Maximal 120 km/h auf Autobahnen: Der frühere grüne Bremer Verkehrssenator Reinhard Loske führte die Höchstgeschwindigkeit bereits 2008 ein. Zur bundesweiten Durchsetzung empfiehlt er einen Gruppenantrag im Bundestag und eine Initiative über den Bundesrat.
Herr Loske, als erster Verkehrsminister in Deutschland haben Sie 2008 in Bremen das Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf Autobahnen durchgesetzt. Wieso gab es keinen Proteststurm, der die damalige rot-grüne Koalition hätte umkippen lassen?
Vom ADAC bis zur Handelskammer wurde reichlich protestiert. Vor allem weil das Tempolimit auf den Autobahnen in eine Gesamtstrategie der Entschleunigung des Autoverkehrs eingebettet war: Temporeduzierung von 50 auf 30 Stundenkilometer in Wohngebieten und auf Nebenstraßen, von 70 auf 50 auf innerstädtischen Hauptverkehrsstraßen. Begleitet wurde das Ganze durch den Ausbau der Straßenbahn, die Einführung der S-Bahn und die massive Förderung von Radverkehr und Car-Sharing.
Hielt sich die Gegenwehr auch deshalb in Grenzen, weil Bremen sowieso nur etwa 80 Autobahnkilometer hat, von denen die meisten damals schon einer Tempobeschränkung unterlagen?
In der Tat, das Land ist klein. Das macht manches möglich, auch eine Pionierrolle. Aber die Bundesregierung – damals hieß der Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee – verwendete viel Energie darauf, uns das Leben schwer zu machen, damit die Maßnahme bloß keine Nachahmer fand. So durften wir kein „generelles", sondern nur ein „spezifisches" Tempolimit einführen. Im Ergebnis war es jedoch das Gleiche.
Ein Argument gegen flächendeckende Tempolimits auf Autobahnen lautet, dass schnelles Fahren in Deutschland zum Nationalcharakter gehört wie Waffenbesitz in den USA. Beides könne man nicht verbieten, ohne einen Aufstand auszulösen.
Ich habe diesen Vergleich früher selbst verwendet, halte ihn aber mittlerweile für Blödsinn. Wahr ist, dass politische Konflikte pluralistische Gesellschaften oft in 50 Prozent Befürworter und 50 Prozent Gegner polarisieren. Dann kann es auch heftig zugehen. Das gilt für große Fragen, etwa Willy Brandts Ostpolitik oder den Atomausstieg, wie für kleine Fragen, beispielsweise die Anschnallpflicht und das Rauchverbot. Sind die Sachen einmal beschlossen, werden sie jedoch als neue Tatsachen früher oder später von allen akzeptiert. Als Politiker braucht man da ein wenig Durchhaltevermögen.
Weil Audi, Daimler, BMW und Porsche vor allem große, leistungsstarke, schnelle Fahrzeuge verkaufen, rührt das Tempolimit an ihrem Geschäftsmodell. Deutschland ist die Vorführstrecke für die Exportprodukte. Kann die Bundesregierung das ignorieren?
Das ist ein seltsames Argument, denn es gibt in praktisch allen Staaten der Welt Tempolimits. Ich sehe es umgekehrt: Mit der einseitigen Ausrichtung der eigenen Produktpalette auf PS-starke, schwere und schnelle Modelle schafft sich die deutsche Automobilindustrie eher Probleme. Eine solche Fixierung verstellt den Blick darauf, dass sich die Konzerne zu Mobilitätsdienstleistern weiterentwickeln müssen. Da geht es um Elektromobilität, Car-Sharing, autonomes Fahren und nachhaltige Stadtmobilität.
Das Tempolimit von 130 Kilometer pro Stunde würde den CO2-Ausstoß des Verkehrs um etwa ein Prozent reduzieren, die gesamten deutschen CO2-Emissionen um ungefähr 0,1 Prozent. Lohnt dieser kleine Beitrag die Aufregung?
Unmittelbar wäre ein Tempolimit auf Autobahnen nur ein kleiner Beitrag zur Erreichung der deutschen Klimaschutzziele. Mittelbar und vor allem dauerhaft wäre es aber ein sehr großer Beitrag zu einer nachhaltigen Mobilitätskultur in Deutschland.
Rund 3.300 Menschen starben 2018 auf bundesdeutschen Straßen, nur 424 davon auf Autobahnen und wahrscheinlich bloß ein kleiner Teil wegen Raserei.
Das Ziel muss heißen: null Verkehrstote. Ein Tempolimit von 120 oder 130 auf Autobahnen ist dazu definitiv ein wichtiger Beitrag. Eine Automobilkultur, in der Menschen zunehmend SUVs kaufen, um sich im Wettrüsten mit anderen schweren Fahrzeugen Sicherheit zu verschaffen, ist mit der „Vision Zero" unvereinbar.
Was halten Sie vom Vorschlag diverser Verbände und Versicherungen, erstmal einen längeren Praxistest durchzuführen, um die Wirkung eines Tempolimits für die Verkehrssicherheit zu beurteilen?
Gar nichts, denn herauskommen kann nur, dass höhere Geschwindigkeiten längere Bremswege und höhere Aufprallgeschwindigkeiten bei Unfällen bedeuten. Sowas lernt man im Physikunterricht in der Schule. Und der Rest der Welt weiß es ja auch.
Sie sagen, schnelles Fahren sei bald nicht mehr so wichtig, sondern die Systemgeschwindigkeit. Was meinen Sie damit?
Hohe Spitzengeschwindigkeiten eines Verkehrsmittels sagen ja noch nichts darüber aus, wie zügig ich mit ihm von Haustür zu Haustür komme. Viel entscheidender ist, welche Optionen und Alternativen ich habe, ob der Verkehr stockt oder fließt, wie ich die notwendige Verkehrszeit nutzen will oder kann. Außerdem sehe ich durchaus einen Kulturwandel in unserer Gesellschaft: Man fragt sich, was nur mit den Leuten los ist, die einem bei Tempo 130 wild gestikulierend an der hinteren Stoßstange kleben.
Im Bundestag stimmte die SPD aus Koalitionsdisziplin erst kürzlich gegen den Tempolimit-Vorschlag der Grünen. Halten Sie es für realistisch, dass sich diese Haltung ändert?
Danach, dass die Regierungsfraktionen gemeinsam einen entsprechenden Antrag formulieren, sieht es momentan nicht aus. Einzelne Abgeordnete mehrerer Fraktionen könnten jedoch einen Gruppenantrag pro Tempolimit in den Bundestag einbringen. So etwas habe ich 2007 gemeinsam mit den Abgeordnetenkollegen Josef Göppel von der CSU und Heidi Wright (SPD) versucht. Damals mehr oder minder erfolglos, aber es wäre einen neuen Versuch wert. Und dann gibt es ja auch noch den Bundesrat mit immerhin elf Landesregierungen, an denen Grüne beteiligt sind. Vielleicht geht da was.