Das Agrarpaket der Bundesregierung bringt Tausende Landwirte auf die Straße. Nicht aus Begeisterung: Den konventionellen Bauern geht es viel zu weit. Sie wollen strengere Vorschriften bei Düngung und Giften nicht akzeptieren.
Wie gut die große Koalition noch funktionieren kann, zeigt sich an besonderen Tagen. Etwa, wenn 40.000 Bauern in Berlin die Stadt mit mehr als 8.000 Traktoren praktisch lahmlegen. Wenn diese zu einem Pfeifkonzert anstimmen und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) kein Gehör mehr findet, dann bekommt sie eben moralische Unterstützung von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Auch wenn sie nicht immer auf einer Linie sind, was durch den Interessengegensatz ihrer Ressorts gut zu erklären ist: Angesichts solcher Massen an Menschen und Maschinen hält frau zusammen.
Die Landwirte, die sich hier über Facebook und Whatsapp organisiert haben, verstehen das Agrarpaket der Bundesregierung als Kampfansage an ihre Branche, an ihre Zukunft, an ihre Existenz. Wie repräsentativ sie sind, lässt sich nicht sagen. Ihre Organisation „Land schafft Verbindung" ist erst ein paar Monate alt. Der traditionsreiche Bauernverband teilt mit, dass er die Proteste unterstützt, aber welche Positionen genau? Egal ob Bio-Bauer oder konventioneller Landwirt: Alle Gruppen haben ihre eigenen Sorgen.
Die EU plant, die Agrarsubventionen nach neuen Prinzipen zu vergeben. Das würde Einbußen der deutschen Landwirte zugunsten der Südeuropäer bedeuten, behauptet der Bauernverband. Dazu kommt das Handelsabkommen mit Südamerika. Die zukünftige Freihandelszone mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay setzt viele landwirtschaftliche Produzenten hierzulande unter noch stärkeren Druck als bislang. Da geht es vor allem um Rindfleisch oder Soja. So bringt es zum Beispiel Landwirt Matthias Kuthe auf den Punkt: „Was macht es denn für einen Sinn, das wir deutschen Bauern von allen angezählt werden, weil wir mit unserem Trecker bei der Ernte auf den Feldern CO2 in die Luft blasen, während aus Südamerika das Soja eingeflogen wird, was viel mehr CO2 produziert und obendrein bei uns Arbeitsplätze kostet?" Auch wenn kaum jemand den Landwirten den CO2-Ausstoß ihrer Trecker zum Vorwurf macht und Soja auch nicht eingeflogen werden muss, egal: Der Ärger ist da. Der 61-Jährige ist Landwirt in zehnter Generation und stammt aus der Magdeburger Börde in Sachsen-Anhalt. Er ist sichtlich aufgebracht, denn er hat das Gefühl, „dass hier nur noch Politik gegen uns Bauern gemacht wird. Mein Großvater hat mit zehn Hektar noch die ganze Familie ernähren können, ich schaffe das heute nicht mal mehr mit 100 Hektar. Die Umweltauflagen sind viel zu hoch, die Preise dagegen viel zu niedrig." An diesem Strukturwandel ist die Politik zwar nur bedingt schuld, aber immerhin Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner setzt auf die Konsumenten. „Die Verbraucher müssen sich auf steigende Kosten bei den Lebensmitteln einstellen, wollen wir eine umweltverträgliche, ökologische Landwirtschaft", sagt Klöckner im FORUM-Gespräch im Sommer.
CDU sorgt sich mehr um die Bauern
Die Bauernschaft ist gespalten wie nie. Von den rund 275.000 Betrieben arbeiten 20.000 nach Öko-Kriterien. Sie halten die strengen Vorgaben der jeweiligen Labels ein, was mehr Aufwand bedeutet. Meist aber bekommen sie für ihre Produkte auch höherer Preise.
Die konventionellen Landwirte jedoch meinen, sie werden mit unnötigen Vorschriften von ideologischen Politikern ohne Sachkenntnis gegängelt. Beispiel Insektenschutz, Stichwort Glyphosat. Die Bundesregierung will das Gift ab 2024 verbieten, wobei eigentlich schon mal ein früherer Termin auf dem Tisch lag. An keinem Thema entzweien sich konventionelle Landwirte und Ökobauern und darüber hinaus Land und Stadt so sehr wie beim Thema Glyphosat. Für die Ökobauern wie beispielsweise Gilles Wagner aus Wiesbaden in Hessen ist es „das Agent Orange des Vietnamkrieges in den deutschen Ackerfurchen", für Matthias Kuthe aus Sachsen-Anhalt geht es nicht ohne: „Die Diskussion ist im wahrsten Sinne des Wortes total vergiftet. Wir Landwirte unterliegen beim Glyphosat schärfsten Kontrollen. Wir dürfen zwei Liter, aufgelöst in 300 Liter Wasser auf 10.000 Quadratmeter Ackerfläche ausbringen. Jeder Hobbygärtner versprüht locker das Zehn- bis 20-fache auf seiner Datsche." Das will Biobauer Wagner aus Hessen so auf keinen Fall stehen lassen, denn Glyphosat ist so nicht mehr im Handel frei erhältlich. „Na, nicht um die Ecke im Baumarkt", kontert da Bauer Kuthe von der Magdeburger Börde, „aber im Internet ist das ganz schnell angeschafft." Tatsächlich ist Glyphosat noch immer erhältlich, sogar für Hobbygärtner, die im Übrigen nur ein Hundertstel von dem versprühen, was die Bauern auf die Felder bringen.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner sitzt also in Fragen der umweltverträglichen und klimaschonenden Landwirtschaft zwischen allen Stühlen. Dabei sind ihr die konventionellen Bauern parteipolitisch wesentlich näher. Denn die Ökobauern wählen mehrheitlich eher die Grünen. Dass die Landwirte eher konservativ sind, hat übrigens auch die FDP bemerkt. Beim großen Bauernprotest Ende November vor dem Brandenburger Tor tauchte auch Parteichef Christian Lindner nebst großem Gefolge auf. Der packte verbal auch gleich mal die Gummistiefel aus und watete wortreich durch die Gülle des Landlebens. Denn Bauern sind ja zuallererst auch Unternehmer.