Oliver Numrich war schon als kleiner Junge bekennender Fan der frittierten Kartoffelscheiben. Heute will er den Snackmarkt revolutionieren. Nächstes Jahr kommen seine neuartigen Leckereien auf den Markt – in Variationen wie Budapester Kutschergulasch oder Kassler mit Sauerkraut.
Begegnung in einem Café in der Nähe des Kurfürstendammes im Berliner Bezirk Wilmersdorf. Dynamisch und mit einem hippen Rucksack auf dem Rücken betritt Oliver Numrich das Café. „Eigentlich bin ich Diplom-Soziologe und schreibe nebenher immer mal wieder für verschiedene Szene-Magazine im Gastrobereich", erzählt der 46-Jährige. Seine Agentur, die sich mit der Auswertung von Firmenauftritten in den Medien beschäftigte, habe er vor ein paar Jahren verkauft. „Sachen aufbauen und dann neue Projekte starten war schon immer genau mein Ding", sagt er, lächelt und streicht sich durch seine leicht angegrauten Haare. Dann öffnet er seinen Rucksack und holt immer neue kleine Tüten heraus: „Das ist mein neues Projekt, dem ich mich voll und ganz verschrieben habe. In den Tüten sind die ersten Geschmacksproben meiner völlig neuen Chipssorten. Damit will ich den Markt für Chips revolutionieren, in Deutschland und in Europa."
Zielgruppe seien vor allem Gourmets. „Ich hatte vor einem Jahr die Idee, ganze Gerichte auf einem Chip anzubieten." Und so stapelt sich bald ein ganzer Haufen auf den ersten Blick ziemlich abgefahrener Sorten auf dem Tisch. Die kuriosen Geschmacksrichtungen unter anderem: Budapester Kutscher Gulasch, Lemon Chicken oder spanische Chorizo-Wurst. Numrich erklärt: „Hört sich erst einmal verrückt an, aber die Chips sind auf der Zunge eine wahre Geschmacksexplosion!"
Rückblende: Oliver Numrich wurde 1973 auf der Nordseeinsel Langeoog geboren. „Zum bekennenden Chips-Fan wurde ich mit etwa sechs Jahren. Damals hat mir mein Vater IBU-Chips (Anm. der Red.: Diese Marke gibt es seit gut zehn Jahren nicht mehr) aus dem Discounter mitgebracht – lecker!", erinnert sich Numrich. „Aber ich bin meiner Leidenschaft treu geblieben. Egal, wo ich auf der Welt war: Ich habe jede ausgefallene oder gut gemachte Chipssorte gekauft, probiert und anschließend fotografiert." Dabei ist er zum Fan der Pringles-Snacks geworden. „Die sind einfach sehr kreativ gemacht, und es gibt sie in zig Geschmacksrichtungen – genau mein Ding." Kein Wunder, dass der bekennende Fan mittlerweile über eine riesige Sammlung des Knabberspaßes aus Amerika verfügt. „Ich habe Hunderte Packungen zu Hause. Wahrscheinlich ist es die größte Sammlung in Deutschland."
Proben aus aller Welt gesammelt
So ganz überzeugt haben Numrich die Chips aus Kartoffelpulver und aus der Rolle aber nicht. „Das Produkt ist zwar im Prinzip gut, aber die Stapelchips zerbröseln sofort im Mund, man kann nicht genug kauen." Für seinen Nebenjob als Autor für Gastro-Magazine reiste er dieses Jahr auf die Snackmesse nach Barcelona. „Da habe ich mich dann umgesehen und nach wirklichen Alternativen gesucht. Es gab extrem viele tolle Sachen, aber nichts, was mich als Fan von intensivem, komplexem Aroma wirklich überzeugt hätte." Und so entstand in seinem Kopf eine Idee: „Es muss doch möglich sein, etwas extrem Geiles zu entwickeln. Etwas, was es so noch nicht auf dem Markt gibt."
Dabei kamen ihm zwei Zufälle zu Hilfe. „Zuerst ist da der Trend, dass sich der Verbrauchergeschmack immer weiter individualisiert." Eine Entwicklung, die man unter anderem im Schokoladen-, aber auch im Chipsregal der Supermärkte sehen könne. Habe es bis vor ein paar Jahren nur die Geschmackstypen „Paprika" und „Ungarisch" gegeben, buhlten heute deutlich mehr verschiedene Sorten um die Gunst der Käufer. Numrich: „Da sind vielversprechende Bezeichnungen dabei. Aber die meisten Sorten sind am Ende geschmacklich sehr flach oder voll von Geschmacksverstärken." Zufall Nummer zwei: Numrich lernte am Rande der Messe einen der Chefeinkäufer einer großen Handelskette kennen. „Der Mann war sofort Feuer und Flamme für meine Idee. Ab da war ich mich sicher: Meine Idee wird ein Erfolg."
Numrich stürzte sich in die Marktforschung und schrieb einen detaillierten Businessplan. „Mir war sofort klar: Ich muss investieren, um im Milliardenmarkt ,salziges Knabbergebäck‘ mitspielen zu können." Der ist bislang in Deutschland weitestgehend aufgeteilt: Marktführer beim Thema Chips und Co ist das Kölner Unternehmen Intersnack. Mit seinen Marken „Funny Frisch" und „Chio" erreicht das Unternehmen laut einer aktuellen Marktstudie rund 40 Prozent des Gesamtumsatzes. Auf den Plätzen zwei und drei folgen die Eigenmarken der Supermärkte und Discounter und schließlich Lorenz aus Hannover. „Ich musste dann erst einmal die passende Zielgruppe ermitteln, die an meinen Produkten Interesse haben könnte", erzählt Numrich.
Das war natürlich nicht alles: „Außerdem habe ich Angebote von verschiedenen Herstellern von Würzmischungen eingeholt und gemeinsam mit ihnen die Gerichte nachgebaut, die bei den Umfragen die beliebtesten waren." Im Fachjargon heißt das Seasoning. Jede dieser Gewürzmischungen besteht aus einer Kopf-, Herz- und einer Basisnote. Die Aromen sind in einem aufwendigen Verfahren verkapselt, damit der intensive Geschmack möglichst lange erhalten bleibt. Numrich: „Die Herausforderung besteht darin, eine kräftige, ausdrucksstarke Mischung zu komponieren. Man will ein möglichst perfektes Abbild des imitierten Gerichtes schaffen, ohne es zu überwürzen." Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt sei momentan, Verpackungen zu erstellen, die das Chipsaroma möglichst lange erhalten.
Zwieback gegen Fressattacken mitgeliefert
Der weitere Weg der neuartigen Chipssorten: Bis zum Frühjahr 2020 werden zahlreiche Verkostungen mit Verbrauchern und potenziellen Multiplikatoren vorgenommen. Dann soll es ernst werden: Numrich wird die erste Tranche produzieren. Die sollen bei Einzelhändlern sowie auf Messen präsentiert werden. „Ziel ist, dass wir möglichst schnell bei großen Ketten gelistet werden", sagt Numrich. Von einem Erfolg ist er absolut überzeugt: „Die Sorten Kassler mit Sauerkraut und Wiener Schnitzel mit Erdäpfelsalat werden einschlagen wie eine Bombe." Bei seinen Probe-Verkostungen seien sie der „absolute Renner". Um das Produkt am Ende wirklich marktfähig zu machen, kooperiert er auch mit der Zentralfachschule der Deutschen Süßwarenwirtschaft (ZDS). Die Akademie ist ein Zusammenschluss von rund 250 Firmen aus dem Süßwarengeschäft. Hier werden unter anderem Ausbildungen und Studien im Bereich Lebensmitteltechnik und Süßwarentechnologie angeboten. Numrich: „Das ist für mich ein idealer Partner. Dort kann man sehr vieles testen und feinjustieren."
In Solingen stellte sich auch heraus, dass die aufwendige Aromenverkapselung der Numrich-Chips, der Verzicht auf Geschmacksverstärker und die anfangs eher kleine Produktionsmenge die Snacks etwa dreimal so teuer werden lassen wie übliche Kartoffelchips. Die neuen Gourmet-Snacks sollen in kleineren Verpackungen angeboten werden. „Wir zielen zwar auf die Genießertypen, aber die sollen insgesamt eben deutlich weniger davon essen." Zusätzlich wird jeder Packung ein kleiner Zwieback zugegeben. Er soll dann am Ende der Packung gegessen werden und bindet die Säure im Mund. Numrich: „Damit verhindern wir Fressattacken, wie sie jeder von ganz normalen Chips kennt. Genießen ja, aber in Maßen."
Übrigens: Schnitzel- und Kasslerchips und alle weiteren sind bislang keine Bioprodukte. „Darauf legen wir im Moment keinen Fokus", erklärt Oliver Numrich. „Da gibt es auf dem Markt schon eine Menge erfolgreicher Mitbewerber, die das anbieten. In der Zukunft kann das aber durchaus was werden."
Einen Markennamen für die Chips gibt es bislang noch nicht. Verschiedene Ideen scheiterten bislang immer daran, dass es irgendwo auf der Welt ein Unternehmen gab, das diese Namen schon trug. Fest steht allerdings: „Neben dem Verkauf im Handel wird es definitiv einen Onlineshop geben. Das haben mir erfahrene Marketingexperten empfohlen." Fest steht auch: Irgendwann wird der Chipsfan die Sorte „Gänsekeule mit Rotkraut" auf den Markt bringen. Numrich: „Das ist mein absolutes Leib- und Magengericht."