Seit Herbst 2015 hält die sogenannte Sommermärchen-Affäre um Millionen-Schiebereien im Vorfeld der WM-Endrunde 2006 den deutschen Fußball in Atem – bisher nur ohne Ergebnis. Nun stehen wichtige Prozesse an. Die Schlüsselfigur des Skandals bleibt dabei allerdings außen vor.
Fast 14 Jahre liegt die Fußball-WM 2006 in Deutschland schon zurück. Seit dem Herbst 2015 allerdings ist die freudig-glückselige Erinnerung der Fans rund um den Globus an ein wahrhaftiges „Sommermärchen" in einem überraschend weltoffenen Gastgeberland vom Skandal um Millionen-Schiebereien der WM-Macher hinter den Kulissen zumindest getrübt. Monate-, gar jahrelange Bemühungen von Strafverfolgungsbehörden und Privatermittlern um eine Aufklärung der bizarren Affäre mit Deutschlands „Lichtgestalt" Franz Beckenbauer im Mittelpunkt sind bis heute ergebnislos geblieben. Bis heute. Doch in wenigen Wochen sollen Gerichtsprozesse einerseits in Frankfurt und andererseits in der Schweiz Licht in das zwielichtige Dunkel bringen.
Beckenbauer allerdings wird sich in beiden Verfahren trotz eindeutiger Verwicklung in die fragwürdigen Vorgänge von 2005 rund um eine inzwischen schon berühmt-berüchtigte Zahlung mit vorgetäuschtem Verwendungszweck von 6,7 Millionen Euro der WM-Organisatoren des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) an den Weltverband Fifa nicht verantworten müssen. Für den „Kaiser" müssen einstige Vasallen und Helfershelfer geradestehen: Auf den Anklagebänken sitzen nämlich nur die ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach, der frühere DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt und dessen damaliger Fifa-Kollege Urs Linsi. Allen drohen im Falle von Verurteilungen sogar mehrjährige Haftstrafen.
In der Schweiz lauten die Vorwürfe der zuständigen Bundesanwaltschaft (BA) wegen „arglistiger Täuschung" auf „Betrug der Mittäterschaft" gegen Zwanziger, Schmidt und Linsi sowie auf „Beihilfe zum Betrug" gegen Niersbach. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft legt dem illustren Quartett beim Oberlandesgericht „Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall" zur Last. Prognosen für den Verlauf der Prozesse, deren Eröffnungen für das Frühjahr erwartet werden, sind schwer zu stellen. Der Grund: Sinn und Zweck der gesamten Finanzoperation, deren Ursprung heutigen Erkenntnissen zufolge am Anfang der Nullerjahre liegt, sind weiterhin völlig unklar. Weiterhin als Grund in Betracht kommen Schmiergeldzahlungen für den Zuschlag an Deutschland für die Ausrichtung des milliardenschweren Events.
Beckenbauer bleibt wohl außen vor
Aber auch andere Hintergründe sind denkbar: Als eine Variante kursiert zumindest seit längerer Zeit schon, dass Beckenbauer mit dem Geld ins Geschäft um teure Fernsehrechte einsteigen wollte. Doch auch eine persönliche Bereicherung anderer Strippenzieher im durch und durch korrupten Fußball-Business erscheint absolut nicht ausgeschlossen. Womöglich ist allerdings noch eine ganz andere, bislang überhaupt noch nicht in Erwägung gezogene Erklärung des großen Rätsels Lösung, zumal sich die Beschuldigten in den zurückliegenden Jahren teilweise widersprachen und auch gegenseitig bezichtigten.
Klar erscheint momentan nur die Untauglichkeit des ersten offiziellen Erklärungsansatzes: Demnach soll die Überweisung an die Fifa ein Beitrag des WM-Organisationskomitees zu einer vom Weltverband als Turniereröffnung geplanten Gala gewesen sein. Nur fand ein solches Event nie statt und fanden sich bei der Fifa dazu auch keinerlei Unterlagen, zumal Linsi exakt den gleichen Betrag noch am Tag des Zahlungseingangs an den früheren Adidas-Boss Robert Louis-Dreyfus weiterleitete. Der französische Beckenbauer-Vertraute spielt dadurch in den nachgeschobenen Erklärungen der erwischten Geldschieber eine wichtige Rolle: Demnach hat Louis-Dreyfus den Deutschen aufgrund seiner Freundschaft zu Beckenbauer 2002 zehn Millionen Schweizer Franken (umgerechnet eben jene 6,7 Millionen Euro) vorgeschossen, die von den WM-Planern angeblich an die Fifa überwiesen werden mussten, um später von der Fifa wiederum einen sogenannten Organisationszuschuss von 250 Millionen Schweizer Franken zu erhalten. Das Problem auch hier: Unterlagen, die einen solchen Hintergrund belegen, sind allerorten absolute Mangelware. Außerdem mutet zweifelhaft an, dass für einen solchen Deal im Fußball-Schlaraffenland Deutschland ein solcher Betrag nicht auch aus offiziellen Quellen zu erhalten gewesen wäre.
Entsprechend spannend dürften die Vernehmungen in den Gerichtsverfahren werden. Die Aussichten auf Verurteilungen dürften dabei in Frankfurt besser stehen: Da der angegebene Verwendungszweck „WM-Gala" ganz offenkundig eine Luftnummer gewesen ist und der DFB unter den in Personalunionen amtierenden Führungspersonen die Kosten dennoch in seiner Steuererklärung gewinnmindernd als Betriebskosten ansetzte, liegt die Erfüllung des Tatbestands einer Steuerhinterziehung laut Staatsanwaltschaft in einer Höhe von über 13 Millionen Euro zumindest recht nahe. Schwieriger stellt sich die Situation im Schweizer Verfahren dar. Für den angeklagten Betrug sind die Rollen von Täter und Opfer viel zu sehr miteinander verstrickt. Wem ist eigentlich letztlich ein Schaden entstanden? Diese Frage lässt sich voraussichtlich erst durch die dringend benötigte Antwort auf eine noch viel kniffligere Frage beantworten: Wer nämlich hat letzten Endes von dem ganzen Überweisungswirrwarr profitiert? Die Spur des Geldes, die nicht zuletzt über ein privates Beckenbauer-Konto führte, endet in Katar. Ausgerechnet auf dem Konto einer Baufirma (!) des langjährigen Fifa-Schattenmannes Mohamed Bin Hammam, der längst wegen Verstößen gegen den Fifa-Ethikcode, auf Deutsch: wegen Korruption lebenslang für sämtliche Aktivitäten im Fußball gesperrt ist.
Geldflüsse lassen sich nicht belegen
Bin Hammams Beteiligung an dem mysteriösen Geschäft ist das einzige Indiz dafür, dass einerseits Jahre zuvor Stimmen für Deutschland gegen Geldleistungen organisiert worden sein könnten und andererseits die vorgeblichen Hintergründe wie die Mär von der WM-Gala oder von der Vorfinanzierung des 25-fachen Fifa-Zuschusses Nonsens sein dürften. Auf jeden Fall aber lässt die Verwicklung des Scheichs zumindest aber auch erahnen, dass wieder einmal etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist: Sein beharrliches Schweigen zur gesamten Affäre spricht denn auch Bände.
Und Beckenbauer? In der Schweiz ist das Verfahren gegen den einst strahlenden WM-Boss vom Prozess seiner ehemaligen Weggefährten abgetrennt worden. Die BA folgte damit ohne eine unabhängige Prüfung einem Attest von Beckenbauers Ärzten, dass der frühere Weltklassespieler aus gesundheitlichen Gründen nicht an einem Strafprozess teilnehmen könne. In Frankfurt ist Beckenbauer mangels eines offiziellen Amtes in den DFB-Strukturen nicht zu belangen. Gut möglich also, dass der „Kaiser" sein mutmaßliches Herrschaftswissen über die fragwürdigen Vorgänge in seinem unmittelbaren Einflussbereich vor dem „Sommermärchen" auf ewig für sich behält. Richtig teuer ist der Skandal aber schon für den DFB geworden. Bisher hat der größte Einzelsportverband infolge Korrekturen von Steuerbescheiden für 2006 aufgrund der Enthüllungen um die Millionen-Zahlungen Steuern in Höhe von über 22 Millionen Euro nachzahlen müssen. Notwendige Rechtsberatungskosten stehen in den DFB-Bilanzen mit über sieben Millionen Euro zu Buche.
DFB musste 22 Millionen Euro nachzahlen
Kaum verwunderlich, dass der Verband den bald beginnenden Prozessen mit großem Interesse entgegenblickt. Allein aus seiner satzungsgemäßen Verpflichtung gegenüber seinen Mitgliedern wäre der DFB, der im Schweizer Verfahren gegen Zwanziger und Co. sogar als Privatkläger auftreten wird, für den Fall von Schuldsprüchen gegen seine ehemaligen Bosse zur Erhebung von Schadenersatzansprüchen gezwungen: „Sollte der DFB durch schuldhafte Verhalten der Beschuldigten Vermögensschäden erlitten haben", schreibt der Verband auf seiner Homepage, „so ist er rechtlich verpflichtet, mögliche Ersatzansprüche zu prüfen und durchzusetzen."