In der Wiener Hofburg begab sich Autorin Michaela Auinger auf die Spur von Kaiserin Elisabeth von Österreich und besuchte das Sisi Museum und die Kaiserappartements. Teil 2 einer Serie.
Im April 1854 bezieht die 16-jährige Sisi Appartements in der Wiener Hofburg. Das Mädchen, aufgewachsen in München und Possenhofen als Herzogin in Bayern, hatte eine unbeschwerte Kindheit erlebt. Dass sie dereinst als schönste Monarchin Europas gelten und heute Tausende Besucher in die Hofburg locken würde, war ihr nicht an der Wiege gesungen.
Den sechs Schauräumen des Sisi Museums schließen sich die Kaiserappartements, die Amts- und Wohnräume von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth unmittelbar an. Kommt man an diesem Ort den historischen Persönlichkeiten nahe? Erhält der Besucher Einblick in das Familienleben der Habsburger?
Bevor Elisabeths Privatappartement erreicht wird, betritt man die Amts- und Wohnräume von Kaiser Franz Joseph, zuerst den Audienzwartesaal und das Audienzzimmer. Jeder Untertan des Vielvölkerreichs hatte das Recht, den Kaiser bei einem persönlichen Termin zu sprechen – dies trug zur Beliebtheit des Kaisers bei. Zweimal pro Woche hielt der Kaiser Audienzen. Auf dem Stehpult befindet sich eine Audienzliste, darauf vermerkt Name und Anliegen des Vorsprechenden. Auch wollte der Kaiser wissen, woher der Besucher kam, ob aus Böhmen, Italien, Dalmatien oder der Bukowina. Waren ihm doch alle Sprachen seiner Untertanen geläufig. Zur Audienz erschienen die Herren im Frack, Militärs in Uniform, Damen im Kleid mit Hut, auch die Nationaltracht war erlaubt. Die Beendigung der Audienz deutete der Kaiser mit einem Nicken an.
Weiß und pastellfarbenes Blaugrau dominieren im Konferenzraum – eine angenehme Atmosphäre. Im Zentrum ein Tisch umstellt von gepolsterten Stühlen mit breiter Rückenlehne. Wer nur mal schauen möchte, wie Kaisers regiert und gewohnt haben, dem mögen die Texte bei einer Führung oder vom Audioguide ausreichen: „In diesem Raum fanden die Ministerkonferenzen statt." Dürftiger könnte die Ansage kaum sein. Insbesondere heutzutage, wo wir erkennen, dass Demokratie kein Selbstläufer ist, gälte es, deutlich zu machen, aus welcher Regierungsform heraus sich die parlamentarische Demokratie entwickelt hat. Das Kaisertum von Gottes Gnaden? Die politische Situation im Vielvölkerreich Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts? An diesem Ort wird eine Chance vertan, deutlich zu machen, dass die Gegenwart auf Geschichte gründet. Wir sollten lernen, um zu wissen, was vor uns war.
Vor uns war: ein absolutistischer Herrscher, der ohne Parlament und ohne Verfassung regierte. Kaiser Franz Joseph war oberster Kriegsherr. Die Länder wurden durch Militär und Polizeigewalt zusammengehalten. Die Minister hatten keine Verantwortung, sie fungierten als Berater. Die einflussreichste Beraterin Kaiser Franz Josephs war seine Mutter. Nicht von ungefähr ist die Büste der „heimlichen Kaiserin" Erzherzogin Sophie im Konferenzraum aufgestellt. Ausgerechnet im Revolutionsjahr 1848 bestieg der 18-jährige Kaiser Franz Joseph I. den Thron. Seine Mutter hatte ihren Gatten Franz Carl dazu gebracht, auf den Thron zu verzichten – Kaiser Franz Joseph erwies der Mutter ein Leben lang seine Dankbarkeit dafür.
Nickte der Kaiser, war die Audienz beendet
Für die Monarchie entpuppte sich Sophie, eine Schwester von Ludovika, der Mutter von Sisi, als Glücksfall. Sie bekam vier Söhne und verstand ihre Rolle zu nutzen. Zwar gab es Unstimmigkeiten zwischen Sisi und der Schwiegermutter, aber die 2016 verstorbene Historikerin Brigitte Hamann, die deren Briefe studierte, fand keine bösen Äußerungen über die Schwiegertochter. Die Biografie „Elisabeth – Kaiserin wider Willen" ist Pflichtlektüre für Sisi-Fans. Hamanns Beurteilung der Kaiserin Elisabeth ist harsch. Dass Sisi ihre Rolle als Monarchin nicht annehmen wollte, oder finden konnte, mag ich nicht kritisieren. Hamann zitiert Sisi aus dem Tagebuch der Erzherzogin Marie Valerie von 1889: „Die Ehe ist eine widersinnige Einrichtung. Als fünfzehnjähriges Kind wird man verkauft und tut einen Schwur, den man nicht versteht und dann 30 Jahre oder länger bereut und nicht mehr lösen kann." Die Ehe mit einem Kaiser, das Leben als Monarchin – muss man Hoffnungen, die andere hegen, erfüllen wollen? Es macht einen Unterschied, ob jemand nach einem Amt strebt oder ihm dieses zufällt. Die junge Sisi stand am Wiener Hof unter Druck – Zeremoniell und Protokoll regierten. Mit der Geburt des Thronfolgers Ferdinand war sie einer Pflicht nachgekommen und begann zunehmend ihren Interessen nachzugehen.
Die „Engels-Sisi", wie Franz Joseph seine Frau nannte, hatte der Kaiser tagtäglich, auch wenn sie monatelang auf Reisen, fern dem Wiener Hof war, vor Augen. In seinem Arbeitszimmer dominieren zwei Porträts. Diese Gemälde von Winterhalter waren privat für den Kaiser bestimmt, nie wären sie an die Öffentlichkeit gelangt. Sein Lieblingsbild hängt direkt über seinem Schreibtisch und zeigt Elisabeth mit offenem vor der Brust verschlungenem Haar. Sisis Ururenkel Leopold Altenburg mutmaßt in einer Fernsehdokumentation: „Es war wahrscheinlich einfach, sie zu lieben, aber schwer, mit ihr auszukommen."
Wollte der Kaiser seine Frau sehen, musste er vor ihrem Appartement klingeln. Der Klingelknopf ist ein bisschen versteckt, nicht frei sichtbar, am besten fragt beziehungsweise sucht man im Kleinen Salon, dem Gedenkzimmer, das für Kaiser Maximilian von Mexiko eingerichtet wurde, danach. Wenn man sich im Wohn- und Schlafzimmer der Kaiserin Elisabeth umschaut, dann bemerkt man die Grünpflanzen. Sie sind nicht zur Dekoration platziert, sondern, weil sich Elisabeth tatsächlich mit Pflanzen, auch exotischen, zu Hause umgab. Das Wohn- und Schlafzimmer ist in den Farben Rot-Weiß-Gold gehalten und mit zwei Öfen und einem Kamin ausgestattet. Heizbar auf 18 Grad war dieser Raum der wärmste in der Wiener Hofburg. Elisabeths Bett steht in der Mitte des Raumes. Sie schlief in einem zusammenklappbaren Eisenbett ohne Polster (österreichische Bezeichnung für Kissen). Die Möblierung wurde rekonstruiert. Aus dem Besitz der Kaiserin stammen ein kleiner Schreibtisch mit Sessel und der Altar aus Carraramarmor. Im Toiletten- und Turnzimmer sind Ringe im Türrahmen montiert. Die Sprossenwand und das Reck beweisen, dass die Kaiserin an ihrer Fitness arbeitete. Kaiserin Elisabeth war eine hervorragende Reiterin, die sich mit männlichen Reitern gerne maß. Ihre Leistungen hätte sie ohne Training wohl kaum erreichen können. Das Schlanksein war damals kein Schönheitsideal – dünn waren die Armen, weil sie hungerten.
Sisi umgab sich mit Grünpflanzen
Elisabeths Schönheit war nicht nur ein Geschenk der Natur. Sie arbeitete daran und war bestrebt, die Zeichen von Alterung abzuwehren. Gleichwohl verwendete sie nie Schminke, sondern ausschließlich Naturprodukte.
Ein wahrer Kult wurde um ihr Haar inszeniert. Die Friseurin des Wiener Burgtheaters befasste sich mindestens zwei Stunden täglich mit der Haarflut. Die Zeit nutzte die Kaiserin, um Griechisch zu lernen. Constantin Christomanos, der Griechischlehrer, beschreibt dieses Ritual und seine Gespräche mit Elisabeth in dem Erinnerungsbuch „Tagebuchblätter". Kurz nach ihrem Tod 1898 erschienen, erkannte „Die Münchner Allgemeine Zeitung": „ein völlig neues Bild der vielfach verkannten unglücklichen Fürstin".
Was dem Kaiser zu teuer war – er mied Luxus – war für die Kaiserin gerade gut genug. Der Einbau eines Badezimmers war mit horrenden Kosten verbunden. Während der Kaiser sich mit einer Kautschukbadewanne begnügte, die in seinem Schlafzimmer morgens aufgestellt wurde, ließ Elisabeth 1878 als erstes Mitglied der kaiserlichen Familie ein Wasserklosett aus bemaltem Porzellan und eine Badewanne mit Armaturen installieren. Wie dinierte man beim Kaiser? Den Abschluss der Besichtigung bildet der Speisesaal mit einer gedeckten Tafel, die mit vergoldeten Tischaufsätzen, und reich geschmückt, imponiert. Einmal in der Woche, sonntags, wünschte der Kaiser, seine Familienmitglieder vollständig an der Tafel zu sehen. Der Kaiser saß in der Mitte. Waren Gäste anwesend, saß der Ehrengast gegenüber. Damen und Herren waren abwechselnd platziert. Sprechen war nur mit dem Tischnachbarn gestattet. Das Dinner folgte einem Zeremoniell, bestand aus neun bis 13 Gängen und dauert bei reibungslos verlaufendem Service 45 Minuten. Beachtenswert sind die kunstvoll drapierten Damastservietten. Die Faltung ist bis heute ein gehütetes Geheimnis und nirgendwo schriftlich hinterlegt. Einzig zwei Damen der wissenschaftlichen Abteilung wissen, wie die Kaiserserviette zu falten ist. Richtet die Republik Österreich ein Staatsbankett mit gekrönten Häuptern und Präsidenten aus, dann walten diese Geheimnisträgerinnen bei geschlossenen Türflügeln ihres Amtes. Entsteht etwas Schönes wie dieses Stoffkunstwerk, darf sich selbst eine moderne Republik eine Anleihe aus der Monarchie erlauben.
Zeremoniell regelte das Diner
Schauen Sie: Dort sitzt Sisi, entfaltet an der Tafel ihre Serviette, wendet sich dem Nachbarn zu und spricht mit sibyllinischem Lächeln (Zitat von Cristomanos überliefert): „Mich kann man nie beeinflussen, weder zum Guten noch zum Bösen, denn ich überlasse alles meinen innerlichen Stimmen und dem Schicksal."