Die österreichische Hauptstadt versprüht auch in der kalten Jahreszeit ihren Charme mit besonderen Cafés und Shoppingmöglichkeiten. Aktuelles Highlight ist die Albrecht-Dürer-Ausstellung.
Wien im Winter – das lohnt sich durchaus. Viele kommen gerade in dieser Jahreszeit, wenn die Donaumetropole vor allem den Wienern gehört. Modebewusste stöbern nun drängelfrei in den Altstadtläden und sind auch dem Vintage-Trend auf der Spur. Der eigentliche Besucher-Magnet ist jedoch die sensationelle Albrecht-Dürer-Ausstellung in der Albertina.
Noch den Koffer in der Hand eile ich dorthin und suche unter den 200 Exponaten nach einem Lieblingsbild. Die Albertina besitzt den weltgrößten Bestand an Dürer-Werken, und wertvolle internationale Leihgaben sind auch zu sehen.
Ein Hotel mit Kunstwerken
Farbenfroh leuchtet die „Anbetung der Könige" von 1504 aus den Uffizien in Florenz. Noch mehr imponiert Albrecht Dürer (1471 – 1528) als Zeichner. Haarfeine Striche, winzige Details. Der muss eine ruhige Hand und Adleraugen besessen haben. Mein Blick fällt auf seinen Feldhasen, der einst Schulbücher zierte. Doch wie viel schöner ist das kostbare Original von 1502, das alle Farbschattierungen des Fells genau erkennen lässt und ebenso die extrem feinen Tasthaare am Kopf. Nur noch bis zum 6. Januar 2020 läuft diese Ausstellung. Danach muss sich der mehr als 500-Jährige erholen und hält rund zehn Jahre Winterschlaf im Depot. Ein gutes Faksimile hängt künftig an der Wand. Auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt am Rathaus wünsche ich mir insgeheim solch einen molligen Wolligen, lieb und zahm, als Heizöfchen unterm Mantel. Stattdessen wärmt ein Blick aufs nostalgische Kinderkarussell und zartes Holzschnittwerk. Im „Boutique Hotel Altstadt Vienna" in der Kirchengasse 41 ist es dann angenehm warm. Fast versteckt es sich hinter den Mauern eines ehemaligen Patrizierhauses. Eine breite Steintreppe mit originalem schmiedeeisernem Geländer führt (wie der Fahrstuhl) hinauf zu den 61 Zimmern und Suiten. Diese wurden von Künstlern gestaltet und mit Kunstwerken ausgestattet. Der Herr, der die Opera-Suite gebucht hat, schiebt sofort die CD „Cavalleria Rusticana" in den Player. Vielleicht geht er am nächsten Abend in die Wiener Staatsoper, ins MuTh zu den Wiener Sängerknaben oder ins nahe Burgtheater. Gutes Altes auf solche Art neu zu nutzen, ist Vintage pur und vor allem Modetrend. Mit der Architektur- und Kunstführerin Jeannette Koller gehen wir in der kleinen Gruppe in der Altstadt auf Entdeckungstour. Anders als auf den Shoppingmeilen Mariahilfer- und Kärntner Straße gibt es hier auch Besonderes, in einem Geschäft sogar fast alles, wie ein schwarzes Schild mit weißer Endlos-Schrift verheißt.
Ein Laden in der Burggasse 24 überrascht mit sichtlich älteren Pelz- und Wollmänteln. „Vintage" flüstern entzückt zwei jüngere Damen, also Kleidung aus den 30er- bis 80er-Jahren, keine Retro-Mode, die Gestriges nur neu fertigt.
Den Anstoß für die internationale Vintage-Vorliebe gab Hollywood-Star Julia Roberts, die zur Oscar-Verleihung 2001 in einem fast 20 Jahre alten Valentino-Kleid Aufsehen erregte. Echte frühere Designerkleidung, von der Oma pietätvoll aufbewahrt, steht besonders hoch im Kurs. In Wien werden Interessierte auch in Spezialläden fündig und durch solche Nachnutzung auch ein bisschen zu Klimarettern.
Als Alleskönnerin erweist sich die Schleifmühlgasse. Die dortigen Kunstgalerien müssen jedoch immer wieder Neues bieten. Die „Vienna Art Week" im November ist der Start für solche Präsentationen. Der Parcours von der Galerie 12 – 14 über Unttld Contemporary zu den Galerien Georg Kargl und Christine König ist anregend. Die Nase wird durch Babettes Gewürz-Auswahl und den Duft in der Rösterei „Alt Wien Kaffee" beglückt.
Doch Duft alleine reicht nicht. Also kleine Rolle rückwärts zum „Café Sperl" von 1880 (Gumpendorfer Straße 11), wo sich einst Architekten und Künstler wie Otto Wagner, Josef Hoffmann und der Jugendstilmaler Gustav Klimt einen „Großen Braunen" gönnten. Klimt kommt auf die Merkliste, gilt doch die Neugier auch dem hundertjährigen „Café Drechsler" (Linke Wienzeile 22). Junge Leute frühstücken hier gerne. „Vor Kuchendieben wird gewarnt!" steht jedoch auf einem „Vintage-Schild". Garantiert Vintage ist der Flakturm aus dem Zweiten Weltkrieg, der 2013 zum „Haus des Meeres" umgebaut wurde und ein Aquarium beherbergt. 2020 wird das neue Panorama-Café eröffnet.
Gewürze und Kaffeeduft
Ein Feldhase würde sicherlich Reißaus nehmen und lieber durch die gepflegte barocke Parkanlage von Schloss Belvedere hoppeln. Die Zweibeiner streben stattdessen ins Obere Belvedere zu Wiens Jugendstil-Highlight, dem 1908/1909 gemalten weltberühmten „Kuss" von Gustav Klimt. Er selbst küsst darauf seine Freundin Emilie Flöge. Fast andächtig verharren viele vor diesem güldenen Meisterwerk. Nach solchem Augenschmaus lockt nun die „Vollpension", wo Wiener Omas und Opas nach ihren bewährten Rezepten von morgens bis abends backen und kochen. Eines der In-Restaurants liegt in der Schleifgasse 16, das gemütlichere, vollgestopft mit alten Möbeln, in der „MUK" (Musik- und Kunstuniversität der Stadt Wien) in der Johannesgasse 4a. Karin Wimmer-Kandler rührt dort gerade Schokoladenmasse an und reicht mir ein Kuchenstück. Das ist frisch, alles andere ist – bis auf die eher junge Bedienung – sozusagen Vintage. Täglich zwei verschiedene Menüs plus Kaffee und Kuchen für 9,90 Euro sind die Renner. Klar, dass es dort oft rappelvoll ist.
Mehr Platz gibt’s beim Zuckerl-Kurs im „NOBNOB" in der Neubaugasse. Chefin Victoria Manaia Putick hat diese Art von Bonbon-Herstellung erfunden. Vorsichtig kocht sie die Zuckerlösung, mixt die Zutaten. Die abgekühlte geschmeidige Masse wird geknetet, die Farben werden durch Drehung verteilt und schließlich mittels Maschine und Messer auf Zentimetergröße gebracht. Mit Bestellungen für Zuckerl und Schleckerl (Bonbons und Lutscher) wird sie vor Weihnachten überhäuft.
Noch paradiesischer ist jedoch „Das kleine Paradies", ein neues Lokal in der Blindengasse 3. Wo früher Schreibmaschinen verkauft wurden, wird jetzt super gekocht. Omas Rezepte, heutig angereichert, scheinen nicht vergessen zu sein. Also ein Wohl auf den ressourcenfreundlichen Vintage-Trend.