Die Konservativen sind nicht schwarz, sondern türkis, und die Grünen sind sich nicht unbedingt grün. Österreich tickt etwas anders und steuert dabei auf eine für die Alpenrepublik ungewöhnliche Regierungskoalition zu.
In Österreich geht es um nichts weniger, als dass „zwei Wahlsieger, die nicht für das Gleiche gewählt wurden", zusammenfinden sollen, wie es „Profil"-Herausgeber Christian Rainer analysierte. Zwischen Türkis und den wieder erstarkten Grünen gibt es eine Reihe von Themen, bei denen die Suche nach Kompromissen eine besondere Herausforderung ist. Sebastian Kurz nannte vor Eintritt in die Verhandlungen als Erkenntnis aus den Sondierungsgesprächen nicht weniger als fünf Politikfelder: Klima, Migration, Bildung, Wirtschaft und Transparenz. Die beiden Parteichefs Sebastian Kurz (33, ÖVP) und Werner Kogler (58, Grüne) scheinen jedenfalls trotz ihrer Unterschiedlichkeit miteinander zu können.
Kurz hat unstrittig seine ÖVP im Griff. Und die ist gerade dabei, sich in kürzester Zeit ein weiteres Mal umzukrempeln. Es ist erst zwei Jahre her, als der junge Sebastian Kurz der Partei eine radikale Erneuerung verpasste. Aus schwarz wurde türkis, aus der ÖVP bei den Wahlen die „Liste Sebastian Kurz – Die neue Volkspartei (ÖVP)". Die Partei wurde mit 31,5 Prozent erstmals seit eineinhalb Jahrzehnten wieder stärkste politische Kraft. Bei den vorgezogenen Neuwahlen nach dem Bruch der Koalition mit der FPÖ steigerte die ÖVP Ende September ihr Ergebnis auf 37,5 Prozent, gewann in allen Bundesländern – einzige Ausnahme: die Hauptstadt Wien. Dort blieben die Sozialdemokraten (SPÖ) trotz Verlusten stärkste Kraft vor der ÖVP, die Grünen machten einen großen Sprung auf den dritten Platz (20,7 Prozent).
Weltoffener und ökologischer Kurs
Landesweit erreichten die Grünen 13,9 Prozent, ein Plus von zehn Punkten. Damit hatten sich die Grünen vom selbst verschuldeten Desaster in der Wahl 2017 mehr als erholen können. Nach einer Spaltung zog der Ex-Grüne Peter Pilz mit einer eigenen Liste (4,4 Prozent) in den Nationalrat, die verbliebenen Grünen scheiterten an der Vier-Prozent-Hürde (3,8 Prozent). Werner Kogler führte die Grünen zum bislang besten Ergebnis und jetzt wohl zur ersten Regierungsbeteiligung seit ihrer Gründung. Kogler steht für die klassischen grünen Themen Umwelt und Gerechtigkeit, gilt als eher ruhiger Realpolitiker. Beobachter trauen ihm das Kunststück zu, einerseits mit dem zusätzlich erstarkten Kurz Kompromisse zu finden, die er andererseits auch den Teilen der eigenen Partei verkaufen kann, die eher fundamentalere Positionen vertreten. Trotz des überzeugenden Ergebnisses sind die Grünen in Österreich kein geschlossener Verein. Nach dem Wahlschock von vor zwei Jahren sind die verbliebenen Grünen nach allgemeiner Beobachtung insgesamt aber eher auf einem pragmatischen Kurs.
Für Österreich wäre die neue Farbenlehre die Chance, sich ein stückweit moderner, ökologischer und weltoffener aufzustellen als es unter der alten ÖVP und vor allem dem Einfluss der FPÖ war. In Europa wird dieser Prozess mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Im Gegensatz zur medialen Beachtung, wofür aber auch die Verhandlungspartner ihren Anteil haben, führen sie ihre Gespräche doch ohne Indiskretionen und Twitter-Zwischenstände.
Einen Anteil hat ohne Zweifel auch die derzeitige Experten-Interimsregierung unter Kanzlerin Brigitte Bierlein. Die Ex-Verfassungsrechtlerin führt mit ihrem Kabinett die Regierungsgeschäfte in einer ruhigen und sachlichen Art, die allseits Anerkennung findet.
Regierungssprecher Alexander Winterstein, der zuvor stellvertretender Chefsprecher der Europäischen Kommission war und übergangsweise für die Expertenregierung in Wien sozusagen ausgeliehen ist, betonte im Gespräch mit Journalisten der Landespressekonferenz Saar, dass die Regierung Bierlein darauf bedacht ist, möglichst keine Entscheidungen zu treffen, die eine neue Regierung in ihren politischen Entscheidungen festlegt.
Dabei tagt sie mit ihrem Kabinett an einer Stätte, von der aus europäische Geschichte entwickelt wurde. Hier arbeitete Fürst Metternich an einer europäischen Ordnung nach den napoleonischen Kriegen, der „Ballhausplatz" (Bundeskanzleramt) war Tagungsort des Wiener Kongresses. Besuchergruppen der historischen Räumlichkeiten können hier schon mal gern der amtierenden Bundeskanzlerin begegnen, wenn die, völlig unprätentiös, ihr Büro verlässt.
Österreich ist überschaubar. Von den 8,8 Millionen Einwohnern (davon 1,9 Millionen in der Hauptstadt Wien), sind 6,4 Millionen wahlberechtigt, allein in Nordrhein-Westfalen sind es doppelt so viele (13,1 Millionen). Das mag mit ein Grund für eine Reihe österreichischer Besonderheiten sein, was auch für das Verhältnis Politik und Medien gilt, wie Andreas Koller, Präsident des Presseclubs Concordia berichtet. Der nach eigenem Bekunden älteste Presseclub der Welt hat vor Kurzem sein 160-jähriges Bestehen gefeiert. Und natürlich haben sich Bundespräsident Alexander van der Bellen (ehemals Grüner), Kanzlerin Bierlein samt Medienminister Schallenberg ein Stelldichein gegeben. Koller, selbst vielfach ausgezeichneter politischer Journalist, ist für die „Salzburger Nachrichten" tätig, und hebt hervor, zwar selbst aus Wien zu berichten, aber eben immer auch den Blick mit der Salzburger Redaktion von außerhalb auf das Treiben in der Hauptstadt zu haben. Journalisten und Politiker kennen sich im überschaubaren Land oft von jungen Jahren an. Den Weg über Pressesprecher nehmen Journalisten höchst selten, jeder hat die Handynummern der Minister, der Kanzlerin – aber ein Informationsfreiheitsgesetz wie in Deutschland ist nach wie vor Fehlanzeige.
Wichtige internationale Rolle
Seit 2013 machen Journalistenverbände, darunter auch der Presseclub, bislang vergeblich Druck. Es gibt zwar eine Auskunftspflicht von Behörden, aber in der Verfassung steht – einzigartig in der EU– immer noch die Amtsverschwiegenheit (Amtsgeheimnis). In anderen Bereichen gilt Österreich dagegen als beispielhaft. Viel zitierte Beispiele sind der soziale Wohnungsbau in Wien oder Österreichs Rentensystem. Eine Besonderheit ist auch die Arbeiterkammer mit 3,8 Millionen Mitgliedern, einem dichten flächendeckenden Netz von Beratungszentren und Bildungseinrichtungen sowie einem eigenen Büro in Brüssel bei den europäischen Institutionen, über das sich die Arbeiterkammer für ein soziales Europa einsetzt. Sarah Bruckner, Referentin in der Abteilung EU und Internationales, berichtet zudem vom hohen Grad der Tarifgebundenheit in Österreich. Durch gesetzliche Regelungen haben Tarifverträge, in Österreich Kollektivverträge, quasi Allgemeingültigkeit. Es gibt folglich kaum einen Grund zu der in Deutschland zunehmend festzustellenden Tarifflucht.
Jubiläum feierte dieser Tage in Österreich nicht nur der Presseclub Concordia, sondern auch die in Wien beheimateten UN-Einrichtungen. Seit 40 Jahren ist Wien eines von vier UN-Headquarters (neben New York, Nairobi und Genf). Bekannt ist die Atomenergiebehörde IAEA, weniger bekannt sind die Bereiche Polizei, Drogenbekämpfung und das Weltraumbüro (Office for outer space affairs). Fernsehbildtaugliche hohe Staatsbesuche sind eher selten, im riesigen UN-Komplex sind im Wesentlichen Experten am Werk. Nicht zuletzt die strategische Lage zwischen Ost und West hat zur Entscheidung für den Standort Wien geführt. Eine stärkere Vermittlerrolle in Europa könnte auch auf die neue Regierung zukommen. Sollte es gelingen, in Österreich bislang zwischen ÖVP und Grünen konträre Positionen in so heiklen Fragen wie beispielsweise der Migration zusammenzuführen, könnte das eine Vorlage sein.