Christoph Kolumbus und Steve Jobs sind die Protagonisten von „Plus Ultra", der neuen Bühnenproduktion der saarländischen Künstlergruppe Die Redner, die demnächst uraufgeführt wird.
Die vier Künstler, die sich 20 Tage vor der Premiere zur Probe für ihr Stück „Plus Ultra" treffen, wirken entspannt. Sie findet in einem kleinen Kellerraum statt, der voll mit Instrumenten, Verstärkern und anderen technischen Geräten ist. Jede Menge Kabel liegen auf dem Boden, dunkle Vorhänge hängen an den Wänden, das Mobiliar ist in die Jahre gekommen. Und trotzdem herrscht eine ganz besondere Atmosphäre, die eine leise Ahnung gibt von dem, was bald auf der Bühne der Alten Feuerwache in Saarbrücken zu erleben sein wird: eine multimediale Performance, in der Amerika-Entdecker Christoph Kolumbus und Apple-Gründer Steve Jobs aufeinandertreffen.
Seit rund einem Jahr arbeitet das Künstlerkollektiv Die Redner an ihrem neuen Projekt „Plus Ultra". Die lateinische Redewendung kann mit „immer weiter" übersetzt werden. Die Ankündigung verspricht eine Bühnenproduktion, die sich den Gründen und Abgründen von Innovation und Forschergeist, von Eroberung und Neuverteilung, von Glanz und Schande widmet.
„Der Blick von unserer digitalisierten Gesellschaft zurück in die Renaissance zeigt, dass es die Globalisierung schon immer gab", erklärt der musikalische Leiter Oliver Strauch. Das Stück mache deutlich, dass der Mensch in seinem Streben immer weitergehen will – auch wenn dies zu Katastrophen führt. Die Figur des Kolumbus vereine Genialität mit menschlichen Abgründen. Er war ebenso ein Kämpfer und Visionär wie Steve Jobs, dessen berühmte Ansprache, die er 2005 vor Absolventen der Stanford-Universität hielt, eine zentrale Rolle in „Plus Ultra" spielt. „Stay hungry, stay foolish", sagte Jobs an einer Stelle, was mit „Bleibt hungrig! Bleibt tollkühn!" frei übersetzt werden kann. Ein eindringliches Zitat, dem Die Redner mit akustischen und visuellen Mitteln zusätzliche Kraft verleihen.
„Einen Rausch aus Musik und Bildern schaffen"
„Plus Ultra" ist reich an diesen Passagen. Die fragmentierten Texte, meist in Englisch und Deutsch, einmal auch in Spanisch, werden zu Zentren der atmosphärisch-psychologischen Klanglandschaften, die das Gesagte erlebbar, ja spürbar machen. „Wir versuchen, einen Rausch aus Musik und Bild zu schaffen, der die Visionen von Jobs und Kolumbus emotional transportiert", erzählt Florian Penner, der bei „Plus Ultra" unter anderem für Film und Animation zuständig ist. Es gehe darum, bildnerische Metaphern zu finden. Für „Plus Ultra" war er unter anderem mit einem Kamerateam einige Tage auf einem Holzschiff auf dem Meer unterwegs, um die unendliche Weite der offenen See zu erleben und einzufangen.
Als Textgrundlage für den Part des Kolumbus dient das Bordbuch, das der Seefahrer auf seiner ersten Amerikafahrt 1492 verfasste. Die Urschrift ist nicht erhalten geblieben, allerdings gibt es noch eine Kopie eines spanischen Theologen. Der Text zeugt von einem starken Glauben an die eigene Mission, die Welt zu verändern und zu verbessern.
Kolumbus musste vielen Widerständen trotzen: Zweifel der Geldgeber, politische Hindernisse, Intrigen des Kapitäns auf einem seiner Schiffe, meuternde Besatzungsmitglieder. Doch all dies hat den Seefahrer nicht von seinem großen Ziel abhalten können. Die Folge war ein epochaler Wandel, eine verheißungsvolle neue Welt, die die Sehnsüchte der Menschen erfüllen soll.
Steve Jobs gelang Ähnliches: Seine Visionen führten ebenso zu großen Veränderungen in der Weltgesellschaft. „Die Entwicklungen von Apple-Computern und dem iPhone haben in Verbindung mit ihren Betriebssystemen die Digitalisierung und Vernetzung von Wirtschaft, Kunst und Kultur mit vorangetrieben", beschreiben Die Redner das Werk des Amerikaners auf ihrer Internetseite. Trotz der zeitlichen Distanz von 500 Jahren zwischen den beiden Protagonisten lassen sich Parallelen und Gemeinsamkeiten erkennen: „Die Urtriebe des Menschen nach Erfüllung und Macht, nach Neuem zu streben und das Alte zu begraben, scheinen auf ewig zu bestehen."
Die Redner wollen mit „Plus Ultra", wie mit allen ihren Projekten, einen künstlerischen Beitrag zur Diskussion über die großen Themen unserer Zeit leisten. Seit 2007 sorgen sie mit ihren multimedialen Inszenierungen für Aufsehen. Im Zentrum steht stets das Wechselspiel aus Sprache, Elektronik und Livemusik. Meist sind es bahnbrechende politische Reden, die mit Videokunst und Livemusik zu einer eindringlichen Performance werden. Das Themenspektrum reicht von Krieg und Frieden über Religion bis zu gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Entwicklungen.
Improvisation spielt eine wichtige Rolle
Die Redner sind mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Medienkunstpreis des Saarländischen Rundfunks und im Wettbewerb „Deutschland – Land der Ideen". „Plus Ultra" entsteht als Koproduktion von Die Redner mit dem Saarländischen Staatstheater. Die Vorbereitungen für das Stück begannen vor rund einem Jahr. Entwickelt wurde es von den beiden Köpfen des Kollektivs. Oliver Strauch ist Professor für Jazzschlagzeug an der Hochschule für Musik Saar und spielt Konzerte auf der ganzen Welt. Florian Penner, Medienkünstler und Bassist, sammelte Bühnenerfahrung mit dem Elektrofunk-D&B Trio Reaktor, das zwischen 1997 und 2004 viele Konzerte in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und Österreich gab.
Zum „Plus-Ultra"-Ensemble zählen auch drei Gastkünstler: Alisa Klein (Posaune), Manuel Krass (Keyboards) und Lucyna Zwolinska (Choreografie, Tanz). „Die Tänzerin zeigt uns den Menschen im Fahrwasser der Gefühle und bringt eine Identifikation für die Zuschauer, die die beiden Protagonisten so nicht bieten", erklärt Oliver Strauch. Musikalisch sei „Plus Ultra" ein Rundumschlag in der Musikgeschichte – mit Flöten und Trommeln der indigenen Völker sowie Musik der Frührenaissance und der Neuzeit.
Improvisation spielt dabei eine wichtige Rolle und gibt den Mitwirkenden Gelegenheit, in einen künstlerischen Dialog zu treten. Dabei entstehen diese besonderen Momente, in denen der Ort – ob große Bühne oder kleiner Probenraum – plötzlich keine Rolle mehr spielt. Wenn Manuel Krass in ruhigen Worten die Passage vom 25. September 1492 aus dem Bordbuch von Kolumbus zitiert, als die Schiffsbesatzung nach langer Fahrt erstmals wieder Land in der Ferne entdeckt, und Alisa Klein diese Stimmung mit ihrer Posaune musikalisch aufnimmt und verstärkt – dann offenbart sich eine nahezu magische Tiefe. „Plus Ultra" verspricht viele solcher Momente.
Die Redner nehmen die Zuschauer mit auf eine kunstvoll-filmische Reise durch die Geschichte und die Gegenwart, auch, um sie mit grundlegenden Fragen zu konfrontieren. Wie ist unsere Zivilisation aufgebaut? Auf welchen Ressourcen fußt unser Wohlstand? Inwiefern sind wir an der Ausbeutung beteiligt? Können wir an unserem Bild des Westens weiter festhalten?
Antworten wollen Die Redner nicht geben, auch wenn in ihrer Kunst jede Menge Kommentare zu entdecken sind – mal laute, mal leise, manchmal sogar ironische: Das „Plus-Ultra"-Plakat zeigt Christoph Kolumbus, der den Moment seiner Entdeckung Amerikas mit einem Selfie dokumentiert.