Mit einer gleich fünfteiligen Ausstellung widmet sich das Brandenburgische Landesmuseum für Moderne Kunst den Wegbereitern der Moderne. Verteilt auf die Standorte Cottbus und Frankfurt gibt es dabei 700 Werke zu entdecken – vom Foto bis zum Holzschnitt.
Es ist ein farbintensives Bild, das den Besucher gleich zu Beginn der Ausstellung empfängt. Die Komposition des Malers Ludwig Hirschfeld-Mack zeigt Farben, Linien, Kurven und Schwünge, darüber einen hellen zarten Schleier, der dem Ganzen etwas Rätselhaftes verleiht. Unwillkürlich durchzieht den Betrachter das Bedürfnis, sich nach diesen Linien weich und rhythmisch zu bewegen. Das Werk ist eine gute Einstimmung auf die im Folgenden gezeigten Arbeiten von Künstlern aus den 20er- und 30er-Jahren. Das waren die turbulenten Zeiten nach dem traumatischen Erlebnis des Ersten Weltkriegs. Die Gesellschaft war im Umbruch. „Da tut auch die Kunst das ihrige, um die sich reformierende Gesellschaft zu reflektieren", sagt Ulrike Kremeier, Direktorin des BLMK und eine der Kuratorinnen.
„Mehrere Strömungen beziehungsweise Ideen haben sich in den Zwischenkriegsjahren gebildet, die teilweise mit dem Bauhaus verknüpft waren oder auch nicht. Hier im Frankfurter Ausstellungsteil wollen wir Künstler zeigen, die sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Musik und Bild beschäftigt haben. Das geht einerseits durch Schwünge, Linien und Farben, die bestimmte Tonalitäten ansprechen. Dominantes Rot produziert in unserer Wahrnehmung eben einen anderen Klang als zartes Blau. Es geht aber auch, indem Musik in ihrer Struktur in Bilder übersetzt wird. Da wird es dann viel geometrischer und noch abstrakter."
Beide Strömungen macht die Ausstellung in der Frankfurter Rathaushalle, getrennt durch einen Mittelgang, für den Betrachter also gut nachvollziehbar. So folgen dem solitär am Eingang platzierten Bild von Ludwig Hirschfeld-Mack Werke, die die Aufbruchstimmung der Künstler der 20er- und 30er-Jahre mit all ihren Fragen, Utopien und Widersprüchen spiegeln: Wie wollen wir in Zukunft leben? Taugt der Mensch noch als Maß aller Dinge? Wie verändert er sich und mit ihm sein Umfeld? Wie sollen sie denn sein, der neue Mensch, die neue Stadt?
Es wird experimentiert, abstrahiert und vorausgeträumt. Die Künstler bedienen sich teils spätexpressionistischer Gestaltungsformen, stellen sie wieder infrage, erproben neue Sichten und Techniken.
Von Johannes Itten beispielsweise, der später ebenso wie Ludwig Hirschfeld-Mack am Bauhaus wirkte, ist ein ganzer Zyklus von Kreidelithografien zu sehen. Dabei sind Körper aus kurvigen, dynamischen Linien entwickelt, als Menschen zwar noch erkennbar, aber schon stark abstrahiert.
Musik im Bild umgesetzt
Auch russische Künstler, darunter Alexander Rodtschenko, sind mit Beispielen für die Richtung des Konstruktivismus vertreten. Kubus, Quadrat und Kreis verschmelzen – der neue Mensch als Konstrukteur ist nicht zu sehen – aber mitgedacht! Der Mensch als Maschine? Diese russische Schule wirkte lange nach Deutschland hinein, bis die Kommunistische Partei der Sowjetunion dem einen Riegel vorschob und sich auf das Konzept eines sozialistischen Realismus festlegte.
Anders entwickelte sich vorerst das Verständnis der Moderne in Deutschland und weiteren Teilen Europas. Holzschnitte von Lyonel Feininger zeigen Stadtansichten. Da pendelt der Künstler noch zwischen abstrakten Bildvorstellungen und schematischer Gegenständlichkeit. Gebäude sind als solche erkennbar – Fenster aber nur als Striche, Menschen lediglich schemenhaft. Feininger war einer der frühen Partner von Walter Gropius am Bauhaus.
Der Ungar László Moholy-Nagy schließlich wirbelt Vorder- und Hintergrund sowie Perspektiven ordentlich durcheinander. In seiner Farbserigrafie von 1932 Konstruktion ist diese selbst die wesentliche Aussage. Nagy geht ebenfalls ans Bauhaus – wirkt dort als Maler und Designer. Die abstrakter, typologischer werdende Bildsprache, weg vom Realismus, hin zu schematischer, alles auflösender Darstellung, fand in Deutschland mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ein vorläufiges Ende. Auch das wird in der Ausstellung deutlich.
Dennoch wirkte der Formenkanon der Wegbereiter der Moderne weiter, bis heute. Als einen Fingerzeig in die Jetztzeit haben die Ausstellungsmacher geschickt zu beiden Seiten des Mittelgangs vier großformatige Arbeiten der österreichischen Künstlerin Esther Stocker aus den Jahren 2016 bis 2018 platziert. Stocker arbeitet nur mit schwarzen Linien auf weißem Grund, Acryl auf Leinwand, deren Strenge sie mit unterschiedlichen „Störelementen" bricht. Man könnte es übersetzen mit: Misston bricht Wohlklang. So kann der Betrachter eine, im wörtlichen Sinne lineare Nachwirkung der Pioniere der Moderne bis heute verfolgen.
Entwicklung neuer Formensprachen
Doch nicht nur um die Entwicklung neuer Formensprachen in den 20ern und ihren Einfluss auf die zeitgenössische Kunst geht es im Brandenburgischen Landesmuseum für Moderne Kunst. Ein weiteres Kapitel der Ausstellung beschäftigt sich mit Konzepten des Zusammenspiels von Mensch, Architektur und Stadtraum. Wie verändert der neue Mensch die Stadt oder wie könnte er sie verändern? Neue Formen des Bauens wurden ausprobiert, musikalische und rhythmische Prinzipien auch auf die Architektur übertragen. Die Ausstellung in Frankfurt belegt dies mit Fotos von Gebäuden diesseits und jenseits der Oder, bezieht also die heute polnische Seite mit ein. Ein Beispiel: das Frankfurter Amtsgericht, heute Staatsanwaltschaft. Die geschwungene Fassadenform lässt kaum erahnen, dass es sich um ein Gerichtsgebäude handelt. Oder das ehemalige Musikheim (Architekt Otto Bartnig), ein geradezu schnörkelloser Bau mit großen Fenstern, die für viel Licht in der Haupthalle sorgten. Hier wurden Lehrer, Jugendpfleger und Pfarrer in Musik, Tanz und Theater geschult, wohnten und lernten gemeinsam, so wie es der Reformbewegung in den 30er-Jahren entsprach.
Zwischenzeitig war hier das Kleisttheater untergebracht, heute ist das Gebäude dem Verfall preisgegeben. Architekturstudenten aus Cottbus haben die Gebäude für die Ausstellung fotografiert, digitalisiert und experimentieren damit. Ein Versuch, die damals visionären Entwürfe im Sinne heutiger Erkenntnisse neu zu interpretieren.
Ein paar Schritte von der Frankfurter Rathaushalle entfernt liegt der Packhof am Oderufer. Hier ist der Bereich der insgesamt fünfteiligen Ausstellung untergebracht, im dem es um die Diskrepanz zwischen den Visionen der Künstler und dem damaligen Alltag der Menschen geht. Beispielsweise im Zyklus „Die Stadt" des belgischen Künstlers Frans Masereel – 100 Holzschnitte aus dem Jahr 1925.
„Frans Masereel", so beschreibt Kuratorin Ulrike Kremeier, „ist mit seinem Bildbegriff zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion einzuordnen. Vielen ist er als politisch ambitionierter Künstler ein Begriff. Aber nur damit wird man ihm nicht gerecht".
Seine sehr kleinformatigen Holzschnitte zeigen Menschenmassen und einzelne Personen. Männer, Frauen und Kinder mit ihren Sehnsüchten und Fantasien im Moloch der Großstadt. Wie Masereel Köpfe, teilweise nur fünf Millimeter groß, mit einem ganz individuellen Gesichtsausdruck versieht, selbst Hüte der Frauen mit feinen Dekorbändern verziert, wie es ihm gelingt, sie so aus der Anonymität der Masse herauszuheben, schon allein das ist sehenswert.