In der neuen „Markthallen Bar" in der Moabiter Arminiushalle kommen internationale Kleinigkeiten auf die Teller, osteuropäische Weine und Cocktails in die Gläser. Mit Chef Vladimir Kosic steht zudem ein Fisch-Kenner am Tresen und am Grill.
Die Arminiushalle in Moabit hat einen neuen Treffpunkt – die „Markthallen Bar". Gefühlt mittendrin, de facto aber gleich neben dem Eingang Bugenhagenstraße, werden Weine ausgeschenkt, Cocktails gemixt, Tapas und einige Hauptgerichte serviert. Die Tendenz geht durchaus zu Fisch und Meeresgetier. Das hat mit Chef Vladimir Kosic zu tun: Er betrieb bis vor Kurzem sein Fischrestaurant „Lesendro" in Prenzlauer Berg, konzentriert sich nun aber vollends auf die Ende November 2019 mit neuem Schwerpunkt wiedereröffnete „Markthallen Bar" in Moabit.
An den Holztischen auf der „Sitzinsel" auf einem Podest und in direkter Nachbarschaft vom Pizza- und dem französischen Weinstand „Tastavin" lässt es sich unkompliziert sitzen, reden, trinken und essen. Das erleben wir auf der Tapas-Seite sofort bei einem Oktopus-Carpaccio und Jakobsmuscheln in eigener Schale. Der sardische Feinschmeckerfotograf gabelt das Carpaccio so fix weg, dass ich gar nicht dazu komme, auch nur einen Anstandshappen zu probieren. Als Küstenkind ging er früher selbst mit seinem Vater Oktopusse und Fisch fangen, ein Hobby, das er mit Vladimir Kosic teilt. Ich sehe den internationalen „Njam"-Kringel aus Zeigefinger und Daumen vorm Fotografenmund entstehen.
Bei den Jakobsmuscheln habe ich aufgepasst und mir selbst rechtzeitig eine gegriffen. Ich zerstöre das Schmetterlingsarrangement aus Muschelschalen und träufel Zitronensaft über das Fleisch – ein schlichtes, kleines, feines und frisches Vergnügen. „Das Meer ist mein Leben, und Fisch ist mein Leben", sagt Kosic, der aus Montenegro stammt, über sich. „Ich habe schon immer für meine Freunde gekocht. Ich mache in meinen Restaurants im Grunde nichts anderes." So verwundert es nicht, dass seine Partnerin Cathleen Potter, vormals Bahn-Managerin in Belgrad, ihn beim Besuch seines dortigen Restaurants kennenlernte und die Liebe der beiden zueinander unter anderem sprichwörtlich durch den Magen ging.
Meine Begleiterin bleibt auf der vegetarischen und fleischlichen Seite der Tapas. Fisch ist nicht ihr Ding. Sie kommt dennoch nicht zu kurz. Wir machen einen Abstecher ans westliche Mittelmeer, ins Tapas-Heimatland Spanien. Spinat-Käse-Kroketten werden auf einer leuchtend grünen Platte serviert. Sie sind knusprig, in nicht zu dünner Hülle, sodass sie selbst während des ausgiebigen Fotografierens nicht schlappmachen. Das cruncht von außen und schlotzt im Inneren – genau so und nicht anders müssen die spanischen Klassiker sein.
Kleine Hacksteaks vom Grill kommen dagegen im Verbund mit einem Schälchen Ajvar und rohen Zwiebelstückchen zu uns. Oh, sollte ich vielleicht von Cevapcici sprechen? Immerhin ähneln sie – wenngleich in Bulettenform optisch nicht ganz – den serbischen Kollegen. „Nein, das sind keine Cevapcici, die werden nur mit Salz gewürzt. In die Hacksteaks kommen auch Zwiebeln, Petersilie, Knoblauch, Pfeffer und Chili", erklärt Cathleen Potter. Sie betreibt das Restaurant „Šljiva" zwei, drei „Straßen" weiter hinten und weiß, wie Balkan-Küche funktioniert. Sie springt derzeit zwischen beiden Lokalen hin und her, um hier oder da zu kochen und in der Anlaufphase der Bar dort anzupacken, wo es nötig ist.
Ganze Fische gibt’s nur auf Voranmeldung
„Die ‚Markthallen Bar‘ und das ‚Šljiva‘ sind zwei unterschiedliche Konzepte", sagt sie. Das stimmt. Im „Šljiva" kocht Cathleen Potter vollgültige serbisch-mediterrane Gerichte, die sie gern auf neuzeitliche Art interpretiert. Die Bar ist mit ihrem Tapas-Konzept dagegen internationaler ausgerichtet. Dennoch zieht Vladimir Kosic mit seiner Küche nun so manche Gäste aus dem „Lesendro" nach Moabit. Eines ist in der „Markthallen Bar" allerdings anders: „Ganze Fische grille ich nur nach Voranmeldung." Zackenbarsch, Dorade oder Seebarsch kommen nach Anruf am Vortag morgens frisch vom Großmarkt, abends dann gleich auf den Grill und Teller. Anders als im „Lesendro" gibt es in der Bar nun auch Fleisch: Rindersteak, Tatar, Lamm aus dem Ofen und Schweinefilet-Medaillons etwa.
Letztere werden in der Tapas-Abteilung schön gebraten und mit ein paar Scheiben gehobeltem Parmesan bedeckt. Das Fleisch ist butterweich, aromatisch und mit Extra-Käseflair. Mehr braucht es nicht für die kleine Fleischeslust. Dazu das eine oder andere Glas vom schmelzigen, leichten 2016er Dr. Heigel Weißburgunder mit frischen Apfel- und Birnennoten. Das ist unkompliziert, und genau so soll es sein. „Ich mache Essen ohne Chichi", sagt Kosic. „Pur, einfach mit gutem Meersalz und Pfeffer, Zitrone, Olivenöl und fertig."
Nach etlichen Jahren in seinem Restaurant „Konobica" in Belgrad und sechs Jahren „Lesendro" am Kollwitzplatz möchte die Begleiterin wissen, ob es einen „Signature Dish" von ihm gibt. „Oktopus in jeder Form", antwortet Kosic. Die Montenegrinische Meeresfrüchte-Platte sei ebenso charakteristisch. Hui, wenn dieser Teller mit Riesengarnelen, Miesmuscheln, Riesengarnelen, gegrillten Calamari und Oktopussalat für eine Person gedacht ist, sollte die ordentlich Appetit mitbringen! Wir finden kaum die Paprika, Zucchini und Kartoffelscheiben darin, die sich unter Garnelen und Calamari verstecken. Die Meeresgetier-Platte gibt’s in der Ein-Personen-Variante für 28 Euro oder für zwei Personen für 55 Euro. Sie ist das teuerste Gericht auf der Karte. Ein mehrere Stunden im Ofen geschmortes Lamm mit Rosmarinkartoffeln etwa kostet 18 Euro. Die Tapas liegen im Bereich von fünf bis zwölf Euro.
Zu den beiden Hauptgerichten sind wir beim Wein auf einen „Bakatorange" von Oszkar Maurer aus Serbien umgestiegen. Wie es der Name des 2017er verspricht, ist er „orange" gekeltert. Die Schalen der hellen Trauben werden mit vergoren und geben so mehr Tannine und Farbe an den Wein ab. Apfel, Birne und ein wenig Mineral kommen sehr gefällig zum Zuge. Obwohl ein wenig Sulfit zugegeben wurde, darf der apricotfarbene Weiße als Natural Wine durchgehen. Er ist ein echter Anfänger-Wein, der im Orange-Bereich auf Sperrigkeit verzichtet und bekannte Aromen spüren lässt. So macht selbst mir Orange-Skeptikerin das „Militärbegräbnis" richtig Spaß! „Bakator" bedeutet wörtlich übersetzt „Soldatenbegräbnis". Der ungarische Wein wurde einst zu derartigen Anlässen getrunken, verschwand aber bei den Weintrinkern in der Versenkung, aus der ihn Oszkar Maurer vor einigen Jahren wieder herausholte.
Neben den „normalen" slowenischen, serbischen, kroatischen und georgischen Weinen wollen Cathleen Potter und Vladimir Kosic in der „Markthallen Bar" das Orange- und Natural-Wine-Segment weiter ausbauen. Die Weine sind überdies sehr fair kalkuliert: Ein 0,2er-Glas kostet ab 4,50 Euro; eine Flasche zwischen 20 und 33 Euro. Der „Bakatorange" hätte es für mein Empfinden schon mit den Gemüse-Tapas gut gehabt: der angeknofelten, eingelegten roten Spitzpaprika etwa. Oder dem Rote-Bete-Carpaccio mit Ziegenkäse. Wehte mich da nicht auch ein Knoblauch-Hauch von den Mangold-Kartoffeln an? „Ja. Diese Marinade aus Olivenöl, Knoblauch und Petersilie kommt an vieles", sagt Cathleen Potter.
Flüssiges „Militärbegräbnis" in Ungarn wiederentdeckt
In der Dessertabteilung haben strenge Kräutlein und Aromen dann allerdings nichts zu suchen. Zum Ausklang wird’s so richtig spanisch. Małgorzata Gorbaczewska-Szczukowska, die gute Seele im Service, serviert mit Schwung einen Teller Churros und Schokolade. Sie sind deutlich besser als das spanische Original: Die ausgebackenen Brandteig-Streifen sind kross, aber keineswegs tropfend-fettig. Zucker, Zimt und Vanille machen die Churros pur zu einem feinen Genuss. Für meinen Geschmack braucht es nicht einmal das Tässchen heiße Schokolade zum Tunken dazu.
Zum Abschluss wollen wir noch die Drinks probieren. Cathleen Potter ließ sich unlängst an der „European Bartender School" ausbilden. „Wir mussten 78 Rezepte lernen, hatten jeden Tag theoretische und praktische Prüfungen." Die Freundin wählt einen klassischen Negroni aus Gin, rotem Wermut und Campari. Er ist gebührend bitter, Digestif konform und gefällt ihr. Ich hab’s lieber flauschiger und möchte einen, nun ja, „Screaming Orgasm". Der kommt weich und geschmeidig mit Wodka, Kahlua, Amaretto, Baileys und Milch auf Eis daher. Aber mir ist nach einem harmonischen Abend voller Fisches- und Fleischeslust ohnehin eher nach wohligem Seufzen und Absacken als nach schreiender Ekstase zumute. So passt das alles schon.