Nach der Modewelt hat der unkonventionelle Bohemian-Style nun die globalen Einrichtungswelten erobert. Das kühne Vermischen von Stilen, Farben und Mustern setzt aber durchaus Mut voraus.
Der Bohemian-Style, häufig auch einfach nur Boho-Style genannt, der derzeit von den USA ausgehend die globalen Einrichtungswelten überflutet, ist in der Fashion-Szene ein immer wiederkehrender Trend. Bei den diversen Erklärungsversuchen bezüglich der historischen Wurzeln und Vorbilder des Stils geht es dabei meist ebenso munter drunter und drüber, wie es der wilde Mix der Farben, Textilien, des Mobiliars oder der Deko-Elemente beim aktuellen Einrichtungstrend auszeichnet.
Grund genug, sich vorab mal etwas Klarheit über das Wörtchen „Bohème" zu verschaffen. Im Französischen steht „Bohème" gleichermaßen für „Böhmen" wie für „Zigeuner". Damit wurden die aus Böhmen stammenden Roma seit dem 15. Jahrhundert beschrieben. Ihr unkonventioneller Lebensstil dürfte der wesentliche Grund dafür gewesen sein, dass einige der sich vom bürgerlichen Leben seit Mitte des 19. Jahrhunderts bewusst abgrenzenden Künstler- und Autorengruppen als Bohème bezeichnet wurden. Mit Mode oder Einrichtungsvorlieben hatte das allerdings noch nichts zu tun. Nicht mal Pablo Picasso pflegte wenig später als bunter Papagei im Bohème-Eldorado Montmartre mit seinen zahllosen, dem bourgeoisen Zuhause hohnspottenden Ateliers herumzulaufen. Das sah bei Picassos Muse Dora Maar allerdings schon ganz anders aus, die einen ganz persönlichen Look auf Basis von farbenfrohen orientalischen Gewändern entwickelte.
Der kreative Freigeist der Pariser Bohème feierte in den 1960er- und 1970er-Jahren muntere Wiederauferstehung in der Hippie-Bewegung mit ihren bunten, flatternden Klamotten und Accessoires. Dank Stilikonen wie Veruschka Gräfin von Lehndorff, Anita Pallenberg, Marianne Faithful oder Loulou de la Falaise fand der Hippie-Style, der bisweilen auch Gypsy-Look genannt wird, schnell auch Eingang in die Haute Couture. Danach tauchte er alle paar Jahre immer mal wieder auf den internationalen Laufstegen auf, beispielsweise in den frühen 1990er-Jahren oder Anfang des neuen Jahrtausends, etwa bei Kate Moss oder Sienna Miller.
Es geht munter drunter und drüber
Um dieses scheinbar langatmige Vorwort kommen auch diverse Einrichtungs- und Ambiente-Webseiten, die den Boho-Style als neuen Interieur-Trend pushen wollen, allesamt nicht herum. Man muss allerdings anmerken, dass es dekorative Boho-Looks natürlich auch früher schon gab. Jede neue Generation hat den Style, der ebenso zeitlos wie fern jeglicher fester Regeln ist, abgewandelt und damit gewissermaßen neu für sich erfunden. Im Wesentlichen handelt es sich beim Bohemian-Style um einen wilden, farbenfrohen Mix aus Möbeln, Stoffen und Mustern. Selbst die verrücktesten Kombinationen sind möglich. So gut wie alles ist erlaubt, sofern es persönlich gefällt und sich die teils sehr konträren Einzelteile zu einem möglichst harmonischen Ganzen zusammenfügen lassen, in dem neuerdings auch zunehmend Wert auf Natürlichkeit und nachhaltige Rohstoffe gelegt wird.
Selbstverständlich gibt es typische, meist wiederkehrende Elemente, die den Boho-Look unverwechselbar ausmachen: beispielsweise Felle, gewebte Stoffe, farbenfrohe Kissen-Arrangements, bunte Kacheln oder Mosaikfliesen, Bast- oder geflochtene Korb-Elemente. Vieles davon kann auf Flohmärkten für kleines Geld erworben werden, aber auch ein aus Euro-Paletten selbstgefertigtes Bett oder Küchenregal passt perfekt in diesen Rahmen. Nur allzu wuchtige Elemente wie eine Mega-Schrankwand sollten vermieden werden, weil sie einfach das erwünschte Gefühl von wohliger Gemütlichkeit zerstören können. Lieber sollte man kleinere Unikate miteinander kombinieren. Schwere antike Möbel aus kostbaren Materialien wie Palisander, Mahagoni oder Ebenholz, die einen Hauch von Kolonialzeit versprühen, lassen sich wunderbar kontrastierend neben leichtem, modern-nostalgischem Bambus- oder Korbmobiliar platzieren. Die gesamte Einrichtung im Boho-Stil lebt als Mixtur aus Ethno, Hippie oder Orient gewissermaßen von Widersprüchen und kann dabei dennoch scheinbar absolut Gegensätzliches miteinander verbinden. Trend-Einsteiger, die bislang eher einem minimalistischen, von den zeitlosen Designs der Le Corbusier, Eames und Co. geprägten Stil gehuldigt hatten, werden wahrscheinlich nur einige ausgewählte Boho-Elemente übernehmen wollen. Einfacher und fließender dürfte hingegen die Verwandlung eines gehobenen Landhausstils in ein Boho-Ambiente über die Bühne gehen. Überaus spannend kann auch das Zusammentreffen des von klaren Linien und hellen Farben geprägten skandinavischen Stils mit dem plüschig-bunten Boho-Chic sein, wobei es sich empfiehlt, dabei die Grundpalette der Farben eher neutral und gediegen zu halten.
Bei den Materialien stehen im Sinne der Natürlichkeit Holz, Rattan, Flechtwerk aus Seegras oder Wasserhyazinthen, Leinen, Wolle, Leder, Samt oder handgefertigte Keramik im Mittelpunkt. Nichts spricht beim Boho-Stil gegen weiße Wände, zumal ja ansonsten genügend Farbe im Spiel ist.
Mix aus Ethno, Hippie und Orient
Gesättigte, erdfarbene Töne wie Beige, Braun, warmes Grau, Olivgrün oder Khaki sollten die Basis darstellen, der mit akzentuierenden Farben wie Rot, Orange, Curry, Sonnenblumengelb, Violett oder leuchtenden Blaunuancen die Krone aufgesetzt werden kann. Damit das Ensemble farblich nicht zu unruhig und unharmonisch wird, empfehlen Einrichtungs-Experten allenfalls die Verwendung von maximal vier Konträrfarben in einem Raumbereich. Generell sollte beim Mobiliar möglichst der Fokus auf pfiffigen Kleinmöbeln und Einzelstücken anstelle von sterilen Serien-Stücken liegen. Lieber klein statt groß lautet beim Boho-Style daher die grundlegende Prämisse.