Vor dem SPD-Parteitag scheinen die Weichen gestellt. Entweder der Koalitionsvertrag wird neu ausgehandelt, oder die SPD steigt aus der Groko aus. Die neuen Vorsitzenden wollen sich offenbar aber politisch nicht die Finger schmutzig machen.
Nun wird die SPD also neu und vor allem links ausgerichtet. „Das heißt aber nicht automatisch, dass wir umgehend aus der großen Koalition unbedingt raus wollen", ist Saskia Esken seit Tagen immer wieder bemüht, vor dem Parteitag Ruhe in die eigenen Reihen zu bekommen. Das ist auch dringend nötig, wie schon die letzte Sitzung der Bundestagsfraktion vor dem alles entscheidenden Parteitag gezeigt hat. Die breite Mehrheit der Fraktionsmitglieder hat sich sehr deutlich für Olaf Scholz und Klara Geywitz als neue Führung und damit für den Verbleib in der Regierung ausgesprochen. Doch ausgerechnet seine Fraktionskollegin, die designierte Parteichefin Saskia Esken, ist als Parteilinke mit der aktuellen Regierung gar nicht glücklich. „Große Koalition ist für die Demokratie auch immer Mist, das muss man einfach so deutlich sagen. Darum müssen wir nach neuen Mehrheiten suchen", gibt sich die 58-jährige Baden-Württembergerin überzeugt. Norbert Walter-Borjans, der Co-Vorsitzende, denkt genauso, hat sich aber diesbezüglich mit seinen Äußerungen zurückgenommen. „Das entscheiden nicht wir allein als Vorsitzende, sondern das entscheidet der Parteitag."
Doch die Delegierten des kommenden Parteitags sind gespalten. Der Wirtschaftsflügel, der konservative Seeheimer Kreis, aber auch die progressiven Netzwerker wollen unbedingt in der großen Koalition bleiben. Der Druck der Bundestagsfraktion auf die neue SPD-Führung ist immens. So hat ein ehemaliger SPD-Chef und Spitzenkandidat dringend vor dem Ausstieg aus der Regierungskoalition gewarnt: „Mein Ratschlag ist, das Heil nicht in der Flucht aus der Regierung zu suchen, sondern in der Gestaltungskraft der SPD in der Regierung". Das sagt Martin Schulz, der vor nicht mal zwei Jahren seinen Job als Parteichef losgeworden ist, weil er sich vehement gegen den Eintritt in eben diese große Koalition ausgesprochen hat. Schulz denkt in großen Linien, schließlich übernimmt Deutschland im kommenden Sommer die EU-Ratspräsidentschaft, das möchte der Europa-Befürworter offenbar ganz gern als Mitglied der Regierungsfraktion miterleben und nicht als Zaungast. Auch Arbeitsminister Hubertus Heil hat keine Lust auf die Seitenlinie. Darum will der 47-jährige Netzwerker aus Niedersachsen auch nicht lange zuschauen, sondern anpacken. „Jetzt gilt es, die Partei zusammenzuhalten. Die SPD hat Verantwortung für unser Land. Und ich will meinen Beitrag dazu leisten." Hubertus Heil wird auf dem Parteitag als SPD-Vize kandidieren. Seine Chancen stehen nicht schlecht, die meisten Delegierten aus dem Bundestag hat er hinter sich, der Landesverband Niedersachsen ist neben Nordrhein-Westfalen einer der mächtigsten auf dem Parteitag.
Opposition ist ziemlicher Mist
Nach dem Linksruck an der Parteispitze will man nun einen Linksruck im übrigen Vorstand der SPD mit aller Macht verhindern. Das hieße auch, Juso-Chef Kevin Kühnert als SPD-Vize verhindern. Bereits auf dem Juso-Kongress Mitte November in Schwerin wussten die Jung-Genossen in Anspielung auf den Starttermin des SPD-Bundesparteitags zu dichten: „An Nikolaus ist Groko-Aus". Und dazu gehört eben auch, dass der gerade auf seinem Kongress mit einem fulminanten Ergebnis wiedergewählte Juso-Chef in den Parteivorstand der SPD soll. Einige der Jungsozialisten können es mit der Demontage ihrer jetzigen Parteispitze kaum abwarten. Kaum war das Urwahlergebnis kurz vor dem ersten Advent in der Parteizentrale verkündet, fielen schon die ersten „Parteifreunde" aus dem Umfeld von Kevin Kühnert über den unterlegenen Olaf Scholz her. „Wer so ein Ergebnis einfährt, sollte überlegen, ob er seinen politischen Aufgaben noch gerecht wird." Diese Böswilligkeit von den hinteren Rängen der Partei verselbstständigte sich. Finanzminister Olaf Scholz war genötigt, den entstandenen Rücktrittsgerüchten hochoffiziell per Deutscher Presse-Agentur widersprechen zu lassen: Der Vizekanzler werde als Minister nicht zurücktreten. Gerade in der Bundestagsfraktion rieb man sich überrascht die Augen, denn das hatte auch nie zur Debatte gestanden.
Für Olaf Scholz sind die 45 Prozent bei der Urwahl besonders bitter. Er wollte ja ursprünglich überhaupt nicht kandidieren, denn mit seinem Job als Finanzminister sei er voll ausgefüllt, wiederholte er immer wieder. Doch nachdem es bei der Kandidatensuche für die SPD-Doppelspitze ausschließlich prominente Ab-, aber keine einzige Zusage gab, sollen es die mecklenburgische Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und ihre Amtskollegin Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz gewesen sein, die Scholz zur Kandidatur drängten. Beide Frauen hatten übrigens als erste erklärt, dass sie nicht Parteivorsitzende werden wollen. Das erklärte damals auch umgehend Familienministerin Franziska Giffey, die noch abwarten wollte, ob sie ihren Doktortitel überhaupt behalten darf. Den Titel hat sie noch, und sich auch eine mögliche Urwahlblamage erspart. Giffey ist Pro Groko.
Auch bei den prominenten Männern der Sozialdemokratie war man schnell um eine Kandidatur-Absage bemüht. Allen voran damals eben Olaf Scholz, der es sich dann anders überlegen musste. Aber auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil hatte keinen Bock auf Parteivorsitz. Dieses Verhalten der bekannten Parteigesichter führt nun auch zu einer Art Phantomschmerz gerade in der Bundestagsfraktion. Hätte es ein Kandidatenduo Giffey/Weil gegeben, wäre es vermutlich ganz anders gelaufen, so die Nachwahl-Spekulation. Vielleicht wäre nicht einmal eine Stichwahl nötig gewesen. „Hätte, Hätte, Fahrradkette" würde an dieser Stelle der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sich selbst zitieren, wollte er sich überhaupt noch zu SPD-Angelegenheiten äußern. Aber das macht der Vortragsreisende schon lange nicht mehr.
Groko ist für viele auch großer Mist
Der Linksruck scheint beschlossene Sache. Auf dem Parteitag soll es nun einen Beschluss geben, dass der Koalitionsvertrag nachverhandelt werden soll, so die designierte Co-Chefin Saskia Esken. Zukünftig sollen mehr Klimaschutz, mehr Investitionen in Straße und Schiene, also der Wegfall der schwarzen Null, und mehr soziale Gerechtigkeit die Regierungsarbeit bestimmen. Allein die Formulierung „mehr soziale Gerechtigkeit" verrät, dass es nicht wirklich um Substantielles geht. Nachverhandlungen, wie sie die SPD will, wird es nicht geben. Sowohl CSU-Chef Markus Söder als auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karenbauer lehnen dies rundheraus ab. Allenfalls der Hinweis von CDU-Vize Julia Klöckner, wonach es „einseitige" Nachverhandlungen nicht geben soll, lässt eine Hintertür offen. Denn auch bei CDU/CSU sind Wünsche offen.
Der SPD-Zeitplan sieht nun wie folgt aus: Nach dem Parteitag fordern die Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans die Union ultimativ zu Koalitionsneuverhandlungen Anfang des neuen Jahres auf. Bleibt die Union bei ihrer Linie und der Koalitionsvertrag unangetastet, könnte der Groko-Showdown bereits mit der ersten SPD-Fraktionssitzung am 14. Januar beginnen. Das Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans würde dann am Ausstieg aus der Regierung keine direkte Schuld treffen. Erstens wäre die Forderung zu Nachverhandlungen ein Parteitagsbeschluss, und zweitens hätte sich ja die Union verweigert. Die SPD könnte dem Ziel Opposition schnell näherkommen. Ob Wähler eine Flucht aus der Regierung goutieren, nachdem die SPD gerade erst eine positive Bilanz ihres Einflusses gezogen und die durchgesetzten Projekte aufgelistet hat, ist pure Spekulation.