Wie wird das Auto in zehn Jahren aussehen? Können neue Antriebstechnologien im Saarland produziert werden? Fragen, vor denen die Automobilindustrie derzeit steht und die Angestellten Sorge bereiten. 2019 wurden im Land 3.000 Arbeitsplätze im Fahrzeugbau gestrichen.
Nein, es steht nicht gut um den Automobilstandort Saarland: Der stark auf den Export angewiesene Industriesektor gerät nicht nur durch den Brexit, dessen Ausgang weiterhin unklar ist, in eine zunehmend schwieriger Position. Bei sehr viel grundlegenderen Fragen, wie der nach der Zukunft des Verbrennungsmotors, fehlen Antworten. Das spüren gerade die Arbeiter in den Unternehmen. Sie haben Angst vor Entlassungen, wie sie bei Ford schon umgesetzt sind, Kurzarbeit oder dem Wegfall der Tarifbindung. Schon jetzt ist für sie spürbar, dass der Strukturwandel in ihrer Branche an Fahrt aufnimmt – durch leere Auftragsbücher. „Den Strukturwandel merken wir, weil die Aufträge ausbleiben. Die Automobilindustrie muss einen Weg finden, in welche Richtung es jetzt geht", meint Waldemar Henschel, Betriebsrat bei Saar Gummi. Das Unternehmen war vor sechs Jahren von einem chinesischen Staatskonzern aufgekauft worden, die Aussichten sind wieder positiv. Aber die Unklarheiten in der Branche und das Hin- und Herschieben von Verantwortung zwischen Wirtschaft und Politik erzeugen große Ängste bei den Angestellten. So sagt Henschel weiter, er habe Sorge, dass „der Umbruch uns das Genick bricht, weil wir nicht die Reserven haben, um als kleiner Partner der Automobilindustrie zu bestehen".
Und damit steht Henschel bei Weitem nicht allein dar: Rund dreiviertel der Personal- und Betriebsräte der Kfz-Industrie, die am diesjährigen Betriebsbarometer der Arbeitskammer des Saarlandes teilgenommen haben, schätzen die Zukunftsaussichten in ihrem Betrieb als „eher schlecht" oder „sehr schlecht" ein. Verglichen mit der Gesamtbewertung aller befragten Branchen im Saarland ein erschreckendes Ergebnis, da im Schnitt über 65 Prozent der Betriebs- und Personalräte angeben, die Zukunft ihres Betriebes oder ihrer Dienststelle eher positiv zu sehen. Die Gründe, die die Arbeitskammer hierbei speziell für die Automobilindustrie aufführt und die zu diesem Ergebnis geführt haben, sind unter anderen der Technologiewechsel bei dem Antrieb der produzierten Fahrzeuge, das Misstrauen, das durch die Dieselaffäre entstanden ist, sowie die Veränderungen in Produktion und Produkten, die durch die Digitalisierung entstehen.
„Wir haben nicht die Reserven"
Für das Betriebsklima entscheidend sind aber auch die Faktoren Mitbestimmung und Kommunikation. Hier hat sich in der Vergangenheit die Situation etwas verbessert, in einigen Betrieben fühlen sich die Betriebsräte in den derzeitigen Transformationsprozess mit eingebunden und ausreichend informiert. „Mitbestimmung wird bei uns groß geschrieben –
gerade in der jetzigen Situation", sagt beispielsweise Marco Weber, Betriebsrat bei Thyssen Krupp Systems Engineering. Bei Entscheidungen zur Entwicklung der Beschäftigung sei die Mitarbeitervertretung in seinem Unternehmen mit involviert. Auch Henschel bewertet den Dialog zwischen Unternehmensleitung und Mitarbeitervertretung bei Saar Gummi in dieser schwierigen Phase als gut.
Dennoch ist bei anderen Betrieben noch Luft nach oben, das ist auch der saarländischen Politik klar. So lud das Wirtschaftsministerium Anfang Oktober unter dem Titel „Mitbestimmung in Zeiten der Transformation der Automobilindustrie – Erwartungen und Perspektiven" Betriebs- und Personalräte zum Dialog ein. Vertreter der Parteien diskutieren mit den Belegschaften, wie die Zukunft der Kfz-Industrie im Saarland aussehen könnte. Geht es nach der Meinung der Betriebsräte, reicht dieser Dialog mit der Politik aber noch nicht aus. Man wünscht sich politische Konzepte, wie man die Automobilindustrie und ihre Zulieferer im Saarland halten und unterstützen kann. „Mein Wunsch ist es, dass man zu dem Industriestandort Saarland steht, verlässliche Zusagen macht und sagt, hier wollen wir weitermachen mit der Automobilindustrie", meint Weber dazu.
Die Beschäftigten sind der Ansicht, dass es nun allerhöchste Zeit ist, infrastrukturell die richtigen Weichen zu stellen, um einen Wechsel der Antriebstechnologie überhaupt möglich zu machen: Es fehlt an Ladestationen für Elektroautos und Wasserstoff-Tankstellen, um Fahrzeuge mit Brennstoffzellen zu betanken. Diese Forderung stellen sie an die saarländische Politik. Der Bau der ersten Wasserstoff-Tankstelle, der eigentlich schon im Sommer in Saarbrücken beginnen sollte, verzögert sich derzeit durch Mängel, die die Untere Bauaufsicht der Landeshauptstadt festgestellt hat. Hier sollte nach Meinung der Betriebsräte politisch nachgebessert werden, da der Bau solcher Tankstellen in anderen Bundesländern bisher reibungsloser verläuft und die Gründe für die Verzögerung für die Betriebsräte nicht nachvollziehbar sind. Nur so könnten die entsprechenden Anreize für die Industrie entstehen, ihr Produktportfolio zukunftsweisend zu überarbeiten. Insgesamt sollte die Politik auch in dem Themenbereich Mobilität der Zukunft mehr tun, um sich als Förderer anzubieten und nicht als Bremser aufzutreten, meinten die anwesenden Betriebs- und Personalräte auf der Veranstaltung „Transformation der saarländischen Automobilindustrie. Herausforderungen und Handlungsansätze" der Arbeitskammer Mitte November. Neben der finanziellen Förderung für die Unternehmen sollte der Bereich der Forschung ausgebaut werden, um bei der Entwicklung der Autoteile von morgen eine bedeutendere Rolle zu spielen.
Investitionen in Infrastruktur gefordert
Für das Saarland könnte der aktuelle Transformationsprozess aber auch eine Chance bieten, besonders wenn es nach der Politik geht. Gerade weil das Saarland das kleinste Flächenland in der Bundesrepublik und trotzdem einer der bedeutendsten Standorte für die Kfz-Industrie ist, könnten Modellprojekte zu einer modernen, klimafreundlichen Mobilität hier gut umgesetzt werden. Das könnte möglicherweise auch die finanziellen Belastungen, die durch den Strukturwandel für das Saarland entstehen, reduzieren, da man für diese Modellprojekte auf die Unterstützung des Bundes hofft. Dass der Begriff „Modellregion" jedoch mittlerweile inflationär eingesetzt wird, steht auf einem anderen Blatt. Dass er tatsächlich mit Inhalten gefüllt wird, muss sich erst beweisen.
Für die Beschäftigten ist all dies noch ein vages Zukunftsszenario. Was für sie von Bedeutung ist, ist zunächst der Verbraucher: „Das größte Problem ist, die Käufer davon zu überzeugen, auf alternative Antriebstechnologien umzusteigen. Die Käufer werden entscheiden, was sie fahren werden", meint Weber von Thyssen Krupp. Außerdem müssen neue Vertriebspartner gefunden werden, um die Produktion von Autoteilen auch in Zukunft zu gewährleisten. So arbeitet Thyssen Krupp in der Produktion von Bauteilen mittlerweile mit dem US-amerikanischen Elektro-Autobauer Tesla zusammen.
Nur, wenn Politik, Unternehmen und Mitarbeiter gemeinsam an einem definierten Ziel arbeiten, gebe es eine Chance für die Autoindustrie im Saarland, den Strukturwandel nicht nur zu überstehen, sondern ihn mitzugestalten und möglicherweise gestärkt aus ihm hervorzugehen. Henschel von Saar Gummi: „Wir könnten es schaffen. Wenn wir zusammenarbeiten."