Das aktuelle Album „Schritte" der Band Silbermond ist der Versuch, sich musikalisch neu zu orientieren, ohne den Markenkern zu verlieren. FORUM traf Sängerin und Songschreiberin Stefanie Kloß und Schlagzeuger und Songschreiber Andreas Nowak in Berlin zum Interview.
Ihr letztes Album haben Sie in Nashville eingespielt. Das neue Werk „Schritte" hingegen ist unter anderem in Südfrankreich entstanden. Wie war es, in dieser Umgebung neue Songs zu erarbeiten?
Andreas Nowak: Für Frankreich haben wir uns entschieden, weil das Studio dort so viele Möglichkeiten bietet, den Sound hinzubekommen, den wir angestrebt haben. Dort kann man intensiv arbeiten, weil es keine Ablenkung gibt. Frankreich war für uns eine seelische Oase.
Stefanie Kloß: Mit „Leichtes Gepäck" hat sich die Band ihr Selbstbewusstsein zurückgeholt. Die Platte fühlte sich für uns absolut homogen und gut an. Uns war klar, dass wir diesen Grundsound beibehalten wollen. Nicht so klar war, wie die Erneuerung aussehen sollte. Und dann kamen die Trompete, die Ukulele, die Mandoline dazu. Dafür war das Studio in Frankreich ideal. Es gibt nicht mehr viele Bands, die ihre Songs im Proberaum gemeinsam erarbeiten und wirklich noch zusammen spielen. Die sich gegenseitig auf den Kopf hauen und sich gleichzeitig für ihre Ideen voll abfeiern.
Wie sieht bei Ihnen ein kreativer Streit aus?
Kloß: Ich bin nicht gut darin, Kritik zu üben, ich bin sehr holterdiepolter. Aber ich reagiere sehr emotional, wenn jemand etwas an mir beanstandet. Einmal hat Nowi mich ganz lieb kritisiert und trotzdem hat es mich sehr verletzt, weil ich möchte, dass wir uns gefallen. Man muss sich schon ein dickes Fell zulegen.
In „Träum ja nur (Hippies)" plädieren Sie dafür, sich den Traum von einer besseren Welt nicht ausreden zu lassen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Begriffe wie „Homophober", „Rassist" oder „Klimakatastrophe" einmal der Vergangenheit angehören werden?
Kloß: Eigentlich dachten wir, über einige Dinge längst hinweg zu sein. Und dann kommt doch wieder so ein Trump oder so ein Höcke. Natürlich wird es nie so sein wie in dem Song, aber er wärmt mich einfach für den Moment. Wenn wir uns nicht mal trauen zu träumen, können wir ja gleich alles an den Nagel hängen. Bei so einer großen Utopie ist es sehr wahrscheinlich, dass die Gesellschaft wenigstens ein paar Schritte in diese Richtung geht.
Spielt das politische Geschehen eine Rolle, wenn Sie neue Songs schreiben?
Kloß: Ich beschäftige mich nicht jeden Tag mit Nachrichten und Zusammenhängen, weshalb es mir manchmal schwerfällt, mir eine Meinung zu bilden. Mir hat es sehr geholfen, mich mit Menschen darüber zu unterhalten, wie sie Dinge sehen und einordnen. Daran bin ich gewachsen. Ansonsten lassen wir uns beim Schreiben sehr vom Gefühl leiten und schauen dann, ob es beim anderen auch so ankommt.
In dem Song „Mein Osten" werfen Sie einen kritischen Blick auf Ihre Heimatregion. Herrscht im Osten Demokratieverdruss?
Nowak: In meiner Familie ist die Demokratie total angekommen, aber ich habe Bekannte, die manchmal komische Kommentare von sich geben. Ich habe mich mit einem Physiker über den weltweiten Rechtspopulismus unterhalten. Er meinte, das habe viel mit dem Internet zu tun. Viele kommen mit der Globalisierung durch das Netz nicht klar. Sie lesen nur Überschriften und bekommen sofort Angst. Ich finde, Facebook hat die Verantwortung, dass die Leute auch andere Meinungen zu lesen bekommen.
Kloß: Man muss dabei auch die Geschichte dieses Teils unseres Landes betrachten. Meine Mutter hatte Tränen in den Augen, als ich ihr „Mein Osten" vorspielte. Sie fühlte sich wirklich verstanden. Zu behaupten, die Menschen im Osten wüssten nicht, wie Demokratie funktioniert, ist zu kurz gedacht. Man muss sich einzelne Biografien anhören und nicht alles über einen Kamm scheren. Für die Ostdeutschen hat sich seit der Wende wesentlich mehr verändert als für die Menschen im Westen. Wir sind sehr dankbar für die Wiedervereinigung, aber da ist immer noch eine offene Wunde, die man pflegen muss. Vielleicht wählen manche ja aus Trotz, Frust oder Überforderung eine Partei, die sie tief im Herzen gar nicht gut finden. Vielleicht wollen sie damit ein Zeichen setzen, damit sich hier überhaupt etwas bewegt.
Stefanie, 2017 haben Sie als eines von 1.260 Mitgliedern der Bundesversammlung den 16. deutschen Bundespräsidenten mitgewählt. Sie waren von der SPD Sachsen nominiert worden. Was war es für ein Gefühl, das Staatsoberhaupt mitbestimmen zu dürfen?
Kloß: Ein absurdes. Als Band stehen wir für keine Partei. Als die SPD mich fragte, habe ich es erst mal sacken lassen. Bei so einer Sache mitwirken zu können, ist eine Ehre. Wenn man in einer Demokratie schon die Möglichkeit hat, mitzuentscheiden, dann muss man das auch wahrnehmen. Ich hatte die Möglichkeit, frei von einer Partei meine Stimme abzugeben. Das war wahnsinnig imposant. Ich saß in unmittelbarer Nähe von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Und genau mir gegenüber saß Frauke Petry, die aus der AfD ausgestiegen ist. Sie hatte eine krasse negative Ausstrahlung, die durch den ganzen Saal ging und gefühlt genau mich traf. Sehr unangenehm.
Im retrospektiven Titelsong „Schritte" singen Sie davon, dass in Ihrer Kindheit nicht alles so rosig war, wie Sie dachten.
Kloß: Meine Eltern haben sich kurz nach der Wende scheiden lassen. Das war kein rosiger Moment in meiner Kindheit. „Schritte" beschreibt meine Lebensgeschichte, aber der Song ist auch ein Sinnbild für den „Circle of Life". Während der Albumproduktion sind Kinder auf die Welt gekommen und wir haben im engsten Kreis auch Menschen verloren. Wir haben uns gefragt, wo wir als Band, deren Mitglieder inzwischen Mitte 30 und beste Freunde sind, stehen. Wir stellen uns immer wieder der Herausforderung, in uns zu wühlen und Schritte zu gehen. Manchmal auch zurück.
In „Hand aufs Herz" beklagen Sie, dass Ihr Vater Ihnen nie gesagt hat, wie stolz er auf Sie ist. Wie sind Sie damit umgegangen?
Kloß: Mein Vater ist gestorben, als ich 18 war. Er hat immer nur anderen erzählt, dass er stolz auf mich ist. Er hat es mir nie ins Gesicht gesagt. Jetzt, wo ich selbst für ein Kind verantwortlich bin, frage ich mich, wie ich eigentlich geprägt worden bin. Was hat mir in meiner Kindheit gefehlt, was ich jetzt besser machen will? Ein Kind zu kriegen war für mich das Krasseste, was mir bisher passiert ist.
Wie haben Sie rückblickend den Tod Ihres Vaters, den sie in dem Song „In meiner Erinnerung" thematisieren, verarbeitet?
Kloß: Ich dachte immer, dass ich das gut weggesteckt habe, aber dann kamen die Erinnerungen doch wieder hoch. Ich hatte das nicht geplant. Während der Produktion habe ich „In meiner Erinnerung" kein einziges Mal durchsingen können, weil die Emotionen, die dann hochkamen, zu heftig waren.
Können Sie aus Verlusten auch etwas Positives ziehen?
Kloß: Wir, die Hinterbliebenen, haben auch etwas, was wir an guten Erinnerungen hinterlassen können. Es ist ein schönes Gefühl, dass man etwas für die anderen dalässt.
Waren bestimmte magische Schwingungen im Studio zu spüren?
Nowak: Ja. Bei „Was Freiheit ist" gibt es einen Moment, wo die Gitarre so reinkommt. Das ist spontan entstanden. Der Song war eigentlich zu Ende, aber unbewusst hat jeder von uns weitergespielt. Das ist schwierig zu beschreiben, aber es hat sofort funktioniert. Das ist die Magie am Musikmachen: Zu spüren, was der andere gerade fühlt.
Sprechen Sie als Band darüber, warum Sie eigentlich Musik machen?
Kloß: Diese Momente gibt es bei uns sehr oft. Warum machen wir den Scheiß hier eigentlich? Ich glaube, es ist unsere Aufgabe als Musiker, Platten aufzunehmen. Das ist unser Baby, um das wir uns kümmern. Es wird mit jedem Album älter und guckt sich die Welt neu an. Natürlich tut es auch weh, sich so zu öffnen. Aber ich habe ein Urvertrauen in das ehrliche Musikmachen. Ich glaube fest daran, dass irgendetwas zurückkommt.
Wie kam es zu dem Song „Für Amy", einer Hommage an einen jungen Silbermond-Fan?
Kloß: Es gab tatsächlich eine Begegnung mit einem Fan, den Namen haben wir jedoch geändert. Es gibt sehr viele Amys in diesen Zeiten. Genau genommen war ich früher selbst eine von denen, die dachten, sie seien nur mittelmäßig. Wir sind kürzlich mit der Bahn zu einer „Fridays for Future"-Demo gefahren. Eine Gruppe von Mädels hat mich genau an meine Jugend erinnert. Eine war die Anführerin, eine war ein bisschen schüchtern und weniger hübsch als die anderen, und eine trug schöne Klamotten und lange Haare. Sie hatte einen Freund. Diese Muster kehren immer wieder. Ich glaube, wenn ich in Zeiten von Instagram aufgewachsen wäre, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. Ich hätte dem Wettbewerb wahrscheinlich nicht standhalten können. Der Song ist ein Plädoyer dafür, sich so zu nehmen wie man ist und daraus das Beste zu machen. Als Band rennen wir auch nicht jedem Trend hinterher.
War es in den 90er-Jahren leichter, Teenager zu sein?
Nowak: Es war anders. Würde das Leben tatsächlich immer schwieriger werden, wäre es im Mittelalter ja total leicht gewesen. Ich glaube, viele Teenager checken schon, dass Instagram nicht der Heilige Gral ist. Jeder Teenie hat seine schwierige Phase.
Wie waren Sie als Teenager?
Nowak: Ich habe die Schule geschwänzt, aber nicht für einen guten Zweck, sondern aus privaten Gründen. Schule war für mich schwierig, ein hartes Pflaster. Ich habe sie vor dem Abi abgebrochen und somit die Mittlere Reife.
Lag es an den Lehrern?
Nowak: Es lag an meiner Konzentration. Ich werde unruhig, wenn ich zu lange in einem Raum sitze und habe große Probleme mit Bürokratie. Das Schlagzeugspielen hat mich gerettet. Es wurde für mich zu einem emotionalen Anker. Das Schlagzeug ist meine große Liebe.
Und wie war es bei Ihnen, Stefanie?
Kloß: Ich war Klassensprecherin, aber nicht das große, hübsche und dünne Mädchen. Ich war einfach nur clever. Ich war der Robin Hood der Klasse.
Was gab es für die Klasse zu erkämpfen?
Kloß: Einmal haben sich die Stundenpläne so krass überschnitten, dass ein Schüler drei Klausuren an einem Tag schreiben sollte. Da habe ich gesagt, dass das so nicht geht.
Oder wenn ein oder zwei Leute von uns die Klassenfahrt nicht bezahlen konnten, habe ich dafür gesorgt, dass die anderen ein bisschen Kohle zusammenlegen. Robin Hood eben.
Wie hat Ihnen Ihre erste Kippe geschmeckt?
Nowak: Ich fand Rauchen immer eklig. Mit 23 habe ich mir mal aus Langeweile eine Schachtel Zigaretten gekauft. Wir sind eine Nichtraucherband. Das liegt daran, dass wir als Coverband in Kneipen angefangen haben. Man hat nach einem Auftritt immer so ekelhaft gestunken. Damals gab es das Rauchverbot noch nicht.
Und wie halten Sie es mit Alkohol?
Kloß: Mein 18. Geburtstag war legendär. Es war das erste Mal, dass ich mich richtig hart übergeben musste. Seitdem ist es mir nicht wieder passiert, weil ich dieses Gefühl nie vergessen werde. Aber zum 18. kann man es ruhig mal machen, weil es ja auch eine gute Geschichte ist, die man erzählen kann.
Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie Mutter sind?
Kloß: Weniger Schlaf! Ich bin zum Glück jemand, der überall schlafen kann. Sogar im Auto. Alles andere hat sich bei mir in einem ganz normalen Maß verändert. Ich habe mit Mitte 30 noch tausendmal mehr Rock’n’Roll in mir als viele andere in meinem Alter. Weil wir machen dürfen, was wir wollen. Der Rest ist eine Herausforderung wie bei allen Frauen, die Kind und Beruf verbinden müssen.
Nehmen Sie Ihren Kleinen mit auf Tour?
Kloß: Manchmal kommt er mit, manchmal bleibt er bei seinem Opa. Er hat ein Spielzimmer im Bandbus, aber weil der kleine Wurm neugierig ist, bleibt er nicht an einem Platz. Nowi ist sein Erlebnisonkel.
Steht er auf Musik?
Kloß: In meiner Playlist läuft jetzt ganz oft „Bi-Ba-Butzemann". Und wenn er zu unserer Musik tanzt, werten wir das immer als gutes Zeichen. Er steht total auf Soundbücher mit klassischer Musik. Vielleicht wird er ja ein klassischer Musiker. Aber es dauert ewig, bis man aus der Geige einen Ton rauskriegt.