Im Windschatten der beiden neuen Vorsitzenden rückt auch Saar-SPD-Chefin Anke Rehlinger in die engere Führungsriege auf. Für sie ist eine Revision des Berliner Koalitionsvertrages ein völlig normaler Vorgang, die Haltung der CDU dazu nur Getöse.
Frau Rehlinger, wie viel Zauber wohnt der SPD nach dem Neustart inne?
Für Zauberei muss man in den Zirkus. Die SPD hat ihre Führung neu aufgestellt und eine Kursbestimmung in vielen inhaltlichen Fragen vorgenommen: Sozialstaat, Mindestlohn, Investitionen, Vermögenssteuer, Stahlindustrie. Mir ist das Sozialstaatskonzept ganz wichtig, das wir verabschiedet haben. Das ist ein großer Wurf. Mit der Kindergrundsicherung kann es gelingen, Kinderarmut endlich wirksam zu verhindern. Das ist ein klares Signal: Die SPD ist die Partei, die sich um die Menschen kümmert.
Also von Hartz IV hat man sich verabschiedet, aber eine grundsätzliche Frage ist nicht wirklich geklärt: der Verbleib in der Groko oder der Mindestlohn von zwölf Euro.
Wir haben eine klare Ansage gemacht: Wir haben den Mindestlohn gegen den Widerstand der Union eingeführt. Jetzt wollen wir ihn auf zwölf Euro anheben. Das ist auch absolut richtig so, denn Menschen, die arbeiten gehen, müssen auch davon leben können. Deshalb muss der Lohn armutsfest sein. Das gilt übrigens dann auch nachher im Alter, sodass man auch von der Rente leben kann.
Und die Zukunft der Großen Koalition?
Der Parteitag hat nicht über die Regierung entschieden, das war auch vorher klar, dass das nicht geht. Wir haben einen Koalitionsvertrag und da steht noch einiges Unerledigte drin – zum Beispiel die Regulierung der Leiharbeit. Dass aber in einer Regierung permanent nachgearbeitet werden muss, ist klar und ist auch so vereinbart, Stichwort Revisionsklausel. Da wird es jetzt schnell Gespräche geben, aber das ist ein ganz normaler Vorgang. Nur in Berlin ist das alles immer komplizierter, da wird gleich ein riesiger Konflikt daraus gemacht. Bei uns im Saarland machen wir das immer auf direktem Wege, da haben wir vor zwei Wochen eine Regierungsklausur zur Halbzeit gemacht und zum Beispiel eine Tarifoffensive für den ÖPNV beschlossen. So macht man das und so oder so ähnlich sollte es doch eigentlich jetzt auch in Berlin laufen können.
Wie sieht denn der Zeitplan für dieses Nachjustieren der Großen Koalition im Bund aus?
Ein erstes Gespräch wird es noch vor Weihnachten geben. Das ist auch gut, um Vertrauen zu schaffen. Denn man darf nicht vergessen, nicht die SPD hat eine neue Parteispitze, sondern auch CDU und CSU werden jetzt von anderen Personen geführt, als noch vor zwei Jahren, als der Koalitionsvertrag ausgehandelt wurde. Und aus der Union hört man ständig neue teure Forderungen: Noch mehr Milliarden für Rüstung, Kampfdrohnen, zehn Milliarden, damit auch die Reichsten keinen Soli mehr zahlen, zehn Milliarden für Unternehmenssteuerreformen. Also: Da gibt es Gesprächsbedarf. Darum ist es sinnvoll, ein paar Dinge zu klären.
Das heißt im Klartext, die Entscheidung ob die SPD in der Großen Koalition bleibt, fällt noch vor Weihnachten?
Die Arbeit in der Regierung geht mit Hochdruck weiter. Die Große Koalition ist im Amt und wenn sich die Union jetzt nicht komplett irrational verhält, wird das wohl auch so bleiben. Denn die Gespräche werden nicht mit dem Ziel geführt, aus der Großen Koalition auszusteigen, sondern weiterhin das Land zu führen. Es geht darum, auf die wichtigen Zukunftsfragen Investitionen, Klimaschutz, Schutz vor Armut die richtigen Antworten zu geben. Und in Anbetracht dieser Verantwortung kann ich mir nicht vorstellen, dass die Gespräche scheitern.
Aber Frau Rehlinger, Ihnen und Ihren neuen Mitgliedern im Parteivorstand läuft doch die Zeit davon, bereits am 23. Februar ist Bürgerschaftswahl in Hamburg. Dort könnte aus Rot-Grün Grün-Rot werden.
Ich halte grundsätzlich wenig davon, aus jeder Landtagswahl eine kleine Bundestagswahl zu machen, weil das auch ein Bundesland wie der Stadtstaat Hamburg gar nicht hergibt. Denn da geht es um Bilanzen der Regierung und um eine gute Zukunft für die Hansestadt Hamburg. Also wir werden, auch ich, Bürgermeister Peter Tschentscher und unsere Hamburger Genossinnen und Genossen unterstützen. Aber das Ergebnis am 23. Februar bestimmt über Hamburgs Zukunft, nicht über die Bundes-SPD.
Weder Saskia Esken noch Norbert Walter-Borjans sind begnadete Redner. Sie gelten als authentisch. Aber nur damit gewinnt man keinen Wahlkampf.
Ich fand ihre Reden eigentlich gut. Ja natürlich, Politik hat auch Elemente der Darstellung und der Performance, aber erschöpft sich darin nicht. Politik ist nicht nur Show und darf es auch nie werden, sondern da spielt natürlich auch die Herkunft eine Rolle, der berufliche Werdegang, die Glaubwürdigkeit und vor allem, wofür jemand steht. Schauen Sie sich nur Bundeskanzlerin Merkel an, das ist auch keine begnadete Selbstdarstellerin, doch sie hat einen Lebensweg gemeistert und genau das stellt sie dar. Und ich finde zum Beispiel, dass Norbert Walter-Borjans als NRW-Finanzminister gezeigt hat, dass er Mumm hat. Gegen viele Widerstände hat er CDs mit Daten von Steuerbetrügern gekauft, und weil man die dann verfolgen konnte, sind sieben Milliarden Euro zurück in die Kassen geflossen. Was für eine Geschichte. Also: abwarten.
Die SPD im Bund soll sich abgrenzen, aber für Ihre Begriffe von wem? Von den Grünen oder der CDU?
Ich bin überhaupt kein Freund solch rein taktischer Überlegungen. Die Überlegung ist nicht, welche Meinung wir haben müssen, damit wir uns von anderen abgrenzen, sondern wo liegen die Aufgaben der Zukunft, die wir bewältigen müssen. Danach richte ich mich aus. Natürlich braucht es politischen Streit und man muss auch kritisieren, wenn andere Parteien Unfug sagen. Aber abgrenzen ausschließlich für die Profilierung macht wenig Sinn.
Dann war doch aber der Einstieg Ihrer neuen Führung falsch, die sich unbedingt von der Großen Koalition angrenzen, aussteigen wollten.
Unterscheidbarkeit ist absolut richtig. Doch das darf kein Selbstzweck werden, sondern das muss immer Ergebnis seiner eigenen Meinungsbildung bleiben und nicht taktisch nach anderen und nach Umfragen ausgerichtet sein.
Um beim Meinungsbild zu bleiben, derzeit sieht es so aus, als müsste sich die SPD auf eine Juniorpartnerschaft mit den Grünen im Bund vorbereiten. Ist dies für Sie denkbar?
All meine Vorstellungskraft richtet sich immer darauf, dass die SPD möglichst stark wird. Und dann schauen wir, in welchen Konstellationen Regieren möglich ist. Ich will, dass die SPD Koalitionen anführt. Aber wir sehen auch, dass sich die Gesellschaft verändert und damit die politischen Mehrheiten – schauen Sie nach Thüringen, wo die Mehrheitsbildung ganz, ganz schwierig geworden ist.
Noch Anfang Dezember schien klar, Sie halten sich aus der Bundespolitik heraus, kümmern sich ums Saarland. Jetzt sind sie SPD-Vize-Vorsitzende. Woher der Sinneswandel?
Ich war auch vorher Mitglied im Parteivorstand. Politik und Demokratie vertragen keine Bequemlichkeit, sondern der, der nicht immer nur meckern will, ist auch gefordert, Verantwortung zu übernehmen, wenn die Gelegenheit da ist. Für das Saarland kann es nur gut sein, wenn über Industriepolitik und Strukturwandel nicht nur hier im Land geredet wird, sondern auch mit einer starken Stimme in Berlin. Ich bin gefragt worden, ob ich mir diese Aufgabe vorstellen könnte. Das ist natürlich auch ehrenvoll, dass andere mir das zutrauen. Deshalb möchte ich helfen, die SPD wieder stärker zu machen und dafür bin ich dem
SPD-Bundesparteitag für das Vertrauen sehr dankbar.
Wie hat ihr Mann reagiert? Denn sind Sie nun noch ein bisschen öfter in Berlin.
Wir haben natürlich vorher darüber gesprochen und er will das mittragen. Ich hoffe auch, dass es nicht allzu viel Zeit in Berlin bedeuten wird, vieles kann man auch mit Telefonkonferenzen und Ähnlichem organisieren. Aber denken Sie bitte auch immer daran, wie viele Menschen, gerade im Saarland, nicht an ihrem Wohnort arbeiten, sondern pendeln müssen. Die werden nicht gefragt, ob sie das machen wollen, die müssen es machen.
Also könnte die nächste SPD-Kanzlerkandidatin auch Anke Rehlinger heißen?
(lacht) Ich habe das auch auf dem Parteitag gesagt, ich bin gerne Ministerin. Ein weiterer Schritt war der Vize-Posten in der SPD. Das habe ich jetzt geschafft. Das eigentliche Projekt ist aber, Ministerpräsidentin des Saarlandes 2022 zu werden, weil ich einen Aufbruch in diesem Land schaffen will. Dem Saarland gilt meine Aufmerksamkeit.