Der britisch-deutsche Reiseveranstalter Thomas Cook ist pleite. Trotzdem kein Grund zur Freude für Marek Andryszak, Vorstandschef von Tui, weltweit größter Konkurrent von Thomas Cook. Er erwartet stabile Preise und klimabewussteres Reisen.
Herr Andryszak, die Insolvenz von Thomas Cook einschließlich der deutschen Tochtergesellschaften hat eine neue Marktsituation geschaffen. Werden Pauschalreisen jetzt teurer, weil der Konkurrenzkampf unter den Anbietern geringer geworden ist?
Davon gehe ich überhaupt nicht aus. Für mich ist die Frage ausschlaggebend: Ist die Anzahl der Flugplätze geringer geworden? Nein, denn die Condor fliegt weiter. Ist die Anzahl der Hotelbetten geringer? Nein, es sind die gleichen Hotels wie vorher. Ist jetzt die Anzahl der Reisebüros geringer? Nein, es sind immer noch die gleichen Reisebüros am Markt. Das heißt, die Anzahl der Veranstalterkonkurrenten ist geringer geworden, aber nicht jede einzelne Komponente der Reise. Deshalb gehe ich fest davon aus, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis erhalten bleibt.
Die Pauschalreise galt bisher für Kunden als sicher, da die Zahlungen über den Reisesicherungsschein abgesichert waren. Jetzt zeigt sich, dass bei einer Großinsolvenz die gesetzlich vorgeschriebene Deckungssumme in Höhe von 110 Millionen Euro bei der Insolvenz von Thomas Cook nicht ausreicht. Sehen Sie die Gefahr, dass damit das Vertrauen in die Pauschalreise erschüttert ist?
Ich hoffe nicht. Da kann man sicherlich der Politik den Vorwurf machen, dass sie im Vorfeld nicht aktiv genug gewesen ist. Aber trotzdem – die Insolvenz von Thomas Cook ist in ihrer Größenordnung schon einmalig. Ich hoffe sehr, dass alle anderen, die am Markt agieren, dadurch nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.
Sollte die Politik darauf drängen, die garantierte Sicherheitssumme erheblich zu erhöhen? Das würde auch Auswirkungen auf die Versicherungsprämien der Reiseveranstalter haben. Die würden erheblich steigen, mit der Konsequenz, dass auch die Pauschalreisen teurer werden.
Richtig. Zusätzliche Absicherung kostet zusätzliches Geld. Dieses zusätzliche Geld wird erst einmal an den Kunden weitergereicht. Bisher hat der Kunde aber diesen Sicherheitsmehrwert sehr selten zu spüren bekommen. Deshalb dürfte es schwierig sein, dem Kunden klarzumachen, dass dieser Mehrwert erheblich teurer wird. Natürlich möchte ich nicht, dass die Politik jetzt aktionistisch unterwegs sein sollte. Einerseits heißt es: Achtung, ein Reiseveranstalter ist insolvent; damit bekommt der Kunde über den Reisesicherungsschein sein Geld zurück. Es gibt aber noch eine andere Betrachtungsweise. In Deutschland sind im letzten Jahr vier oder fünf Fluggesellschaften pleitegegangen und niemand war abgesichert und hat sein Geld zurückbekommen. Das bedeutet in der Konsequenz, dass der Thomas-Cook-Kunde immer noch besser dasteht als der Airline-Passagier.
Die Klimadiskussion hat heftig an Fahrt aufgenommen. Wie geht Tui als weltgrößter Reiseveranstalter mit diesem Thema um?
Natürlich ist die Diskussion um das Klima eine große Herausforderung. Und natürlich bewegen wir unsere Kunden von A nach B. Heute passiert das durch das Verbrennen von fossilen Treibstoffen. Insofern kann man sagen, ist das, was wir tun klimaschädlich. Auf der anderen Seite bringen wir Wohlstand oder eine Wohlstandsverbesserung in viele Destinationen. Für Menschen, die das sonst nicht spüren würden. Wir stellen uns der Klimathematik. Wir erneuern die Flugzeugflotte mit treibstoffsparenden Maschinen. Bei unseren Schiffen sind wir dabei, die Antriebe zu verbessern. Wir vermeiden Plastik, wo es geht, und Umweltschutz ist auch in unseren Hotels ein großes Thema. Ja, die Klimadiskussion ist herausfordernd, und wir versuchen, soweit es nur geht, unser Geschäftsmodell zu optimieren.
Sehen Sie die Gefahr, dass Flugreisen generell in die Diskussion geraten? Es gibt ja bereits den Begriff der Flugscham.
Das kenne ich besonders aus dem Norden Europas. Besonders in Schweden ist das inzwischen ein sehr wichtiges Thema geworden. Ich glaube aber nicht, dass die Menschen aufhören zu reisen. Ich glaube, dass die Menschen bewusster reisen werden, aber sie werden damit nicht aufhören.
Die Kernfrage ist doch: Kann Massentourismus überhaupt umweltfreundlich sein, wenn sich Millionen von Urlaubern in Bewegung setzen?
Die Frage ist berechtigt. Auf der anderen Seite kann man diese Frage auch umdrehen: Wenn wir alle aufhören zu reisen, was passiert dann? Was wären die ökonomischen Folgen? Was passiert mit den Beschäftigten der Hotels oder der Fluggesellschaften? Und so weiter und so fort. Ist es in Summe klimafreundlich, wenn all diese Arbeitsplätze wegfallen? Natürlich ist es wichtig, dass möglichst geringe Emissionen verursacht werden und dass die Abfallmengen minimiert werden.
Welche Rolle spielen inzwischen die Buchungen im Internet?
Unser Internetanteil in Summe ist deutlich über 20 Prozent, wenn man auch Portale mit einbezieht, die uns nicht gehören. Die Entwicklung auf den eigenen Portalen ist aber sehr dynamisch und äußerst zufriedenstellend.
Was verbirgt sich in diesem Zusammenhang hinter tui.com?
Das ist schlicht gesagt eine Buchungsmaschine, die heute alle Hotels, Flüge oder Paketkomponenten bietet. Wir möchten das zu einem zentralen Reisemarktplatz in Europa entwickeln. Die Perspektive sieht so aus, dass sich der Kunde alle Informationen und Reisen aber auch Inspirationen an einer Stelle holen kann.
Glauben Sie, dass Sie damit auch ältere Menschen, die in Deutschland die Mehrheit stellen, damit erreichen können?
Da bin ich sehr sicher. Die allermeisten Menschen, die heute in Rente sind, haben das Internet schon in ihrem Berufsleben kennengelernt. Demnächst wird es so gut wie keine Menschen mehr geben, die ohne Internet beruflich unterwegs gewesen sind.
Welche Zukunft hat bei dieser Entwicklung das Reisebüro?
Das Reisebüro wird aus meiner Perspektive zur zentralen Anlaufstelle für komplexe und komplizierte Reisewünsche. Immer dann, wenn ich zwei, drei oder mehrere Hotels in einer Buchung verbinden möchte. Immer dann, wenn ich von einem Ort abfliege, aber von einem anderen zurückfliegen möchte. Immer dann, wenn ich zwischendurch etwas ganz Spezielles machen möchte. Zum Beispiel, um einen ausgefallenen Reisewunsch zu nennen: eine Übernachtung in einem Baumhaus. Hier ist die Kompetenz des Reisebüros gefragt. Derartige komplexe Wünsche dürften über eine Buchungsmaschine schwierig abzuwickeln sein. Die standardisierten Produkte in einem Ort und einem Hotel oder einfache Pauschalreisen nach Mallorca, Antalya oder Teneriffa werden dagegen immer stärker im Internet gebucht werden.