Vom Gewerkschafter zum Comedy-König: Quasselstrippe Ingo Appelt erklärt, wie er gerade noch die Kurve kriegte.
Herbert Grönemeyer und Udo Lindenberg kann er perfekt parodieren. Selbst Angela Merkel kriegt er glaubwürdig hin. Doch wer Ingo Appelt kennt, der weiß, dass er auch Gags im Programm hat, deren Wortlaut man hier nicht abdrucken könnte. Vielleicht gerade noch den Scherz von seinem Auftritt Anfang Juli in Berlin: „Warum brauchen Frauen überhaupt einen Mann? Ganz einfach: Ein Vibrator kann nicht Rasenmähen." Ganz schön zotig, Herr Appelt. Dabei ist das nur die halbe Wahrheit über den Komiker, der seit 26 Jahren im Geschäft ist. Sein Programm ist temporeich, ausgeklügelt und durchaus nicht plump.
Seit einigen Monaten mimt Ingo Appelt auf den Bühnen des Landes den „Staatstrainer". Hier veräppelt der 52-Jährige Ossis und Wessis, teilt aber auch gegen Machos und Leisetreter aus. Manches ist unter der Gürtellinie, vieles geniale Satire. Plaudertasche Appelt rattert seine Gags runter, wie früher flinke Sekretärinnen Sätze in die Schreibmaschine tippten. In den Berliner „Wühlmäusen" hat er sich dabei vor einiger Zeit mal verhaspelt: Fans aus der ersten Sitzreihe outeten sich als Eisenhüttenstädter. Ingo Appelt gab den Brandenburgern seine Antworten fortan sächselnd. Offenbar verortete der Künstler die Oder-Stadt im Freistaat Sachsen. Clevere Antwort eines Märkers: „Mach dir nix draus Ingo, ich hatte früher auch keine Ahnung." Appelts augenzwinkernder Konter: Der Mann aus „Hütte" solle sich nicht so anstellen. Und überhaupt, für die Witze sei er zuständig.
Beim Interview mit FORUM war Plaudertasche Ingo kaum zu bändigen. Zwischenfragen waren meist nur möglich, wenn der Reporter dem Künstler ins Wort fiel. Punkte und Kommas gibt es bei Appelt nur wenige.
Kann er das überhaupt: Abschalten und Müßiggang? „Das fällt mir wirklich schwer. Fragen Sie mal meine Frau. Etwa eine Woche brauche ich, um runterzukommen", so der Familienvater. Kompensieren könne er Hyperaktivität mit Sport. „Andersherum langweile ich mich auch schnell, wenn gar nichts los ist." Zu Hause koche er gern. „Das ist eine echte Leidenschaft von mir", sagt der gebürtige Essener. An Arbeit und Bühne denke er durchaus nicht ständig. Wenn ihm im Urlaub oder unterwegs eine Idee für die Bühne kommt, wird diese notiert. Das war’s.
Zu Hause ist Ingo Appelt seit vier Jahren am Charlottenburger Konrad-Adenauer-Platz, eine Gegend, die er den eigenen Worten nach sehr mag. Schon in den 80er-Jahren kam Appelt ins damalige Westberlin – als Gewerkschafter bei Siemens in Spandau. „Um ein Haar wäre ich 1989, noch kurz vor der Wende, wegen einer Liebe hierher gezogen. Ich war 22, sie 33. Im letzten Moment bekam ich kalte Füße und auch Respekt vor dieser blöden Mauer", sagt der Mann, bei dem im Interview nie so richtig klar wird, was ernst gemeint und was Witz ist.
Er denkt nicht ständig nur an Arbeit und Bühne
Dampfplauderer Ingo Appelt könnte einem auch erzählen, das im Himmel Jahrmarkt ist. Das Schlimme und Schöne zugleich: Man glaubt ihm im ersten Moment. Binnen Sekunden wettert er unvermittelt gegen den ungleich verteilten Reichtum der Welt, das „Dreckspack Jugend" und die Müllhalde Pankower Bürgerpark.
Ein echtes Gespräch – im Sinne von Austausch – ist schwierig. Zum Stichwort „Osten" sprudelt es aus Appelt heraus. „Den Osten finde ich toll, ich bin gern hier, beispielsweise auch privat am klaren und sauberen Stechlinsee." Auch Rostock, Warnemünde und Graal-Müritz schätze er. An einen Ostseestrand würde er sich jedoch nicht legen. Dann kritisiert der Künstler – das wirkt glaub- und ernsthaft – den Umgang mit den neuen Bundesländern nach der Wende. „Viele Menschen im Osten fühlen sich immer noch abgehängt und nicht verstanden. Letztlich will man hier nur ernst genommen werden. Da gibt es echte Defizite."
Kurz klingt Ingo Appelt wie ein Politiker. Und tatsächlich wäre der Wahl-Berliner beinahe in die Politik gegangen. „Das wollte ich wirklich mal. Aber mit der Arroganz und der herablassenden Art vieler politischer Akteure kam ich nicht klar", seufzt der frühere Funktionär des Deutschen Gewerkschaftsbundes, der seit 35 Jahren Mitglied der SPD ist. „Was ich heute auf der Bühne mache, ist aber hochpolitisch, nur dass Statements in Gags und Parodien verpackt sind." Zu Beginn der Künstlerkarriere sei er eher schüchtern gewesen. Die Bühne war Appelts Therapie, wie er sagt. Insgesamt gehe ihm das ständige Gemecker auf den Wecker: „Meine Botschaft ist: macht selbst mit, um Demokratie zu gestalten." Jeder solle bei sich anfangen und nicht so oft nach dem Staat rufen. Der Staat müsse sich allerdings auch nicht als Dompteur gebärden.
Das Berliner Politikgeschäft liefere etliche Vorlagen für sein kabarettistisches Wirken, sagt er. Allerdings würde Satire immer mehr von der realen Politik eingeholt. Etliche Akteure seien aberwitziger und unglaublicher, als man sie auf der Bühne darstellen könne. Für Ingo Appelt bleibt das die Herausforderung der nächsten Zeit. Zwar bedient der gelernte Maschinenbauschlosser manchmal Rollenbilder und Klischees, die es so gar nicht mehr gibt, aber das so treffend, dass sich das Publikum vor Lachen nicht mehr halten kann.
Manches kommt eher zotig rüber, doch am Ende des Abends brüllen selbst zartbesaitete Gäste über seine derben Scherze. IG-Metaller, SPD-Mann, Kabarettist, „Staatstrainer": Man könnte sagen, Ingo Appelt hat die Kurve gerade noch so gekriegt.