Torwarttalent Alexander Nübel wechselt ablösefrei zum FC Bayern München und tritt mit Manuel Neuer in Konkurrenz. Verständnis für diesen Wechsel haben wenige. Die Vergangenheit zeigt: Duelle auf Augenhöhe sind auf dieser Position schwierig.
Bei einem genauen Blick in die Vergangenheit wird schnell klar: Treten auf der Position des Torhüters zwei Kontrahenten auf Augenhöhe an, schafft das meist nur Probleme.
Dabei muss es nicht gleich zur handfesten Auseinandersetzung kommen wie in der Saison 1987/88, als sich der Zwist zwischen dem damaligen Talent Raimond Aumann und dem belgischen Nationalkeeper Jean-Marie Pfaff zu einem ausgewachsenen Torwart-Streit hochkochte. Ähnliches Potenzial birgt diese Situation aber allemal. Platzhirsch und Welttorhüter Pfaff hatte sich schon länger gegen seinen Widersacher gewehrt, vor allem verbal in der Öffentlichkeit. Als er nach einer Verletzungspause von Trainer Udo Lattek auf die Bank gesetzt wurde, äußerte er sich in einem Interview: „Es gibt viele Maiers, aber nur einen Sepp Maier. Es gibt auch viele Pfaffen, aber nur einen Jean-Marie." Lattek blieb aber bei seiner Meinung – zumindest vorerst. Schlussendlich konnte Pfaff den Konkurrenzkampf aber doch noch für sich entscheiden. Zwei Jahre danach hatte Aumann aber genug von seinem Bankplatz. Nach einem Patzer im Training rief er Pfaff zu: „Wirst alt, Jean-Marie!" Eine verbale Reaktion blieb aus, Pfaff ließ die Fäuste sprechen. Im Nachgang bestritt Pfaff diese Auseinandersetzung: „Wenn ich schon hinlange, dann landet der andere im Krankenhaus!" Und trotzdem war der Belgier am Ende der Verlierer und sollte die Bayern verlassen. Doch er weigerte sich und fand die Art und Weise des Abschieds nicht richtig: „Einen Welttorwart wie Jean-Marie kann man nicht von heute auf morgen abservieren. Innen ist alles zerstört. Ich bin ein gebrochener Mann." Das war den Bayern aber egal, sie hatten mit Aumann einen Nachfolger, der über Jahre unangetastet blieb. Bis die Münchner zur Spielzeit 1994/1995 einen gewissen Oliver Kahn aus Karlsruhe verpflichteten. Aumann tat damals wohl das einzig Richtige, ging einem Konkurrenzkampf aus dem Weg und flüchtete in die Türkei zu Besiktas Istanbul. Dort holte er 1995 unter Trainer Christoph Daum sogar noch einmal den Meistertitel.
Duelle haben Tradition bei den Bayern
Dass die Bayern die Torwart-Frage nach der erfolgreichen Ära Manuel Neuer frühzeitig angehen wollen, ist verständlich. Ursprung dessen ist aber ein Fehler der jüngeren Vergangenheit: das Ende der Laufbahn Kahns. Frühzeitig hatten die Verantwortlichen sich damals festgelegt, dass Michael Rensing der geeignete Nachfolger sei. Nur um sich dann äußerst zögerlich doch noch einzugestehen, dass der Mann aus den eigenen Reihen nicht dem Format entspricht, das den bayrischen Ansprüchen auf dieser Position gerecht wird. Aus diesem Fehler wollte der FC Bayern nun wohl seine Schlüsse ziehen. Doch dass der verständliche Drang, die Torwart-Frage offensiv und selbstbestimmt in die Hand zu nehmen, in der nächsten Saison zu dieser gewagten Konstellation führt, scheint auf den ersten Blick an allen Ecken und Kanten zu kurz gedacht.
Denn in der kommenden Saison soll Alexander Nübel bis zu 15 Spiele machen – angeblich ein Versprechen der Bayern. Gerüchten zufolge soll Manuel Neuer dazu sein „Okay" gegeben haben. In Katar, wo der Rekordmeister zum Trainingslager verweilt, hörte sich das aber anders an, denn Neuer sagte zum künftigen Duell: „Ich bin Sportler, ich bin Profi. Ich bin kein Statist, sondern Protagonist und möchte immer spielen." Und er sagte auch, etwas irritiert und offenbar arg verärgert über Sportchef Hasan Salihamidzic: „Über Gespräche hinter verschlossenen Türen – und wenn Brazzo und ich nur alleine saßen – sollte man nichts sagen. Bei mir kommt nichts raus. Alle anderen sollen machen, was sie wollen." Aktuell sei es aber so, dass man noch „nicht darüber gesprochen hat, wer welche Spiele bekommt". Zum bereits zweiten Mal binnen kurzer Zeit setzte der 33-Jährige damit ein klares Statement gegen einen ambitionierten Herausforderer. Mitte September war der offene oder nicht ganz so offene Kampf um den Stammplatz im Tor der DFB-Elf kurzfristig eskaliert, nachdem Barcelonas Marc-André ter Stegen seine Unzufriedenheit über die Reservistenrolle öffentlich und deutlich geäußert hatte. Wie schon für ihn findet Neuer auch nun für Nübel ein eher relativierendes Lob mit klarer Macht-Ansage: „Er ist ein Top-Torwart, dem vielleicht auch irgendwann die Zukunft gehört." Mehr Konjunktiv geht nicht – und mehr Anspruch auf den Erhalt des eigenen Stammplatzes auch nicht. Dabei denkt Neuer scheinbar nicht nur kurzfristig, denn sein 2021 auslaufender Vertrag könnte um zwei weitere Jahre verlängert werden. Der frühere Weltmeister und langjährige BVB-Keeper Roman Weidenfeller sieht die Einsatzchancen von Alexander Nübel beim FC Bayern München auch aus eigener Erfahrung mit Manuel Neuer daher skeptisch.
„Es ist eine absolut mutige Entscheidung von Nübel. Er ist ein sehr talentierter Torwart, gar keine Frage", sagte der 39-Jährige der Nachrichtenagentur dpa. „Ich weiß aus eigener Erkenntnis, dass Manuel nicht gerne aus dem Tor herausgeht. Manuel ist wieder in Topform und ein absoluter Weltklassetorhüter. Insofern bin ich gespannt, wie die Konstellation ablaufen wird." Hinter Neuer hatte Weidenfeller bei der WM 2014 in Brasilien ohne Einsatz den Titel gewonnen. Den Münchnern könnten interne Spannungen drohen, weil Stammkeeper und Nationalspieler Manuel Neuer (33) zuletzt deutlich gemacht hat, dass er immer jede Partie bestreiten und auf keinen Einsatz verzichten wolle.
Nachfolge von Neuer soll frühzeitig angegangen werden
Der 23 Jahre alte Nübel wechselt kommende Saison vom FC Schalke 04 zu den Bayern. Für Nübel könnte dies ein echtes Problem werden. Seine Berater und er hatten wohl geglaubt, mit der Neuer-Nachfolge in München quasi ein Abonnement für die Nationalmannschaft abgeschlossen zu haben. „Man wird sehen, wie viele Spiele er machen wird", sagte nun DFB-Torwarttrainer Andreas Köpke im Interview mit „Magenta Sport". Auf die harte Konkurrenz, die Alexander Nübel in Person von Manuel Neuer in München erwartet, angesprochen, sagte er: „Ich weiß nur von Manuel, dass er eigentlich jedes Spiel machen will." Sollte das „Riesentalent", wie Köpke Nübel bezeichnet, also mit der Bayern-Bank vorliebnehmen, sieht der DFB-Torwarttrainer für eine Zukunft in der Nationalelf schwarz: „Wer nicht spielt, kann nicht zur Nationalmannschaft. Das liegt auf der Hand."
Bundestrainer Joachim Löw sieht den Wechsel ebenfalls kritisch. „Grundsätzlich bin ich ein Befürworter davon, dass junge Spieler so viele Spielanteile wie möglich bekommen. So können sie sich besser entwickeln", sagte Löw beim Neujahrsempfang der Deutschen Fußball Liga (DFL): „Wenn ein Spieler mit 20, 21 Jahren zwei oder drei Jahre auf der Bank sitzt, weiß ich nicht, ob das nützlich ist." Und da ist dann noch die Situation auf Schalke. Das Eigengewächs Nübel, der zu einem Gesicht der neuen Generation hätte werden können, hat Vereinsumfeld und Fans verstimmt. Trainer David Wagner gibt sich gelassen. Zum Rückrundenstart ist Nübel ohnehin gesperrt, mit Markus Schubert steht die neue Nummer eins schon parat: „Das ist ein Thema, das aktuell für mich überhaupt nicht zur Debatte steht. Es ist klar, dass Schubi in den kommenden beiden Spielen gegen Borussia Mönchengladbach und Bayern München aufgrund der Rotsperre von Alex im Tor stehen wird", erklärte Wagner, der Schubert bei seinen beiden Einsätzen vor der Winterpause „sehr gute" Leistungen bescheinigte. „Und ich wünsche mir, dass er weiterhin so stark hält", so der 48-Jährige. „Was danach ist, wird sich zeigen. Da kann noch so viel passieren. Deshalb wäre es nicht sinnvoll, sich jetzt für irgendetwas zu entscheiden, das aktuell noch gar nicht zur Debatte steht." Ein Bekenntnis zu Nübel hört sich allerdings anders an.
„Eine absolut mutige Entscheidung"
Fest steht, dass Nübel die Königsblauen zukünftig nicht mehr als Kapitän auf den Rasen führen wird. Sein bisheriger Vertreter Omar Mascarell übernimmt die Binde in der Rückrunde. „Alex und ich haben uns gemeinsam darauf verständigt", sagte Wagner auf der Vereinshomepage. Man sei zu dem Entschluss gekommen, „dass es das Beste für die Mannschaft ist, wenn Alex künftig nicht mehr die Binde trägt, da es immer wieder zu Unruhen führen würde." Seinen Kapitän muss er also nicht mehr degradieren.