Ein Blick in die Zukunft: Das „Spatial Web" ist Wirklichkeit geworden und reicht vom virtuellen in den physischen Raum: Es vernetzt Mensch, Maschine, Information. Die Grundlagen dafür werden heute schon gelegt.
Wir schreiben das Jahr 2025. Das Web ist längst nicht mehr auf den Computer beschränkt, sondern in der Lebenswirklichkeit angekommen; allumfassend und allvernetzend. Vorbei die Zeiten, als Anwender sich die virtuelle Welt noch auf den Bildschirm holten. Mit einem an der Handfläche eingebrachten Mikrochip lässt sich alles bequem bezahlen, im Supermarkt, im autonom gesteuerten Taxi, im Hotel. Kontoabfrage, Heizungssteuerung, Terminvereinbarung per Sprachbefehl, das ist für immer mehr Menschen gelebter Alltag. Sie sind Teil eines räumlichen Netzwerks, eines greifbaren Internets geworden. Fachleute sprechen vom sogenannten Spatial Web.
Technische Grundlagen dieses Spatial Webs bilden allen voran die Künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge, Blockchain-Technologie, Echtzeit-Kommunikation über 5G-Netze, 3-D- und 4-D-Printing, Sensorik, Robotik, Cloud-Computing sowie Mixed und Virtual Reality, erklärt Zukunftsforscher und geschäftsleitender Partner Berthold Müssig von der Strategieberatung FutureManagement Group AG in Eltville. „Wir kennen all diese Begrifflichkeiten schon längst, aber jedes Gebiet für sich entwickelt sich so rasant schnell weiter. Das Spatial Web sorgt für die entsprechende Vernetzung dieser Bereiche untereinander."
Erste Vordenker der Künstlichen Intelligenz gab es bereits in den 50er-Jahren. Dann passierte lange Zeit wenig – bis 2010. „Menschliche Technik" wie humanoide Roboter entstanden, fingen an zu debattieren, zeigten hier und da erste simulierte Empathie, aber der Intelligenzquotient war niedrig. Die Entwicklung blieb nicht stehen. Der „technische Mensch" entstand: Leistungsfähige Gentechnologie, Transplantationen, Herzklappen, all das zeigt, dass technische Innovationen und hochwertige Materialien im Menschen „verbaut" werden können. Erste Organe werden bereits in Tierversuchen per 3-D-Drucker ausgedruckt und ausprobiert. Im Spatial Web werden menschliche Technik und technischer Mensch verschmelzen.
Das Spatial Web macht auch vor der Industrie nicht halt. Die Technologie für programmierbare Materialien gibt es bereits, zum Beispiel in der Möbelindustrie. So können Möbel individuell im Rechner gefertigt, aus Papier als Modell produziert und mit digitaler Bauanleitung an den Kunden verschickt werden. Mittels 4-D-Printing wird das Möbelstück zu Hause selbst produziert. Diese revolutionäre Erfindung wurde bereits in Deutschland auf der Messe vorgestellt. Denkbar ist sie auch in der Textilbranche, zum Beispiel mit Materialien, die ihre Eigenschaften je nach Wetterlage ändern können. Die klassische Möbelindustrie, aber auch Bereiche wie Logistik sollten frühzeitig klären, was diese Entwicklungen für ihr Geschäft bedeuten, warnt Zukunftsforscher Müssig.
Technologische Singularität
Auch die neue Mobilität wird die Welt verändern. Vielleicht nicht so schnell, wie manche Wissenschaftler behaupten, aber die Automobilbranche muss sich auf bahnbrechende Veränderungen einstellen. In der sogenannten Roadmap to Desaster wird sogar davon ausgegangen, dass ab 2035 in den urbanisierten Regionen der Welt niemand mehr ein Auto kauft. Die Vorboten sind bereits heute spürbar: Fahrverbote in Städten, neue Formen der Mobilität, Vorrang für bessere Luft, Klimanotstand, der Verlust des Autos als Statussymbol bei jungen Menschen. Natürlich gehen die Vorstellungen zum Beispiel bei E-Mobility weit auseinander: Von zehn bis 90 Prozent E-Fahrzeugen im Jahr 2035 gehen manche Prognosen aus. Der Druck in China, umweltfreundliche Technologien aufgrund der teilweise sehr schlechten Luft in den Städten anzuwenden, ist riesig – und China gibt ihm nach, auch, um eigene Marktchancen im Ausland zu sichern. Während in der chinesischen Region Shengzhou 8.000 Elektrobusse im Einsatz getestet werden, sind es in Hamburg zehn, in Köln gerade einmal vier.
Die Energiewirtschaft steht ebenfalls im digitalen Wandel. In Fachkreisen wurde nach Angaben des Zukunftsforschers Müssig sogar schon darüber nachgedacht, den Stromverbraucher mit Geld zu belohnen. Wenn es zu viel Strom gibt, sind Netzbetreiber froh, wenn jemand den überschüssig erzeugten Strom abnimmt. In Großbritannien wurde das bereits ernsthaft diskutiert.
Blockchain-Technologie wie man sie von virtuellen Währungen wie Bitcoins kennt, gilt als Grundlage für temporäre Tarife in der Energiewirtschaft: Sie sind vom Verbraucher jederzeit anwendbar, höchst flexibel und transparent. Die Energiewirtschaft sollte sich auf jeden Fall mit solch revolutionären Ideen auseinandersetzen, mahnt Müssig.
Ein Blick in die Welt der Produktion zeigt ähnliche Entwicklungen. Hat früher eine Maschine etwas produziert, wurde das Endprodukt verkauft. Ein paar Services gab es kostenlos obendrauf. In der zweiten Stufe wurde ein fixer Preis für Produkt und Service vereinbart. Künftig kauft der Kunde den Nutzen. Er kauft keine Turbine, sondern den Schub, kein Auto oder Busticket, sondern Mobilität, keine energietechnischen Anlagen, sondern Wärme, Kälte oder Licht. Die Lebensdauer der Produkte bleibt zwar endlich. Künftig aber werden massive Datenmengen dafür sorgen, dass die Produzenten Fehlfunktionen noch vor Produktionsstart simulieren und damit voraussagen können, wann und unter welchen Bedingungen beispielsweise eine Maschine kaputtgeht – und einen Ersatz bereitstellen, noch bevor das passiert.
Die Beispielkette lässt sich weiter fortsetzen. Mag ein Bereich vielleicht utopisch klingen, sind andere dafür bereits weit fortgeschritten. Die Wahrheit dürfte bekanntlich in der Mitte liegen. Fortschritt und Innovationskraft sind die eine Seite der Medaille, die andere die Menschen. Aber man muss kein Prophet sein: Die Internet-Generation wächst allmählich in verantwortliche Positionen in der Wirtschaft. Sie gehen mit dem Thema Digitalisierung und selbst mit dem Datenschutz natürlicher um als die derzeit handelnde Generation.
Die Wirklichkeit von 2025 wird deshalb schnell erreichbar – dies aber auch, weil sich Technologien exponenziell entwickeln. Die Chipentwicklung von Computern verläuft in einer immer steiler ansteigenden Kurve im Verhältnis von Zeit und Leistungsfähigkeit, bis hin zu einer Singularität, davon sind einige Zukunftsforscher überzeugt. Eine „technologische Singularität" würde bedeuten, dass Maschinen irgendwann intelligenter sind als Menschen – und demzufolge noch intelligentere Maschinen konstruieren können. Ein explosionsartiges technologisches Wachstum wäre die Folge. Was dies für die Menschheit bedeutet? Das ist unbekannt.