Die Freigrenzen für den Konsum von Cannabis unterscheiden sich erheblich. In Berlin ist sogar der Besitz von 15 Gramm straffrei. Das soll sich ändern, fordert die Bundes-Drogenbeauftragte Daniela Ludwig (CSU). Report aus dem Alltag eines Drogendealers in Berlin. Der liefert mittlerweile auch bequem nach Hause.
Der schicke Berliner Bezirk Wilmersdorf. In einer Seitenstraße unweit des Kurfürstendamms treffen wir Manuel G. (Name der Redaktion bekannt). Der 56-Jährige macht einen eher unscheinbaren Eindruck. Die Haare sind kurz und grau. Manuel trägt einen schwarzen Mantel, dazu eine graue Anzughose und ein blaues Hemd. „Hallo, ich bin Manuel." Dann kommt er gleich zur Sache: „Ja, es stimmt. Ich bin Drogendealer, aber ich verkaufe nur softe Sachen wie Haschisch, Marihuana, sauberes Ecstasy." Halluzinierende Pilze habe er auch. Aber: „Das will im Moment niemand außer ein paar älteren Menschen. Pilze sind scheinbar eher out." Manuel selbst raucht seit über 40 Jahren Gras. Gras nennt man die getrockneten Blätter und Blüten der Cannabispflanze. Man kann sie in Kekse einbacken, Manuel steht aber auf Rauchen. „Das habe ich immer schon so gemacht. Das hat vor allem damit zu tun, dass es über die Atemwege auch schneller wirkt." Dann nimmt er uns mit in seine Wohnung, die ein paar Ecken weiter liegt. „Jetzt brauche ich erst mal einen Joint. Dann bin ich entspannter."
Der Dealer gibt sich seriös
Die Wohnung sieht gar nicht so aus, wie man sich das Heim eines Dealers vorstellt. Im Flur steht ein alter Garderobenständer, im Wohnzimmer nimmt man neben einem in die Jahre gekommenen Schrank auf einem spießigen Sofa Platz. „Ich weiß, alles Gelsenkirchener Barock bei mir." Auf teure Wohnungseinrichtungen habe er noch nie gestanden. Dann nimmt Manuel einen tiefen Zug von seinem Joint: „Das ist gutes Zeug", sagt er und lächelt. „Wir nennen es einen Türken. Das ist Haschisch ausschließlich aus den Blüten der Cannabispflanze, sehr sanft gepresst. Darauf stehen meine Kunden, es lässt sich besonders einfach verarbeiten." Seine „Kunden" seien in der Regel schon über 50 Jahre alt. „Das hört sich verrückt an, aber so ist es. Haschisch und Marihuana rauchen eben nur Kids und ältere Leute, die das Zeug noch von früher kennen. Mein Durchschnittskunde ist mittlerweile sogar Ü60 und lässt im Monat so zwischen 400 und 500 Euro bei mir."
Drogen scheinen mitten in der Gesellschaft angekommen zu sein – jedenfalls in Berlin. Dass Cannabis die Droge Nummer eins ist und bleibt, ist polizeibekannt. Im EU-Drogenbericht 2019, der von der EU-Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) und der europäischen Polizeibehörde Europol herausgegeben wird, heißt es: „Den größten Anteil an dem illegalen Geschäft hat der Handel mit Cannabis mit einem Straßenverkaufswert von 11,6 Milliarden Euro. Rund 25 Millionen Europäer jährlich konsumieren die Droge." Sie wird laut EBDD in großen Mengen auch innerhalb der EU produziert. Als Nummer zwei auf dem illegalen Drogenmarkt nennt der Bericht Kokain mit einem Verkaufswert von mindestens 9,1 Milliarden Euro und geschätzten vier Millionen Konsumenten in Europa. Zahlen, die prozentual auch auf Deutschland umgerechnet werden können. Als Daniela Ludwig, die Drogenbeauftrage der Bundesregierung, Anfang November dieses Jahres ihren Drogen- und Suchtbericht vor der Bundespressekonferenz vorstellte, sagte sie: „Bei den illegalen Substanzen bleibt Cannabis nach wie vor die am häufigsten konsumierte Droge. Sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen. 19 Prozent der Jugendlichen gaben an, Cannabis konsumiert zu haben, bei den jungen Erwachsenen bis 25 Jahre waren dies 42,5 Prozent."
Ludwig besuchte im Dezember den Görlitzer Park in Berlin und zeigte sich schockiert. „Nach dem Besuch war ich ehrlich beeindruckt – leider im negativen Sinne", sagte sie danach. Dabei ist klar: Der Handel unter freiem Himmel nimmt eher ab. Er wandert zunehmend sowohl in den virtuellen Raum als auch ins heimische Wohnzimmer. Die Dealer werden professioneller und kundenfreundlicher, berichten Ermittler. Der Drogendealer scheint immer mehr zu einem richtigen Berufsbild zu werden.
„Das kann ich nur bestätigen", erzählt Dealer Manuel G., der nach mehreren Zügen an seinem Joint nun deutlich entspannter wirkt. „Ich habe mich zu 100 Prozent auf meine Kunden eingestellt. Die lerne ich meist durch Zufall oder auf Empfehlung kennen." Bevor Ware verkauft werde, komme es immer zu einem persönlichen Gespräch, um sich kennen zu lernen. „Meistens treffen wir uns in einem Café, reden zunächst über dies und das. Erst wenn beide Seiten Vertrauen aufgebaut haben, geht es um Drogen. Da frage ich dann Kundenwünsche ab, und wir schauen, ob es passt." Dann schreibe er seine Handynummer auf und schiebe sie dem Kunden zu. „Wir vereinbaren dann auch einen Code für Telefonate, wie: Meine Eier sind alle, ich brauche dringend zehn Neue." Was sich hinter dem Code verbirgt? Eier steht für Hasch, zehn für die Grammzahl – also zehn Gramm Hasch.
Hausbesuche, feste Lieferzeiten und ein Klingelzeichen
Auch beim Thema Drogenübergabe gibt sich Manuel G. sehr kundenorientiert. „Entweder ich komme zu ihnen nach Hause oder sie kommen zu mir. Wir vereinbaren dann ein spezielles Klingelzeichen, damit alles reibungslos läuft." Ein typisches Beispiel sei ein 65-jähriger Rentner, der regelmäßig bei Manuel kauft. Er brauche so alle zwei Wochen rund 20 Gramm Ware. „Wenn ich sauberen Stoff dahabe, rufe ich ihn an. Er sagt mir dann, wie viel Gramm er braucht, und ich zu fahre zu ihm." Für die Drogendeals gebe es feste Lieferzeiten. Manuel G.: „Ich komme täglich zwischen 13 und 16 Uhr, mache sozusagen Hausbesuche." Die eigentliche Übergabe dauere immer nur wenige Sekunden: „Vereinbartes Klingelzeichen, reingehen, Stoff übergeben, Geld mitnehmen Die Kunden wissen, wenn sie 20 Gramm bei mir bestellt haben, bekommen sie auch exakt 20 Gramm." Egal, ob Deal beim Kunden oder bei sich zu Hause. Manuel hat immer nur so viel Stoff dabei, dass er im Falle einer Polizeikontrolle nicht als Dealer verhaftet werden könnte. Größere Mengen, die er von seinem „Großhändler" beziehe, lagere er in einer Scheune in Brandenburg ein. „Dafür gibt es am Monatsende ordentlich was zu rauchen für den Bauern."
Manuel G. ist kein Einzelfall. Das weiß auch Jörg Beyser, Leiter des Drogendezernats beim LKA Bayern und damit oberster Drogenfahnder im Freistaat. „Der Kundenservice ist mittlerweile hervorragend", sagt Beyser ironisch. Auch wenn der stationäre Drogenhandel derzeit noch größer ist und der Internethandel nur als Ergänzung gesehen wird: Ginge es nicht um kriminelle Machenschaften, oft genug sogar um Leben und Tod der Abnehmer, könnten die Drogen-Firmen (vor allem im Netz) durchaus als vorbildliche Händler durchgehen. Sie verfügen über Call-Center und Rabattsysteme, schicken bei Verlust auf dem Postweg anstandslos Ersatz, betreiben Beschwerdehotlines, engagieren Finanzmanager für die Abwicklung des Geldverkehrs. Und sie liefern – zumindest im Sinne der Szene – häufig Top-Qualität, sprich: hohe Wirkstoffkonzentration mit entsprechendem Rauschpotenzial. „Die Bewertungen sind das A und O für denjenigen, der den Web-Shop betreibt", betont Beyser. Für den normalen Handel gelte: Wer von den Kunden weiterempfohlen wird, gilt in dem sensiblen Feld der Drogenkriminalität als verlässlich.
Grundsätze, die auch Manuel G. beherzigt. „Ganz klar, dass ich immer versuche, besten Stoff anzubieten. Das danken mir ja die Leute, indem sie immer wieder kommen." Schuldig fühlt er sich trotz seiner verbotenen, illegalen Geschäfte nicht. „Die würden das Zeug ja sonst woanders kaufen, und womöglich wäre es dann nicht so sauber wie mein Stoff."
Holger Trocha