Bad Tölz wird immer mehr zur heimlichen Filmhauptstadt Deutschlands. Hier geben sich die Filmcrews die Türklinke in die Hand. Zuletzt drehte das ZDF in der idyllischen Kleinstadt die Vorabendserie „Tonio und Julia".
Dort drüben wurde auch schon jemand umgebracht", weiß Fremdenführerin Angelika Schmidt und zeigt auf die Apotheke in der Bad Tölzer Marktstraße. In dem beschaulichen oberbayrischen Kurort wurde zwischen 1996 und 2009 regelmäßig gemordet. Allerdings nur im Fernsehen. Wäre da nicht Ottfried Fischer alias Hauptkommissar Benno Berghammer eingeschritten, hätte man dem Verbrechen wohl kaum Einhalt bieten können. „Der Bulle von Tölz" hat die 18.000 Einwohner zählende Kleinstadt bundesweit bekannt gemacht. Und obwohl die Produktion im Februar 2009, nach dem Tod der Schauspielerin Ruth Drexel, die in der Serie die Mutter des Kommissars spielte, nach 14 Jahren und 69 Folgen eingestellt wurde, kommen noch heute „Bullenfans" in die Stadt. Von Angelika Schmidt lassen sie sich an die Tat- und Drehorte bringen. Da alle Szenen in den Filmen an Originalschauplätzen gedreht wurden, kam fast jede Tölzer Straße irgendwann zu Filmruhm. Für die Fremdenführerin gibt es also viel zu zeigen. Besonders kurios, aber auch ein wenig makaber, ist, dass die Pathologie in der Serie die echte Pathologie im Bad Tölzer Krankenhaus war – wo vormittags echte Leichen seziert wurden, begann am Nachmittag der Schauspieler Nino Korda als Amtsarzt seinen Dienst.
Oft wird Angelika Schmidt nach dem Wohnhaus von Benno und seiner Mutter Resi gefragt. Da allerdings muss sie die Tölz-Besucher enttäuschen. Das liegt nämlich knapp 30 Kilometer nordnordwestlich der Stadt in der kleinen Gemeinde Icking. Weil das 400 Jahre alte „Hollerhaus" aber in Privatbesitz ist und nicht besichtigt werden kann, landen die Bullenfans auf der Suche nach Bennos Wohnung doch wieder in Tölz. Den Eingang und die für das Haus so typische enge Treppe zum Obergeschoss hat man im „Bulle von Tölz Museum" so täuschend echt nachgebaut, dass Fans hierherkommen, um sich beim Treppenaufstieg fotografieren zu lassen. Ebenso beliebt als Fotomotiv ist der Schreibtisch von Benno Berghammer, an dem die Besucher dem Hauptkommissar gegenüber Platz nehmen können. Nachdem sich die Stadt lange nicht für oder gegen ein „Bullen-Museum" entscheiden konnte, wurde das Museum 2014 auf Privatinitiative hin eröffnet. Von offizieller Seite hat man Ottfried Fischer und seinen Mitstreitern immerhin mit dem Bullenbrunnen auf dem Platz vor der Touristeninformation ein Denkmal gesetzt. Er zeigt mit viel künstlerischer Freiheit die Hauptdarsteller als Scherenschnitte, und ist für die Fans inzwischen zur Pilgerstätte geworden.
Auch heute noch kommen „Bullenfans"
Trotz aller Ehrungen waren die Tölzer keineswegs von Anfang an von der Serie begeistert. Im Gegenteil: Manches, was im Fernsehen gezeigt wurde, war den Einheimischen zu nahe an der Realität. Nicht jedem gefiel es, wenn sein Alter Ego als wenig schmeichelhafte Filmfigur auf der Leinwand auftauchte. Inzwischen hat man sich aber ausgesöhnt, nicht zuletzt auch deshalb, weil der Bulle ein wichtiger Faktor für den einheimischen Tourismus ist.
Doch die Filmgeschichte von Bad Tölz hat lange vor der populären Serie begonnen. 1932 spielte der legendäre Volksschauspieler Weiß Fredl den Tölzer Schützenkönig Josef Siebzehnrübel im gleichnamigen Film. Und 1952 tröstete Ingeborg Cornelius in „Die schöne Tölzerin" die Deutschen mit viel Herz, Schmerz und Happy End über den Nachkriegsblues hinweg. Heute dreht sogar die Konkurrenz der Rosenheim Cops ab und zu in Bad Tölz. Das örtliche Kurhaus wird dann kurzerhand zum Rosenheimer Stadttheater. Doch dann taucht Tölz als Name natürlich nicht auf. Anders als bei der aktuellen ZDF-Vorabendserie „Tonio und Julia", deren Handlung in Tölz spielt. Die Serie erzählt die Geschichte eines katholischen Pfarrers und einer Familientherapeutin und der verbotenen aufkommenden Liebe zwischen den beiden. Die Außenaufnahmen werden in Bad Tölz gedreht. Das ortsbekannte „Wirtshaus Zantl" wird dann zum Pfarrhaus. Besonders praktisch ist, dass man die Kulissen für die Innenaufnahmen nur zehn Kilometer entfernt in Lenggries, in einer ehemaligen Kaserne, aufbauen kann.
Das Kurhaus wurde zum Stadttheater
Andreas Wanner, der Motivaufnahmeleiter bei „Tonio und Julia", hatte gewarnt: „Ein Filmdreh besteht hauptsächlich aus warten." Prompt gibt es die erste Verzögerung des Tages. Zunächst einmal muss auf der Toilette für Ruhe gesorgt werden. Der Tonmann hat sich beschwert, dass man den Nachlauf des Wasserklos im ersten Stock während der Aufnahme auch unten im Erdgeschoss hören kann. Bei den Innenaufnahmen schaltet die Crew Nebengeräusche aus, bei Außenaufnahmen geht das nicht. Wanner erzählt, wie „Blocker" Straßen unmittelbar vor dem Dreh absperren. Trotzdem kann es passieren, dass ein Lastwagen, der durch eine Nachbarstraße fährt, das ferne Geräusch eines Rasenmähers oder ein plötzlich auftauchender Tiefflieger die Aufnahmen stören. Dann heißt es „zurück auf Start", der Dreh beginnt von vorn. Plötzlich ruft jemand: „Wann geht es endlich los?" Eine Frauenstimme aus dem Nebenraum mahnt zur Geduld: „Nur noch eine Sekunde". Dann ruft die Regisseurin: „Wir warten auf den Max." Mit Max ist Maximilian Grill gemeint. Er spielt den Pfarrer Tonio Niederegger und damit die männliche Hauptrolle in der Fernsehserie. Dass ohne ihn nichts geht, ist klar. Er selbst sei gar nicht katholisch, hat er im Interview erzählt und hat sich deswegen das Wissen für seine Rolle durch Messbesuche angeeignet. Jetzt aber sitzt Maximilian Grill in der Maske. Hauptdarstellerin Oona Devi Liebich ist schon fertiggeschminkt, sie zieht an ihrer E-Zigarette und wiederholt auf und ab laufend leise ihren Text. In der Zwischenzeit werkelt der Beleuchter im Büro des Pfarrers. Es dauert, bis alles so ausgeleuchtet ist, dass der Aufnahmeleiter zufrieden ist. Gedreht wird aber immer noch nicht. Maximilian Grill wartet am Türrahmen gelehnt auf seinen Auftritt, und Oona Devi Liebich hat ihre E-Zigarette zur Seite gelegt. Bevor die Kamera läuft, wird die Szene aber erst einmal geprobt. Für den Laien wirkt alles schon sehr perfekt. Doch plötzlich gibt es Diskussionen. Die Regisseurin will, dass der Pfarrer den Argumenten der Psychologin mehr Aufmerksamkeit widmet. „Ich dachte, es ist so eine Art Halbaufmerksamkeit", sagt Grill. Es wird hin- und herargumentiert, bis endlich geklärt ist, wie er die Rolle des Tonio in diesem Fall spielen soll. Julia habe in der vergangenen Szene bereits mit dem Pfarrer telefoniert und der sei deswegen auf das Gespräch vorbereitet und hoch aufmerksam, erklärt die Regisseurin. Die „vorhergehende Szene", von der sie spricht, ist aber noch gar nicht gedreht worden. Beim Film arbeitet man die Szenen nämlich nicht der Reihe nach ab, sondern reiht sie so aneinander, dass am Set möglichst wenige Umbauarbeiten nötig sind. Dann endlich fällt die Klappe, die Kamera läuft, 20 Sekunden später ist alles im Kasten. Die Regisseurin bedankt sich. Jemand ruft aus dem Hintergrund, welche Szene als nächstes gedreht wird. Für die meisten Beteiligten heißt das erst mal wieder warten, nur der Beleuchter hat zu tun. Er stellt die Lampen um, damit die Akteure gleich wieder im rechten Licht erscheinen.
Zu Besuch bei Dreharbeiten
In Bad Tölz hat man sich inzwischen auf Filmdrehs eingestellt. Andreas Wanner weiß das zu schätzen, und lobt, dass man hier genau wisse, was die Drehteams brauchen. „Während andernorts Drehgenehmigungen wochenlang dauern, erledigt man das hier auf dem kleinen Dienstweg." Deswegen wird Wanner auch immer wieder hierher zurückkommen. Und er ist nicht der Einzige. Bad Tölz ist auf dem besten Weg, zu Klein-Hollywood in Oberbayern zu werden. Für Touristen hat das Ganze den angenehmen Nebeneffekt, dass ein Urlaubsaufenthalt in den Bergen so gleichzeitig zum Promi-Spotting werden kann.