Abseits des Trubels auf Brettern die Natur erkunden: Skitouren erleben einen wahren Boom. Und bringen manchen Alpinfahrer zu der Überlegung, mal das Genre zu wechseln. So wie unseren Autor Christian Haas. Der war bei seiner Tagestourenpremiere im Tiroler Wipptal absolut begeistert.
Harscheisen! Ein Wort, das ich bis zur Ausleihe in der Skischule Bergeralm noch nie gehört habe. Der freundliche Tour-Equipmentverleiher in Steinach am Brenner erklärt auch gleich, wozu es Harscheisen braucht. „Wenn die Skifelle wegen zu großer Steigung nicht mehr ausreichen, kommen diese Metallbeschläge in die Bindung. Helfen auch bei eisigem oder harschigem Schnee!" Aha, daher der Name. Was er auch erklärt: Wie die Pin-Bindung („extrem gefragt") funktioniert und dass man bei Tourenskischuhen ruhig eine Nummer größer nimmt. Ach ja, und wie wir zum Gasthaus Olpererblick in Innerschmirn kommen. Dort, so der Plan, sollen wir tags drauf Hubert treffen. Wir, das sind drei Brüder. Alle mit Alpinski-, aber ohne Tourenerfahrung. Was auch den schlampigen Umgang mit Sonnenschutz betrifft (Ausrede: „Ich dachte, Ihr nehmt was mit."). Aber dazu später mehr …
Acht Uhr am nächsten Morgen. Die Bedingungen könnten nicht besser sein: gut geschlafen, noch besser gefrühstückt. Das Wetter: ein Traum. Wolkenloser Sonnenschein. Und das bei guter Schneelage. Auch wenn es seit Tagen nicht geschneit hat. Dafür verspricht auch die Lawinenwarnstufe eins (von fünf) geringes Risiko. Hubert Gogl, staatlich geprüfter Berg- und Skiführer und gebürtiger Wipptaler, hat sich für unsere Premiere das Wildlahnertal ausgesucht. Ein paar Minuten später parken wir dort das Auto. Das Ende der Straße bedeutet für uns den Anfang der Skitour.
Selbst spüren ist ein Aha-Erlebnis
Hubert, der sonst auf Drei- und Viertausendern und im ORF unterwegs ist, erklärt uns, wie man die Felle am Ski einhängt (leicht), in die selbigen vorne ein- und aussteigt (leicht) und wie ein Lawinenpiepser funktioniert (komplizierter, aber wir belassen es bei den Basics). Dann zeigt uns der 52-Jährige noch auf einer Karte, wo wir hinwollen. Die Namen? Vergessen, weil wir jetzt vor allem eines wollen: ausprobieren. Ist ja so ungewohnt, hinten die Ferse zu heben.
Dann geht es endlich los. Und sanft bergauf. Es funktioniert tatsächlich! Man gleitet rauf und rutscht nicht runter. Faszinierend. Auch wenn ich es x-mal gesehen habe: Es selbst zu spüren, ist dennoch ein Aha-Erlebnis. Nach ein paar Kurven durch den Wald finden wir unseren Rhythmus. Linker Ski nach vorne, rechter Arm nach hinten – und umgekehrt. Nicht zuletzt dank Spurrinnen und des nicht allzu steilen Wegs kommen wir gut voran. „Am besten ist es, wenn man gar nicht mehr denkt", spornt uns Hubert an, „wenn man einfach in den Flow kommt."
Als wir um Viertel nach zehn auf einer Hochalm ankommen, war schon jede Menge Flow dabei. Und jetzt: toller Blick, keine Zivilisationsanzeichen, kein Lift, keine Hütte. Aber puh: Kommt der Schweiß von der gnadenlos brennenden Sonne (plus Reflexion im tief verschneiten, traumhaft schönen Talschluss) oder davon, dass es doch recht anstrengend ist? Egal, ermutigt vom bisherigen, einwandfreien Verlauf entscheiden wir uns entgegen ersten Planungen für den längeren, anspruchsvolleren Hang zur Rechten. Ha, das ist doch ein Klacks!
Zwölf Uhr: gnadenlose Fehleinschätzung. Das sah von unten leichter aus. Hubert bestätigt mit einem Gerät eine Hangneigung von teils 40 Grad. Für Könner kein Ding, für uns schon. Vor allem, da wir zum Teil selbst spuren, also nicht in bereits gelegten Fährten den Hang im Zickzack emporgehen. Und auch wenn Hubert tapfer voranschreitet, ist der Unterschied enorm. Am anstrengendsten aber sind die Spitzkehren, also die Wenden, bei der man erst den Bergski hebt und ihn in einem beinahe 180-Grad-Winkel in die gegenläufige Richtung verrenkt (fester Vorsatz: mehr Ausdauertraining machen!), um dann den anderen Ski mit der richtigen Portion aus Hochdrücken und Balance halten nachzieht. Geht am flacheren Hang problemlos, sorgt bei der zehnten Wiederholung im Steilhang aber für erneuten Schweißausbruch. Und warum in aller Welt sind oberhalb von 2.000 Metern Höhe keine Bäume mehr? Oder irgendetwas anderes, was Schatten spendet?
Sonnenschutz ist wichtig
Im weiteren Verlauf kommt eine weitere quälende Frage auf: Wann erreichen wir endlich die Scharte? Die insgesamt 1.100 Höhenmeter sollten wir doch längst geknackt haben. Stattdessen krieche ich nur noch, gerate ab und an leicht aus der Spur. Ernsthaft abrutschen will ich hier nicht. Eher wünsch ich mir einen Lift. Nicht wegen der Sitzheizung (Gott bewahre!), sondern wegen des Sitzens. Doch da weit und breit keiner in Sicht ist, denke ich laut ans Aufgeben, äh … Abkürzen: „Von mir aus", schlage ich den anderen vor, „könnten wir jetzt abfahren. Gipfelerlebnisse werden doch eh überschätzt."
13.30 Uhr: Herrlich, so ein Gipfelerlebnis! Allein der Hammerblick auf Dreitausender und verschneite Seitentäler. Und dann das Gefühl, es tatsächlich geschafft zu haben. Ja, ich bin froh, dass mich die Gruppe hoch motiviert hat. Anflug von Stolz. Und Anflug von Sonnenbrand. Gelobe laut: „Nie wieder will ich den Sonnenschutz vernachlässigen!" Nach 30 Minuten stellen wir die Schuhe hinten fest – und geben uns die Kante. Im wahrsten Sinn, denn hinter dieser fällt der Hang beeindruckend ab. Alles Tiefschnee, nur ab und an ragen Felsen empor. Aber ist es mein fraglicher Energiehaushalt oder der ungewohnte Ski? Ich flattere mehr, als dass ich fahre. Peinlich. Der untere Teil ist leichter, vereiste Stellen hin oder her.
Als wir schließlich kurz nach drei Uhr am Auto und kurz darauf am Gasthaus Olpererblick ankommen, heißt die Devise: schnell raus aus den Skischuhen, raus aus der Sonne. Viel trinken, atmen, entspannen. Um dann zu sagen: „Irre. Würd’ ich gern wieder machen. Und dann auch gern mal mit Harscheisen." Die haben wir nämlich doch nicht gebraucht, wenngleich nicht viel dazu gefehlt hat.