Ab März 2020 fahren öffentliche Busse, Bahnen und die neue Tram kostenlos durch Luxemburg. Das Experiment sorgt international für Furore. Doch es gibt auch Kritik.
Während in Deutschland kostenloses Bus- und Bahnfahren vorerst eine Idee bleibt, setzen die Luxemburger diese Idee in die Tat um. Ab März 2020 können im ganzen Land öffentliche Verkehrsmittel in der zweiten Klasse vom Zug über den Bus bis zur Tram kostenlos genutzt werden – beliebig oft, in alle Richtungen bis zur Grenze, für Jung und Alt, Einheimische, Pendler und Touristen, Gutverdiener und weniger Betuchte. Es ist eines der Wahlversprechen der Regierung um Premierminister Xavier Bettel, das nun umgesetzt wird. Die Koalition aus Grünen, Liberalen und Sozialisten hatte dieses Vorhaben im Vorfeld der Parlamentswahlen 2018 angekündigt.
Das Projekt kostenloser ÖPNV wurde in Luxemburg Zug um Zug eingeführt. So fahren Schüler, Azubis und Studenten schon heute kostenlos mit Bus und Bahn durchs Land, ein Zwei-Stunden-Ticket im Normaltarif kostet derzeit zwei Euro, ein Tagesticket vier Euro. Im Gegensatz zu Deutschland gelten die Preise schon jetzt als moderat, und trotzdem bleibt das Auto das mit Abstand meistgenutzte Verkehrsmittel in Luxemburg. Nach Angaben des Luxemburger Verkehrsministeriums entfallen 69 Prozent aller zurückgelegten Strecken auf das Auto, 17 Prozent auf öffentliche Verkehrsmittel, zwölf Prozent auf das Fahrrad, und zwei Prozent gehen zu Fuß.
Es klingt fast ein bisschen überraschend, wenn Mobilitätsminister François Bausch von den Grünen sogar davon ausgeht, dass die Zahl der Bus- und Bahnfahrer ab März nächsten Jahres kaum zulegen wird. „Die Einführung des kostenlosen Bus- und Bahnverkehrs für jedermann ist in erster Linie eine soziale Maßnahme für Menschen mit geringem Einkommen", sagt der Minister. Natürlich spielen auch Umweltschutz und Straßenentlastung eine Rolle. Doch um mehr Menschen zum Umsteigen auf Bus und Bahn zu bewegen, müsse der ÖPNV insgesamt attraktiver werden. Dazu gehören zum Beispiel eine bessere und schnellere Anbindung an die Städte Luxemburg und Esch-sur-Alzette, eine höhere Taktfrequenz oder auch Park-and-Ride-Parkplätze am Rande der beiden Städte für Umsteiger und Pendler. „Das kostenlose Ticket ist nur eine Komponente." Deshalb sei der kostenlose ÖPNV auch nur ein Baustein in der nationalen Mobilitätsstrategie 2025, kurz Modu 2.0 genannt. Demnach sollen in den kommenden fünf Jahren die Fahrgastzahlen bei den Öffentlichen um 20 Prozent steigen.
„In erster Linie eine soziale Maßnahme"
Das 600.000 Einwohner große Land leidet in der Tat unter dem zunehmenden Individualverkehr insbesondere rund um die Hauptstadt Luxemburg sowie im Süden. Hinzu kommen die inzwischen über 200.000 Einpendler aus Frankreich, Belgien und Deutschland, die morgens und abends regelmäßig die Autobahnen verstopfen. Aufgrund der wirtschaftlichen Anziehungskraft des Großherzogtums dürfte diese Zahl weiter zulegen. Dringender Handlungsbedarf also, um die zunehmenden Verkehrsströme künftig besser zu lenken und umzuverteilen. Schwerpunkte der Verkehrspolitik sind neben dem Angebot kostenloser ÖPNV der Ausbau der Tram in Luxemburg mit 388 Millionen Euro bis 2023, Investitionen von 2,2 Milliarden Euro in Eisenbahnschienen und Ausstattung der Züge bis 2023 sowie die Elektrifizierung des Busverkehrs.
Kritiker des kostenlosen ÖPNV halten der Regierung jedoch entgegen, dass der öffentliche Bus- und Bahnverkehr schon heute zu 90 Prozent subventioniert werde. Nach Angaben des Luxemburger Verkehrsministeriums belaufen sich die Subventionen auf rund 490 Millionen Euro pro Jahr. Durch die wegfallenden Einnahmen des Ticketverkaufs müssten rund 40 Millionen Euro pro Jahr aus der Staatskasse zugezahlt werden, also eine Subventionierung einzig und allein durch Steuergelder. „Das Problem sind nicht die Ticketpreise, sondern die mangelnden Verbindungen und schlechte Taktung sowie der hohe Zeitverlust beim Warten auf den Anschluss besonders in ländlichen Regionen. Die Autofahrer vor allem aus diesen Regionen steigen gar nicht um, sie sind auf das Auto angewiesen", sagt die Wissenschaftlerin Constance Carr von der Universität Luxemburg.
Carr beschäftigt sich unter anderem mit der Entwicklung von Smart Cities. Über kostenloses Fahren dürften sich nämlich in erster Linie die Städter freuen, die über ein dichtes Netz des ÖPNV verfügen. Außerdem verdienen die eh schon besser als diejenigen, die außerhalb wohnen und die teuren Mieten in der Stadt nicht mehr zahlen könnten. „Die Bereitstellung günstiger Wohnungen wäre eine bessere soziale Tat."
Keine Kontrollen gleich mehr Vandalismus?
Kritik am kostenlosen ÖPNV kommt auch von den Transportverbänden in Luxemburg. „Dem Vandalismus in den Zügen wird Tür und Tor geöffnet, wenn die Kontrollen wegen Schwarzfahren wegfallen", sagt Mylène Bianchy, Präsidentin der Eisenbahnergewerkschaft Railway Union Syprolux. Die Regierung hält dem entgegen, dass schließlich die Fahrkartenautomaten und deren Wartung künftig wegfallen. Wie das allerdings funktionieren soll, wenn die erste Klasse weiterhin bezahlt werden muss, bleibt unbeantwortet. Entlassen werden solle niemand, sagt Bausch. Fahrkartenkontrolleure würden dann für Infodienste und Sicherheit an Bord benötigt.
Luxemburg macht es vor, wie ein ganzes Land kostenlos mit Bus und Bahn fahren kann, zur Freude der vielen Pendler, die ihr Auto an der Grenze stehen lassen könnten. Ob sie tatsächlich umsteigen, darf bezweifelt werden, denn es mangelt derzeit an ausreichend Parkplätzen, und der Zeitverlust, den Arbeitsplatz zu erreichen, würde sich zusätzlich vergrößern. Hier besteht weiter Handlungsbedarf durch eine bessere Taktung.
Auch Städte in anderen Ländern setzen auf kostenloses oder vergünstigtes Bus- und Bahnfahren. Zum Beispiel Tallin in Estland oder Dünkirchen in Frankreich. In Straßburg kann man sein Auto außerhalb für wenig Geld abstellen und mit dem Parkticket kostenlos die Tram hin und zurück benutzen. Und in Deutschland? Fast überall Fehlanzeige, hier tritt der ÖPNV auf der Stelle: kompliziertes und teures Tarifsystem, zu viele Anbieter, kaum oder unzureichende Verbindungen vom Land in die Stadt. Die Diskussion in Deutschland dreht sich vor allem ums Geld. Dabei experimentieren einige Städte auch in diesem Jahr mit dem kostenlosen öffentlichen Transport: Monheim in Rheinland-Pfalz zum Beispiel ab April, andere setzen lieber auf Kostenfreiheit für einzelne Fahrgastgruppen, für Senioren oder Schüler beispielsweise. Die Angst zum Beispiel vor einer Explosion von Fahrgastzahlen ist hierzulande noch zu groß.