Die EU muss Libyen befrieden – braucht aber Russland und die Türkei
Berlin als Dreh- und Angelpunkt der Welt-Diplomatie. Die internationale Libyen-Konferenz in der deutschen Hauptstadt am Sonntag war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert.
Erstens: Bundeskanzlerin Angela Merkel konnte sich als Schrittmacherin bei der Lösung der völlig verfahrenen Libyen-Krise präsentieren. Merkel in der Mitte, um sie herum Russlands Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan sowie die Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Großbritannien und Italien. Insgesamt Spitzenvertreter aus 14 Ländern sowie von EU und UN. Ein multilaterales Stelldichein der besonderen Art. Keine Spur von den eher saft- und kraftlosen Auftritten der Kanzlerin in den vergangenen Monaten.
Die Bundesregierung gilt als ehrlicher Makler. Deutschland ist neutral, es hat keine Belastung durch eine koloniale Vergangenheit in Nordafrika. Zudem hatte sich die schwarz-gelbe Koalition 2011 klugerweise dem Nato-Einsatz gegen Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi entzogen.
Zweitens: Die USA schickten zwar Außenminister Mike Pompeo nach Berlin. Doch zur Entschärfung des Bürgerkriegs in Libyen steuerte der Amerikaner so gut wie nichts bei. Trotz der konfrontativen Rhetorik von Präsident Donald Trump: Die Vereinigten Staaten zelebrieren ihren Isolationismus. In vielen Teilen der Welt gibt es keine große militärische Präsenz mehr – weder im mit vielfältigen Konflikten aufgeladenen Nahen Osten noch in Nordafrika.
Drittens: Das Vakuum, das die USA hinterlassen, wird durch neue Akteure ausgefüllt. Putin und Erdogan sind nicht nur die großen Spieler in Syrien, sondern auch in Libyen. Es ist die eigentümliche Symbiose von zwei knallharten Machtpolitikern, die zum Teil unterschiedliche Kontrahenten unterstützen. Putin setzt in Libyen auf den abtrünnigen General Chalifa Haftar. Erdogan schickt dessen Erzfeind, Präsident Fajis al-Sarradsch, Soldaten. Trotz dieser durch tiefe Gegensätze geprägten Gefechtslage: Beide eint das Bestreben, ihren Einflussbereich nach Amerikas Rückzug auszuweiten.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Autokraten Putin und Erdogan der Berliner Libyen-Konferenz den Weg geebnet haben. Sie hatten die Streithähne al-Sarradsch und Haftar zuvor zu einer Waffenruhe gedrängt.
Das Berliner Treffen ist immerhin ein erster Schritt. Alle Teilnehmer hatten sich auf die Sicherung eines Waffenstillstands in Libyen verpflichtet. Zudem ist geplant, die zahlreichen Milizen zu entwaffnen und aufzulösen. Und: Keine Aufrüstung der Bürgerkriegsparteien. Notfalls soll dies mit einem scharfen Waffenembargo gewährleistet werden das über das seit 2011 geltende wachsweiche Verbot hinausgeht.
Angesichts der weitreichenden internationalen Verstrickungen in das öl- und gasreiche Libyen ist das nicht wenig. Hinter Haftar stehen neben Russland Frankreich, Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Al-Sarradsch wird von der UN anerkannt und hat neben der Türkei Italien und Katar auf seiner Seite.
Dennoch: Bislang ist die Berliner Einigung nur Papier. Sie muss jedoch umgesetzt werden. Dies ist vor allem ein Test für Europa. Versinkt Libyen noch weiter im Chaos, ist der Nachbarkontinent besonders betroffen. Nach UN-Angaben befinden sich derzeit zwischen 600.000 und einer Million Flüchtlinge in dem nordafrikanischen Land.
Die EU muss an einem politischen und an einem militärischen Hebel ansetzen. Zunächst sollte sie einen diplomatischen Prozess vorantreiben, der in Verhandlungen zwischen den Lagern um al-Sarradsch und Haftar mündet. Davon hängt alles andere ab. Ohne eine Befriedung wird sich die Lage in Libyen nicht beruhigen. Die Europäer müssten danach aber auch bereit sein, einen Stopp der Waffenlieferungen auf See militärisch zu überwachen. Die Neuauflage der ausgesetzten EU-Mission „Sophia" böte sich an. Vorausgesetzt, sie konzentriert sich nur auf die Einhaltung des Waffenembargos. Nähme sie auch die Rettung von Flüchtlingen in ihr Mandat, wäre sie angesichts der Spaltung der Europäer in dieser Frage zum Scheitern verurteilt.
Selbst dann braucht die EU aber die Mitwirkung maßgeblicher Akteure wie Russland oder die Türkei. Eine Garantie für die Lösung des Libyen-Konflikts ist dies alles nicht. Aber einen Versuch sollte es wert sein.