Glenn Miller war der Inbegriff weißer Swing-Musik und einer der Väter der Big-Bands, der mit seinen Ohrwurm-Sounds eine kommerziell erfolgreiche Variante des Jazz populär machte. Seine steile Karriere wurde durch einen Flugzeugabsturz am 15. Dezember 1944 jäh beendet.
Bei diesem Wetter, das am 15. Dezember 1944 im Großraum London herrschte, hätte man nicht mal einen Hund vor die Tür gejagt. Und doch hatte es sich der erfolgreichste Bandleader der Swing-Ära in den Kopf gesetzt, mit einer kleinen Propellermaschine nach Paris aufzubrechen. Er wollte die letzten Vorbereitungen für den Konzertauftritt im dortigen „Olympia" mit der von ihm geleiteten Army Air Force Band erledigen. Der Start vom Militärflughafen Twinwood Farm in Bedford bei London lief trotz frostigem Nebel und Minusgraden problemlos, doch in der Seine-Metropole kam die von zwei Piloten gelenkte Maschine niemals an. Von ihr fehlte jede Spur.
Erst neun Tage später wurde der Vorfall kurz in den BBC-Nachrichten erwähnt, wobei der 40-jährige Glenn Miller lediglich als „vermisst" gemeldet wurde. Es gab nie eine offizielle Untersuchung des wahrscheinlichen Absturzes über dem Ärmelkanal. Bis heute halten sich diverse Spekulationen und wilde Verschwörungstheorien. Vereiste Tragflächen gelten angesichts des damaligen Wetters als wahrscheinlichste Variante. Aber auch ein sogenanntes Friendly Fire eines britischen Lancaster-Bombers gilt als nicht unmöglich. Diese pflegten ihre tödliche Restlast bei der Rückkehr von einem Kriegseinsatz vor der Landung aus Sicherheitsgründen über dem offenen Meer zu entsorgen. Möglicherweise wurde die kleine Propellermaschine dabei übersehen. Geklärt ist das Verschwinden jedenfalls bis heute nicht.
Auf dem Höhepunkt seines Erfolgs, als er mit seiner 1938 gegründeten Glenn Miller Band sogar Swing-Größen wie Duke Ellington, Count Basie, Artie Shaw und Benny Goodman abgehängt hatte, löste Miller 1942 sein Orchester auf. Stattdessen meldete er sich freiwillig beim Militär zum Kampf gegen Nazi-Deutschland. Im Rang eines Captains bei der US Air Force erhielt er den Auftrag, eine Armee-Band aus eingezogenen Musikern aufzubauen. Im Februar 1944 erhielt Miller mit seiner Army Air Force Band den Befehl, nach England zu wechseln, um dort Konzerte und Radiosendungen für die alliierten Truppen, aber auch antifaschistische Propaganda-Übertragungen für Deutschland zu realisieren. Die Aufnahmen wurden größtenteils in den Londoner Abbey Road-Studios eingespielt, bei den für den deutschen Äther vorgesehenen Produktionen war die Stimme des inzwischen zum Major aufgestiegenen Miller als Moderator an der Seite der Migrantin Ilse Weinberger zu hören.
1941 erste goldene Schallplatte der Musikgeschichte
Die Arbeit mit der Militär-Band erforderte von Glenn Miller eine erhebliche musikalische Neuorientierung. Er musste sich von seinem typischen Swing-Sound verabschieden, für den etwa der Song „In the Mood" steht – der wohl größte Hit der Swing-Ära. Mit seiner bereits 1935 geschriebenen und im April 1939 aufgenommenen Eigen-Komposition „Moonlight Serenade" stürmte er im gleichen Jahr die US-Billboard-Charts. Das gelang ihm ein Jahr später mit dem Song „Tuxedo Junction" erneut und auch 1942 mit „A String of Pearls".
Sein ganz persönlicher Swing-Sound bescherte Miller auch die erste goldene Schallplatte der Musikgeschichte, weil ihm sein Label RCA Victor nach dem Verkauf von mehr als 1,2 Millionen Singles des am 7. Mai 1941 produzierten Songs „Chattanooga Choo Choo" als persönliches Dankeschön ein in Gold gepresstes Plattenexemplar überreichte. Der Titel öffnete ihm sogar die Türen Hollywoods, wo er 1941 mit der 20th Century Fox einen Vertrag über vier Spielfilme abschloss. Zwar wurden wegen seines Militärdienstes nur zwei davon verwirklicht, aber dank der Streifen „Sun Valley Serenade" (1941) und „Orchestra Wives" (1942) stieg der Bekanntheitsgrad seiner Band ins Kometenhafte. Eine ganze Reihe weiterer Songs – etwa die für den Oscar 1943 nominierte Aufnahme „I’ve got a gal in Kalamazoo", die 1942 bis an die Spitze der Billboard-Charts gelangt war, oder auch Einspielungen wie „American Patrol" und „Serenade in Blue" – wurden weltweit populär. Zwischen 1939 und 1943 landete Miller nach Angaben des American Music Research Center mit stolzen 35 Titeln unter den Top Ten, wobei „Moonlight Cocktail" am längsten den ersten Platz behaupten konnte.
Dass Glenn Miller mit seiner Army Air Force Band auch den ursprünglich afroamerikanischen, weniger eingängigen Jazz in den Griff bekam, verdankte er seiner größten musikalischen Fähigkeit. Er galt als der perfekte Arrangeur, der selbst leidlich, aber keinesfalls herausragend Posaune spielen konnte. Vor allem bei der für den klassischen Jazz typischen Improvisation hatte er so seine Schwierigkeiten. Schon 1926 nach seinem Eintritt in das damals legendäre Ben Pollack Orchestra und dem dortigen Aufeinandertreffen mit dem begnadeten Posaunisten Jack Teagarden dürfte Miller bewusst geworden sein, dass seine größten Karrierechancen nicht im Spielen seines Lieblingsinstruments, sondern im raffinierten Arrangieren von Stücken lagen. Den Ritterschlag für seine Arrangierkünste erhielt er 1937 von keinem Geringeren als George Gershwin, der ihn an der Orchestrierung der Partitur für seine Show „Girl Crazy" entscheidend mitwirken ließ.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Miller schon seine rastlose Suche nach einem eigenständigen, innovativen Sound erfolgreich abgeschlossen. Der Clou bestand darin, den gängigen fünfstimmigen Saxofonsatz der Big Bands um das Baritoninstrument zu verringern und dieses durch eine hohe Klarinette, die die Melodie im Oktavenabstand führt, zu ersetzen.
Dank dieses Instrumententauschs, ergänzt durch vier Posaunen, gelang ihm mit seinem Orchester ein sanfter, heller, einschmeichelnder und eingängiger Klang. Er traf damit genau den Geschmack eines breiten Publikums, das zu Millers Musik perfekt das Tanzbein schwingen konnte. Er wollte ganz bewusst kommerziell erfolgreiche Musik machen, weshalb er auf Harmonie setzte. Anfang der 1940er-Jahre konnte er bis zu 50 Auftritte pro Woche mit seiner Band bestreiten, die Wochengagen der Band lagen zwischen 3.000 und 10.000 Dollar, Glenn Millers persönliches Jahreseinkommen wurde für das Jahr 1942 mit 150.000 Dollar taxiert.
1937 gründete er erste eigene Big Band
Der am 1. März 1904 im Kleinstädtchen Clarinda im US-Bundesstaat Iowa geborene Alton Glenn Miller führte ein rundum bürgerliches Leben. Die Liebe zur Musik wurde ihm schon früh von der Mutter, die selbst Orgel spielte, vererbt. Sie schenkte ihm eine Mandoline, die er jedoch wenig später gegen ein altes Horn eintauschte. Im Alter von 13 Jahren kaufte er sich seine erste eigene Posaune. Während der High-School-Zeit in Fort Morgan in Colorado spielte er in einer Schülerband und finanzierte nach seinem Abschluss 1924 sein nur knapp zwei Jahre währendes Studium an der Universität von Colorado durch gelegentliche Posaunen-Engagements.
1928 heiratete er seine Jugendliebe Helen Burger. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits den Entschluss gefasst, Berufsmusiker zu werden. Dank der Protektion Ben Pollacks wirkte er von 1929 bis 1937 in den Bands diverser Künstlergrößen wie Benny Goodman, Ray Nobles oder den Dorsey-Brüdern als freier Posaunist mit, unterbrochen nur 1935 durch das Studium der Komposition bei Professor Joseph Schillinger in New York.
Im gleichen Jahr erhielt er von Columbia Records die Chance, erste eigene Platten mit Titeln wie „Moonlight on the Ganges" oder „Solo Hop" aufzunehmen, deren Verkaufserfolge allerdings eher bescheiden ausfielen. 1937 gründete er seine erste Big Band, die aber nach einigen Plattenaufnahmen im Auftrag von Decca vor allem wegen zu hoher finanzieller Belastungen Ende 1937 wieder aufgelöst werden musste. Nach einer halbjährigen Auszeit wagte er dann die Zusammenstellung der legendären Glenn Miller Band, die ihren Durchbruch letztlich dem „Glen Island Casino" auf Long Island in New York verdankte.
Die Betreiber nahmen die Band für die gesamte dreimonatige Sommersaison 1939 unter Vertrag. Nach Ende des Engagements hatten Glenn Miller und seine Band Kultstatus erreicht, weil ihr Sound dank abendlicher Rundfunkübertragungen in den gesamten USA bekannt geworden war. Zudem wusste das Label RCA Victor die Begeisterung der Massen geschickt durch die Produktion von rund 36 Plattentiteln allein während des Sommerengagements der Band zu nutzen. Danach konnte sich Glenn Miller, dem Anthony Mann und sein Hauptdarsteller James Stewart 1954 mit dem Spielfilm „Die Glenn Miller Story" ein Denkmal setzen sollten, vor Auftrittsangeboten kaum mehr retten. Zudem konnte die Qualität der Band durch die Verpflichtung noch hochkarätigerer Musiker, die allesamt mustergültig sozialversichert waren, weiter erhöht werden.