Nach dem Rücktritt von Laura Dahlmeier soll Denise Herrmann bei der Biathlon-Weltmeisterschaft für Erfolge des deutschen Teams sorgen. Doch sportlich unantastbar wie ihre Vorgängerin ist sie noch nicht.
Wegen der großen Belastungen hat Laura Dahlmeier vor neun Monaten ihre ruhmreiche Karriere als Biathletin beendet. Aber auch als TV-Expertin ist der Stressfaktor groß – vor der Weltmeisterschaft im italienischen Antholz (13. bis 23. Februar) ganz besonders. „Beim Kofferpacken dachte ich: Oh, nein, jetzt tue ich mir das schon wieder an – die Taschen, die Skier, das Gewehr, das ich für TV-Aufnahmen mitnehmen sollte", sagte die Doppel-Olympiasiegerin von 2018 im Interview mit der „Welt". „Ich war schon wieder in diesem Strudel drin. Es geht zwar nicht mehr um die sportliche Leistung, aber ich möchte natürlich trotzdem ordentlich auftreten."
Dahlmeier, die Perfektionistin. Am Mikrofon will die 26 Jahre alte Bayerin eine gute Figur abgeben und die Leistungen ihrer ehemaligen Teamkolleginnen objektiv bewerten, auch kritisieren. Beim Staffel-Debakel Ende des Jahres in Hochfilzen, als das Frauen-Quartett mit dem zwölften Platz das schlechteste Weltcup-Ergebnis eines deutschen Teams überhaupt eingefahren hatte, wollte Dahlmeier nur noch Trost spenden. Sie schicke „jede Menge ‚Good Vibes‘ und all die Kraft, die sie jetzt brauchen", schrieb Dahlmeier bei Facebook und erinnerte an die so erfolgreiche WM 2017, ebenfalls in Hochfilzen, wo das deutsche Team mit sieben Gold- und einer Silbermedaille die erfolgreichste Nation gewesen war: „Ihr wisst, wie es geht. Denkt einfach zurück."
„Wir konzentrieren uns jetzt nicht auf etwas, das war"
Denise Herrmann halfen Erinnerungen an 2017 nichts: Sie feierte nach ihrem Wechsel vom Skilanglauf zum Biathlon erst 2019 in Östersund ihre WM-Premiere – mit Gold (Verfolgung), Silber (Mixed-Staffel) und Bronze (Massenstart) allerdings auch höchst erfolgreich. Im Jahr eins nach dem Rücktritt von Dahlmeier soll nun Herrmann bei den Titelkämpfen in Antholz die Vorreiterrolle übernehmen. Unter Druck setzen lassen will sie sich aber nicht. „Ich bin schon ein paar Jahre dabei und glaube, dass man auf die Aufmerksamkeit nicht zu viel Wert legen sollte", sagte die 31-Jährige aus Oberwiesenthal. Das gestiegene Interesse nach ihrem starken Einzelsieg beim Weltcup in Pokljuka Ende Januar sei „zwar schön, aber auch riskant". Warum? „Weil man sich davon ablenken lassen kann", so Herrmann.
Diese Sorgen hat Mark Kirchner aber nicht, der Bundestrainer ist sich sicher: „Denise Herrmann wird dieses Jahr die absolute Frontfrau des Damenteams sein." Der frühere Weltklasse-Biathlet warnte aber davor, Herrmann mit der Ausnahmeathletin Dahlmeier zu vergleichen. „Laura hat enorme Erfolge eingefahren", weiß Kirchner. Herrmann kann an sehr guten Tagen eine Medaille gewinnen, Dahlmeier reichte dafür mitunter auch eine durchschnittliche Form. „Wir müssen nach vorne schauen, das haben die Mädels und die gesamte Mannschaft verdient", sagte Kirchner. Rücktritte wie die von Dahlmeier und davor von Magdalena Neuner, Uschi Disl, Kati Wilhelm und Andrea Henkel würden immer auch „neue Chancen eröffnen", so der Bundestrainer. „Wir konzentrieren uns jetzt nicht auf etwas, das war."
Sondern auf das, was ist. Und Stand jetzt fehlt im deutschen Team, das sich im Trainingslager in Ridnaun den WM-Feinschliff holte, die Konstanz. Auch Herrmann fiel zwei Tage nach ihrem Einzel-Triumph in Pokljuka im Massenstart auf Rang 15 zurück. „Ich habe es gemerkt", verriet Herrmann hinterher, „dass ich gerade nicht mehr im Vollbesitz meiner Kräfte war." Doch daran denkt die Sächsin lieber nicht mehr, sie will das Hochgefühl vom Einzel-Sieg („Fühlt sich wie ein Ritterschlag an") mit nach Südtirol nehmen. „Mit Blick auf die WM gibt das schon mehr Selbstvertrauen, wenn man auch trifft", sagte Herrmann.
Als ehemalige Langläuferin hat sie in der Loipe nie Probleme. Aber am Schießstand hapert es mitunter, deshalb waren die 20 Treffer bei 20 Schuss in Pokljuka ein mehr als willkommenes Ereignis. „Ich habe schon mit meiner Mama philosophiert, ob mir das überhaupt mal gelingt", verriet Herrmann hinterher lächelnd. Eine Nullfehlerrunde als gelernte Langläuferin hinzulegen sei „phänomenal", schwärmte auch Damen-Trainer Kristian Mehringer. Bei der WM werden Herrmann aber eher in den Disziplinen Medaillenchancen eingeräumt, in denen nur zweimal auf die Scheiben geschossen wird.
„Fühlt sich wie ein Ritterschlag an"
Bei Franziska Preuß ist es genau andersherum. „Läuferisch bin ich gerade nicht in Bestform, ich kann es leider nicht herzaubern", sagte die Staffel-Weltmeisterin von 2015, die in der Saison krankheitsbedingt öfters pausieren musste. Dafür sei sie aber froh, „dass das Schießen so gut klappt." Wenn es nach Rekord-Weltmeisterin Magdalena Neuner geht, könnte Preuß für eine WM-Überraschung sorgen. „Wenn die Franzi komplett gesund ist, mischt sie vorne mit", glaubt die zweimalige Olympiasiegerin. Für Neuner ist die 25-jährige Preuß „eine, die immer mal gute Chancen hat, vorne reinzulaufen".
Das trifft bei den Männern auch auf Benedikt Doll zu. Nicht nur sein zweiter Platz im Massenstart-Rennen von Pokljuka, sondern vor allem auch sein gewonnener Schlussspurt gegen Norwegens Biathlon-Superstar Johannes Thingnes Bö haben Dolls Selbstvertrauen gesteigert. „Wenn es jetzt so weitergeht", sagte der 29-Jährige mit Blick auf die WM, „kann ich wirklich auf eine Medaille schielen." Ex-Weltmeister Doll hat als einziger deutscher Skijäger in diesem Winter einen Weltcupsieg im Sprint vorzuweisen, für Olympiasieger Arnd Peiffer verlief die Saison eher durchwachsen. Doch abschreiben darf man den 32 Jahre alten Routinier nie.
Kurz vor dem WM-Start hat sich auch ein bislang Unbekannter in den Vordergrund geschoben: Philipp Nawrath. Der 26-Jährige aus Nesselwang legte mit den Plätzen vier und sieben in Ruhpolding ein glänzendes Weltcup-Debüt hin. Hinter Nawraths Erfolg steht auch Michael Greis. Der dreifache Olympiasieger trainiert derzeit zwar die polnischen Biathletinnen, ist zugleich aber auch so etwas wie ein persönlicher Coach von Nawrath. Beide kommen aus dem Allgäu, und Greis ist für Nawrath spätestens seit den Olympia-Triumphen 2006 ein Idol. „Mit zwölf Jahren habe ich seine Erfolge am Fernsehen mitverfolgt", sagte Nawrath. „Da war eine so riesige Euphorie, das hat mich gepackt." Mit den Trainingsplänen von Greis hat sich Nawrath sogar noch ein WM-Ticket für Südtirol gesichert. „Genial", sagte er, „das hätte ich mir nie erträumt."
Die WM-Norm verpasst hat dagegen Erik Lesser. Der zweimalige Weltmeister musste darauf hoffen, als Ersatzmann zum Saisonhöhepunkt mitgenommen zu werden. Die läuferischen Defizite waren für eine direkte Nominierung einfach zu groß. „Das ist für ganz vorne nicht gut genug", sagte Lesser ehrlich. „Dann braucht das Team nicht zwingend einen Erik Lesser."
Im Kampf um die Titel hätte Lesser ohnehin kein Wörtchen mitreden können. Bei den Männern wird ein heißer Zweikampf zwischen dem Franzosen Martin Fourcade und dem Norweger Bö erwartet. Bö setzte sich bei der Generalprobe über 20 Kilometer in Pokljuka nach einer fehlerfreien Schießleistung vor dem Weltcup-Führenden Fourcade durch. Der hatte die vier vergangenen Wettbewerbe in dieser Disziplin für sich entschieden – wohl aber nur, weil Bö wegen der Geburt seines ersten Kindes eine vierwöchige Pause eingelegt hatte.
Favoritinnen bei den Frauen sind Weltmeisterin und Olympiasiegerin Hanna Öberg aus Schweden sowie die Norwegerin Tiril Eckhoff. Und eben Denise Herrmann – wenn alles optimal läuft. Sie sei „positiv gestimmt", denn sie habe schließlich „schon gute Rennen gezeigt". Doch bei der WM muss Herrmann zusätzlich den Rummel um ihre Person verkraften. Als Nummer eins steht man vor allem bei den Biathlon-Frauen besonders im Blickpunkt.
„Nicht mehr so unberechenbar"
Keiner weiß das besser als Dahlmeier, das große Interesse der Öffentlichkeit an ihrer Person war ein Hauptgrund für ihren Rücktritt. Als TV-Expertin für das ZDF sind während der WM die Scheinwerfer zwar wieder auf Dahlmeier gerichtet – „aber es ist planbar, nicht mehr so extrem unberechenbar", sagt sie. „Wenn ich für das Fernsehen arbeite, weiß ich genau, in welchem Zeitraum ich vor der Kamera stehe." Magdalena Neuner, die für die ARD Biathlon-Rennen kommentiert, zeigt sich überrascht über Dahlmeiers TV-Ausflug. „Ich habe es nicht erwartet, weil ich immer gedacht hatte, dass Laura eine ist, die es jetzt nicht so gut kann mit Medien", sagte die zwölfmalige Weltmeisterin. Dahlmeiers Interviews seien zwar „immer gut", ergänzte Neuner, „aber ich habe immer das Gefühl, es ist nicht ihre Leidenschaft".