies umfasst natürlich auch bei Beamten die Abrechnung mit der zuständigen Beihilfestelle. Wir sind berechtigt, Auskünfte zu erhalten, den gesamten Schriftwechsel zu führen und entgegenzunehmen. Im Bereich der Pflege übernehmen wir sogar die Koordinierung von Medicproof oder Compass, erinnern an Termine und stellen alle Anträge. Wir arbeiten effizient. Zahlungserinnerungen und Mahnungen kommen daher nicht vor. Unberechtigten Kürzungen oder Ablehnungen widersprechen wir. Wir fordern, nach ausgiebiger Prüfung und Einholung der erforderlichen Unterlagen, Nacherstattungen ein.
Wie reagieren die Krankenversicherungen bislang auf Ihren Service?
Schreiner: Anfänglich gab es sicherlich Reibungsverluste, geschürt durch unbegründete Ängste. Unser Service wurde als Konkurrenz empfunden. Wir sind noch zu klein, um mit den großen Anbietern arbeitserleichternde Schnittstellen zu bilden.
Bilsdorfer: Meine Privatversicherung hat öfter nachgefragt, ob ich die „KVA+“ tatsächlich bevollmächtigt habe. Es ist noch größtenteils unbekannt und eine Neuheit, dass Versicherte Dienstleister zur Abwicklung ihrer Abrechnungen beauftragen. „KVA+“ hat aber einen langen Atem. Wir brennen für unsere Idee, Privatversicherten zu helfen.
Revolutionieren Sie die Branche?
Schreiner: Revolution ist der falsche Begriff. Wir orientieren uns an den Bedürfnissen unserer Zielgruppen und wollen uns auf dem Niveau der aktuell technischen Möglichkeiten bewegen. Nicht alle Beteiligten im Prozess der Krankenkostenabrechnung sind auf dem gleichen Weg. Doch die Bundesregierung hat das Thema der Digitalisierung am Gesundheitsmarkt aufgegriffen und will, genauso wie wir, die Entwicklung zur Vereinfachung vorantreiben. Wir nutzen deshalb konsequent die sich bietenden Vorteile der Digitalisierung, um diesen Bereich der privaten Krankenversicherung für seine Nutzer zu verbessern. Also eher eine Ergänzung des Systems als eine Revolution.
Schreiner: So kann man es ausdrücken. Wir vereinfachen und optimieren das bestehende System. Das ist eine Ergänzung und keine Revolte.
Was müssen Privatversicherte für Ihren Service zahlen?
Schreiner: Wir haben unterschiedliche Kostenmodelle. Unser Service ist bezahlbar – ab sechs Euro im Monat werden wir tätig. Gespräche mit Gesundheitsministerin Monika Bachmann wurden bereits geführt. Ihre Unterstützung wurde uns zugesagt. Es wird derzeit geprüft, ob unsere Dienstleistung nach Paragraf 45 b SGB XI anerkannt wird. Entsprechende Anträge wurden gestellt. Wird unser Antrag bewilligt, erhalten ambulant gepflegte Menschen eine monatliche Unterstützung in Höhe von bis zu 125 Euro, um unsere Service zu bezahlen.
Wie viele Kunden haben Sie bislang?
Bilsdorfer: Deutschlandweit etwa 200. Aktuell haben wir sehr viele Anfragen. Das ist schon erstaunlich, da wir wenig Werbung machen. Wir haben Anfragen von Pflegebedürftigen, Familien mit Kindern und Menschen, die beruflich viel reisen oder zeitlich eingespannt sind.
Wo wollen Sie hin?
Schreiner: Bis Ende 2020 hoffen wir, 1.000 Mandanten für uns gewonnen zu haben. Dann könnten wir sagen: Die „KVA+“ ist der größte unabhängige Abrechnungsdienstleister auf Patientenseite in Deutschland!