Luca Biwer war begeisterter Mountainbiker, galt als großes Talent, bis er sich bei einem Sturz im Jahr 2017 schwer verletzte. Seither sitzt er querschnittsgelähmt im Rollstuhl. Die große Unterstützung, die er erfuhr, will er nun mit einem neuen Verein an andere Betroffene weitergeben.
Wenn man sich mit Luca Biwer unterhält, fällt auffällig oft das Wort „Spaß". Dabei könnte jemand, der den 25-Jährigen aus Gerlfangen nicht besser kennt, durchaus nachvollziehen, wenn er den Spaß am Leben verloren hätte. Seit einem Sportunfall am 17. Juni 2017 ist das frühere Mountainbike-Talent nämlich querschnittsgelähmt und hochgradig pflegebedürftig. Eine Horrorvorstellung für jeden bewegungsfreudigen, den Sport liebenden Menschen. Das Leben, das er zuvor in allen Zügen genoss, war im Bruchteil einer Sekunde auf den Kopf gestellt. „Man muss halt das Beste daraus machen. So ein Unfall kann immer passieren. Es ist einfach doof gelaufen, daher mache ich mir keine Vorwürfe", sagt Luca Biwer und ergänzt mit einem schelmischen Grinsen: „Wenn ich wieder Fahrrad fahren könnte, säße ich in der ersten Minute schon wieder im Sattel. Die Leidenschaft hat man halt, und die bleibt auch." Pflegekräfte und Ärzte bescheinigten dem jungen Mann, sich „außergewöhnlich schnell und gut" mit dem tragischen Unfall und seiner neuen Situation abgefunden zu haben. Dass ihm dies gelang und dass er sogleich voller Tatendrang neue Aufgaben anging, war nur durch die große Unterstützung seiner Familie und Freunde möglich. Sie organisierten sich in der Initiative „Bewegung für Luca" und sammelten das unter anderem für behindertengerechte Umbaumaßnahmen nötige Geld. Auch den Vereinen, die ihn in bemerkenswerter Art und Weise unterstützt haben, ist Biwer sehr dankbar und nennt neben Bike Aid und dem LC Rehlingen auch seinen Heimatverein GBC Nippelspanner, dessen 1. Vorsitzender er ist. „So eine Hilfe überhaupt annehmen zu müssen, ist nicht gerade angenehm", gibt Biwer zu und ergänzt: „Aber es ging nicht anders." Was sich aus dem sozialen Engagement vieler Leute entwickelte, beeindruckte ihn nachhaltig. „Man meckert heutzutage so viel über die Gesellschaft. Aber dass viele Menschen mobilisiert werden konnten, ist schon Wahnsinn", beschreibt er die noch immer anhaltende Bewunderung. Seine Konsequenz: Er drehte den Spieß um: „Für mich war noch im Krankenhaus klar, dass ich, sobald meine Situation geklärt ist und alles in geordneten Bahnen läuft, etwas zurückgeben will."
Situation gut angenommen
Und so gründete Biwer am 21. Oktober 2019 im Haus der Leichtathletik in Rehlingen den Verein „Lucas Bewegung", der anderen verunglückten Sportlerinnen und Sportlern helfen soll. Finanziell, aber vor allem durch die Weitergabe wertvoller Erfahrungen. „Oft kann man den Leuten, denen so etwas passiert, schon weiterhelfen, indem man mit ihnen spricht, Therapeuten oder Krankenhäuser empfiehlt und solche Dinge", sagt Biwer. Vereinsmitglieder, zu denen auch Therapeuten und Ärzte gehören, helfen auch bei vermeintlich banalen Dingen wie dem Ausfüllen von Formularen und Anträgen, der Kommunikation mit Krankenkassen und vielem mehr. „Mit so etwas muss man sich rumschlagen in einer Zeit, in der man ja schon von der neuen Situation an sich überfordert ist und noch gar nicht dazu in der Lage ist, sich darum zu kümmern", weiß er und erinnert sich noch zu gut an die ersten Tage und Wochen nach seinem Unfall: „Ich musste bei Null anfangen, aber ich hatte so eine tolle Unterstützung von meiner Familie, meiner Freundin, dem ganzen Freundeskreis auch aus dem Sport, was mir vieles vereinfacht hat. Das ist in dem Maße nicht selbstverständlich", sagt er.
Fast schon selbstverständlich ist für das frühere Mountainbike-Talent die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwird. Die Beachtung der Medien kennt er noch aus seiner aktiven Zeit, als er schon hie und da Interviews gegeben hatte. Nun will er seine Bekanntheit dafür nutzen, anderen zu helfen: „Wenn man sich daran gewöhnt hat und die Aufregung nicht mehr so groß ist, fängt es irgendwann auch an, Spaß zu machen", sagt er. Trotzdem musste er zunächst über seinen Schatten springen – beziehungsweise fahren. Nicht jeder Rollstuhlfahrer ist eine Rampensau.
Die Erfahrungen der vergangenen zweieinhalb Jahre haben ihn als Persönlichkeit schnell reifen lassen. „Man bekommt einfach einen anderen Blick auf das Leben. Wenn man sich dann anhört, über was manche Leute meckern, denkt man sich schon mal: Na ja, wenn es nur das wäre, wäre eigentlich alles gut", beschreibt Biwer die ersten Eindrücke aus Sicht eines Schwerbehinderten. „Viele denken, dass das Leben vorbei wäre und dass man keinen Spaß mehr haben kann. Aber das ist nicht so. Man muss nur das Beste daraus machen, dann kann man genauso viel Spaß haben wie vorher", appelliert er und stellt klar: „Das Leben ist immer noch schön, nur halt anders."
Trotz der körperlichen Beeinträchtigung schloss er seine Ausbildung zum Industriemechaniker bei der Dillinger Hütte erfolgreich ab. „Dafür braucht man ja eigentlich zwei gesunde Hände. Aber ich habe meine Arbeit mit Hilfe eines 3D-Druckers gemacht", verrät Biwer, der mittlerweile an der HTW Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Die 3D-Drucktechnik hat ihn auf Anhieb so sehr fasziniert, dass er damit seine eigenen Hilfsmittel herstellt. Beispielsweise eine Vorrichtung, die es ermöglicht, sein Handy am Rollstuhl zu befestigen. „Im Sanitätshaus kostet sowas gefühlt 5.000 Euro, passt nicht richtig und sieht auch noch scheiße aus", sagt er lachend. Dabei ist das Handy sehr wichtig für ihn. Wie auch den Computer kann Biwer es mit Hilfe der noch beweglichen rechten Schulter bedienen, mit der er die am Rollstuhl-Joystick befestigte Hand vor- oder zurückschiebt. Schneller geht es jedoch mit der sogenannten Mund-Maus, einem Joystick, der mit den Lippen bewegt wird und mit dem Biwer durch Saugen (rechte Maustaste) oder Pusten (linke Taste) „klicken" kann.
„Der Ehrgeiz des Sportlers bleibt"
E-Mails und Handynachrichten schreibt er mit Hilfe der Spracheingabe. Mittlerweile hat der 25-Jährige schon etwa 30 kleine Alltagshelfer entwickelt und ausgedruckt. Gerade feilt er an einem Kaffee-Roboter, der ihm das Kaffeekochen ohne fremde Hilfe ermöglichen soll. Er hat sogar schon Druckaufträge aus Krankenhäusern erhalten. Das Ziel, später einmal beruflich im weiten Feld der Digitalisierung zu arbeiten, erklärt sich fast von selbst.
Nur auf seine technische „Helferlein" will sich Luca Biwer aber nicht verlassen. Mehrmals pro Woche absolviert er in der Physio- und Ergotherapie Übungen, die ihm beispielsweise das Essen mit einer speziellen Gabel ermöglichen sollen. „Der Ehrgeiz des Sportlers bleibt", verrät er und findet: „Alles, was man selbst machen kann, sollte man unbedingt selbst machen. Das macht Spaß. Auch, wenn ich beim Essen mit der Gabel mehr Kalorien verbrauche als ich damit zu mir nehme." Biwer hofft zwar nach wie vor, dass sich sein Zustand noch einmal verbessern wird, aber er weiß auch: „Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sich nicht mehr viel ändern." So bitter diese Feststellung für den lebenslustigen und sportbegeisterten jungen Mann ist, so erstaunlich reif geht er mit dieser Gewissheit um. Er macht halt wirklich das Beste daraus.