In diesem Jahr müssen die Kommunen endlich entschuldet werden, fordert der Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Uwe Brandl. Bei Mobilität und Digitalisierung dürfe niemand vernachlässigt werden.
Herr Brandl, Deutschland ist ein wachsendes und prosperierendes Land. Ist das denn auch Ihre Erfahrung?
Sicher, in den Städten und Metropolräumen haben wir fortgesetzt Wachstum, sowohl wirtschaftlich, als auch bei der Bevölkerung. Doch gerade in den ländlichen Räumen scheint sich die Stagnation gerade sogar zu beschleunigen. Das liegt natürlich zum einen am Strukturwandel dieser Räume. Zum Beispiel in den Regionen, in denen gerade aus der Kohle ausgestiegen oder dieser Ausstieg vorbereitet wird. Und daraus resultiert die dringende Aufgabe für die Bundes-, aber auch die Landesregierungen, den Menschen dort wieder neue Lebensperspektiven zu geben.
Aber wie kann das geschehen? Und was kann die Politik dafür tun?
Wenn in einer Region Arbeitsplätze wegbrechen, erfolgt das ja meist nicht abrupt, sondern ist ein schleichender Prozess. Dann müssen schon frühzeitig Gegenstrategien entwickelt werden. Zum Beispiel: Warum müssen die Hochschulen im kompletten Verbund in den großen Städten verortet sein? Beispielsweise könnte man durch Ausgründungen junge Menschen in die kleineren Städte holen. Da sind nicht nur die Länder gefordert, sondern auch der Bund. Er kann mit seinen Behörden in die Fläche gehen, was ja in Teilen schon geschieht. Wenn die Politik den Menschen keine Lebensperspektive in den ländlichen Räumen gibt, werden sie dort nicht bleiben.
Gehört dazu auch die flächendeckende Netzabdeckung? Den neuen Mobilfunkstandard 5G soll es ja nun nicht überall und flächendeckend geben.
Das hat uns sehr geärgert, denn die Kanzlerin hat uns für den flächendeckenden Ausbau von 5G ihr Wort gegeben. Nun plötzlich heißt es, es könnte dann doch nur LTE oder aber auch nur UMTS in der Fläche werden. Das ist kontraproduktiv und hat mit gleichwertigen Lebensverhältnissen nichts mehr zu tun. Wir brauchen gleiche Übertragungsgeschwindigkeiten, gleiche Digitalstrukturen im ganzen Land. Dass das eine längerfristige Aufgabe ist, ist mir auch klar. Aber wenn jetzt schon die Regierung im Vorfeld klarstellt, es wird beim flächendeckenden Ausbau des Digitalfunks zwei Klassen geben, ist das eine weitere Verfestigung der ungleichen Lebensverhältnisse in Deutschland.
Aber flächendeckend LTE ist doch eigentlich auch ganz schön, oder?
Sicherlich, aber sie dürfen nicht vergessen: 5G ist ein neuer Wertschöpfungsprozess. Dieser Standard ist ja nicht nur für die Menschen wichtig, sondern vor allem für Industrieansiedlungen. Da drohen zukünftig Räume an der Peripherie abgehängt zu werden, und das kann in einem Hochindustrieland nicht sein. Und wir als Städte- und Gemeindebund werden da auch nicht die Füße stillhalten. Uns wurde ja nicht nur von der Kanzlerin, sondern auch von den fünf für die Digitalisierung zuständigen Ministern eine flächendeckende Breitbandversorgung zugesagt, und darauf pochen wir jetzt.
Neben dem Netzausbau geht es Ihnen auch um das Thema Mobilität der Zukunft. Sehen Sie die Debatte da auch zu sehr fokussiert auf Ballungsräume?
Selbstverständlich! Allein die Forderung, bei der CO2-Besteuerung schon mit 65 Euro pro Tonne einzusteigen und ganz schnell auf 180 Euro zu erhöhen, zeigt: Da wird ausschließlich innerhalb von Stadtgrenzen gedacht. Die Leute sollen auf den ÖPNV umsteigen, um so die höheren Spritpreise zu umgehen. Aber nicht nur bei mir in Niederbayern gibt es diese Alternative gar nicht richtig! Das, was da derzeit diskutiert wird, ist zu kurz gesprungen. Allein München hat jeden Tag über eine halbe Million Ein- und Auspendler, die können Sie nicht von heute auf morgen in die Bahn setzen, die Kapazitäten sind gar nicht vorhanden. Darum muss Mobilität bis in die Peripherie gedacht werden, Stadt und Land zusammen müssen diese Aufgabe gemeinsam meistern.
Luxemburg führt jetzt den kostenlosen ÖPNV ein. Wäre das auch etwas für uns?
(lacht) Ja, aber die Luxemburger haben in den vergangenen zehn Jahren auch nur noch das Notwendigste für den Individualverkehr getan und alle Kraft in den flächendeckenden Ausbau des ÖPNV gesteckt. In Luxemburg gibt es jetzt eine vernetzte, funktionierende öffentliche Verkehrsanbindung. In Deutschland haben wir heute – und vermutlich selbst in zehn Jahren – nicht die Transportkapazitäten, um alle mit dem ÖPNV von A nach B zu bringen. Abgesehen davon ist Deutschland nicht nur ein bisschen größer als Luxemburg, sondern auch föderaler: 16 Länder und der Bund müssten sich absprechen.
Ein ganz großes Thema ist die E-Mobilität. Würde die Ihrer Meinung nach flächendeckend funktionieren?
Nein, das glaube ich nicht. Abgesehen von den Reichweiten der Fahrzeuge wird die Ladesäulendichte bei Weitem nicht genügen, die es braucht, um das E-Auto tatsächlich flächendeckend einzusetzen. Die ganze Ausrichtung ist mir auch zu eindimensional. Wir sind gut beraten, wenn wir andere Antriebsarten im Fokus behalten, wie zum Beispiel die Brennstoffzellentechnik. Die ist vor allem im Bereich der Nutzfahrzeuge hervorragend geeignet, die anstehenden Aufgaben zu meistern. Dann ist da der Bereich der synthetischen Kraftstoffe, den man nicht vernachlässigen sollte. Also auch hier gilt: Bitte Mobilität von der Fläche aus denken!
Das passiert durchaus bei der Erzeugung der erneuerbaren Energien – Stichwort Windkraft. Halten Sie die „Windkraft-Bürgerprämie" für eine gute Idee, die nun vorgeschlagen wurde, um Anwohner quasi zu entschädigen, wenn sie ein Windrad in ihre Nähe bekommen?
Das ist der absolut falsche Weg. Wenn die Politik für das Stillhalten der Bürger eine Prämie bezahlt, dann ist das beinahe schon demokratiegefährdend. Wenn sich die Gemeinschaft für eine Energieanlage an einem Ort entschieden hat, dann muss das der Einzelne akzeptieren. Da kann man nicht den Widerstand mit Geldzahlungen unterdrücken, sondern muss schauen, dass man die besseren Argumente hat. Sonst wird erst für jedes Windrad bezahlt, aber dann zahlen sie zukünftig auch für jeden neuen Autobahnkilometer oder Gewerbepark, denn überall wird es Nachbarn geben, denen sie die Sicht verbauen.
In Brandenburg bekommen seit Kurzem betroffene Gemeinden Geld aus einer Sonderabgabe für jedes Windrad in ihrer Nähe. Ist das eine bessere Alternative?
Das ist schon eher ein Weg. Denn von dem gezahlten Geld hat dann wieder die Gemeinschaft etwas. Eine Schule kann saniert oder in der Kindertagesstätte eine neue Kraft eingestellt werden. Aber auch hier besteht die Gefahr, dass zukünftig andere Gemeinden dann eine Strom- oder eine Bahntrassen-Prämie verlangen. Das könnte schnell zu einem Fass ohne Boden werden.
So ein Fass tut sich auch für mindestens 2.500 überschuldete Städte und Gemeinden auf. Sie haben einen Fonds vorgeschlagen, wie soll der funktionieren?
Insgesamt geht es um eine Summe von vermutlich 50 Milliarden Euro, die von den Kommunen in diesen Fonds umgeschichtet werden müssen. Bund und Länder würden dann für die Zinsen aufkommen. Der Zeitpunkt ist dank der Negativzinsphase derzeit äußerst günstig. Ja, und dann muss man sich darüber unterhalten, wie die Rückführung dieses Fonds über vermutlich 30 Jahre organisiert wird. Eine Idee wäre ein fester Beitrag, den die konsolidierte Kommune zahlen muss. Also die, denen es gut geht, stehen dann für die ein, die wieder auf die finanziellen Füße kommen müssen. Ähnlich dem Bund-Länder-Finanzausgleich.
Aber wie wollen Sie denn verhindern, dass sich die gerade entschuldeten Kommunen wieder in neue Kredite stürzen?
Das ist Aufgabe auch der Länder, das zu überwachen: Wer entschuldet wurde, der muss dann auch in die Pflicht genommen werden. Kostenfreie Kitaplätze zum Beispiel kann es in einer solchen Kommune dann natürlich nicht mehr geben. Eine Entschuldung müssen alle mittragen: Bund, Land, Kommunen, aber auch die Bürger.