„Der böse Baal der asoziale" – das Berliner Ensemble hat ein frühes Stück von Bertolt Brecht grell und sehr verschlüsselt auf die Bühne gebracht. Mit einer sehenswerten Hauptdarstellerin: Stefanie Reinsperger.
m schwarzen Anzug, die Jacke hochgeschlossen, wie Brecht es liebte – so erhebt sich Baal im Kreis grotesk geschminkter Nackter und stößt seinen berühmten Monolog heraus: „Als im weißen Mutterschoße aufwuchs Baal/war der Himmel so groß und still und fahl." Die Nackten sind nicht wirklich nackt, sie tragen – Männer wie Frauen – durchsichtige Ganzkörperanzüge mit Brüsten, und Baal ist kein Kerl, sondern eine durchaus stämmige Frau: Stefanie Reinsperger. Ersan Mondtag, der Regisseur, liebt es, sein Publikum zu irritieren. Aber in diesem Fall hat er die richtige Schauspielerin gefunden für seinen Baal. Sie spielt den Lyriker, der als Bürgerschreck auftritt, sich betrinkt, tanzt, singt und am Ende verzweifelt untergeht, mit einer erdigen Wucht, die das ganze Stück trägt.
Die Regie liebt es, das Publikum zu irritieren
Da Baal selbst sagt „Nichts versteht man. Aber manches fühlt man", sei hier wenigstens eine kurze Inhaltsangabe vorausgeschickt: Baal ist ein junger Dichter. Er trägt zu Anfang seinem Gönner, dem Großkaufmann Mech, in einer angeheiterten Runde ein Gedicht vor. Alle sind begeistert und voller Bewunderung, aber Baal schert sich nicht darum, betrinkt sich, benimmt sich wie ein Rüpel und wird hinausgeworfen. Mechs Frau verliebt sich in ihn, er behandelt sie roh und abschätzig, schleppt sie in eine Branntweinschenke und zwingt sie, mit einem Kutscher intim zu werden. Johannes, ein glühender Bewunderer, stellt ihm seine wesentlich jüngere Freundin Johanna vor. Baal verführt und entjungfert sie. Als Johanna merkt, dass er sich nichts aus ihr macht, stürzt sie sich in den Tod. Dann gibt es noch Sophie, die er wohl einmal geliebt hat. Weil sie ihm lästig geworden ist, will er sie seinem Freund Ekart abtreten. („Was muss ich dir geben, dass du meine Frau nimmst?") Im Frühjahr verschwinden die beiden, ziehen über Land, betrügen und stehlen, wo es nur Schnaps gibt. Acht Jahre später – das Stück macht einen Zeitsprung – ersticht Baal Ekart im Streit. Baal selbst ist ausgebrannt, flüchtet sich zu Holzfällern und stirbt schließlich im Wald.
Die Nacktfiguren sind Baals Publikum, mal die katzbuckelnden Verleger, Kritiker, Bewunderer, mal die Holzfäller und auch mal die Kutscher. Auch wenn sie ihre clownshaften Kostüme überstreifen, bleiben sie in der Inszenierung merkwürdig gesichtslos, gendermäßig nicht einzuordnen, ohne Geschlecht. Immer wieder führen sie eine puppenhafte Choreografie auf, die an die kleinen chinesischen Winke-Kätzchen erinnert. Nur Ekart, sein treuer Kumpan, und die Mutter, die ihm bleich geschminkt ins Gewissen redet, gewinnen Kontur. Sie bewegen sich auf der Drehbühne in vier Kulissen, die der Regisseur selbst mitgestaltet hat: eine ins Rot gehaltene Bar mit Flaschen bis an die Decke, eine expressionistische Straße mit schiefen Häuserwänden, eine Art Kapelle, in der eine überlebensgroße nackte Barbie-Puppe mit Teufelshörnern und Penis steht, und eine Art düster angedeuteter, schwarzer Wald. Baal darf der Puppe den Penis abreißen, was Stefanie Reinsperger nach ein paar Hopsern auch gelingt.
Mondtag hat mit Genehmigung der Brecht-Erben versucht, vier Fassungen des „Baal" zusammenzubringen. Die erste Fassung von 1918 ist der Gegenentwurf zu Hanns Johsts Stück „Der Einsame", das von einem Dichter handelt, der am Unverständnis der Masse scheitert. Brecht kehrt das um: Sein erster Baal ist kein Idealist, sondern krasser Materialist. „Baal frißt! Baal tanzt! Baal verklärt sich!" lautete sein Titel, und Brecht zeigt einen hässlichen, verrohten Menschen, der nur dichten kann, wenn er säuft, und sofort versagt, wenn der Alkohol fehlt. Die zweite Fassung bezieht die gesellschaftliche Umgebung ein – sie handelt von einem Dichter, der das Bürgertum schockiert und seine Erwartungen unterläuft. Die dritte Fassung ist eine entschärfte Fassung für den Druck. Und die vierte verstärkt wiederum den antibürgerlichen Aspekt: Jetzt ist von den großen Städten die Rede, in denen der Mensch keine Chance mehr hat, seinen Individualismus auszuleben – Brecht versucht, das rattenhafte Dasein des modernen Menschen bewusst zu machen.
Abgrenzen lassen sich die Fassungen in der aktuellen Inszenierung kaum. Sie werden zusammengehalten von der erstklassigen Stefanie Reinsperger. Sie kann lässig sein, lässt ab und zu ihr Wienerisch aufleuchten, zündet sich wiederholt eine Zigarette an, schmettert – kurz vor der Pause – einen Song ins Publikum, der an die Dreigroschenoper erinnert, sie kreischt, lacht, windet sich am Boden. Und – so will es Brecht, so will es die Inszenierung – sie leidet. Denn Baal „ist ein Leidender, geistig leidend an der Welt, einer Gesellschaft, in die er nicht passt, und in einem Körper, der ihn quält", schreibt die künstlerische Beraterin Clara Topic-Matutin im Programmheft. „Ich will etwas gebären! Ich muss etwas gebären! … Warum wird dieses Werk nicht fertig, dieses gottgewollte, verfluchte, selige gefräßige!", schreit es aus ihr heraus, dabei formt sie aus einer Art Lehm so etwas wie eine plumpe Figur, die sie gleich zertrampelt. Baal, der Asoziale, in einer asozialen Gesellschaft.
Umwerfend komödiantisches Talent
Reinsperger aber wäre wohl die unvermischte zweite Fassung am liebsten gewesen, der hemmungslose, der böse, unbeherrschte und wilde Baal. Die 2015 als beste Nachwuchsschauspielerin und gleichzeitig als Schauspielerin des Jahres ausgezeichnete Aktrice steht auch als Max im Stück „Max und Moritz" auf der Bühne. Sie hat ein umwerfend komödiantisches Talent, das merkt man ihr auch in dem ganzen Ernst des „Baal" an. Schade, dass die Inszenierung so viel Wert legt auf die himmelhohen Bühnenelemente, die grotesken Verkleidungen und die rhythmischen Sprechgesang-Einlagen, statt den Text in den Vordergrund zu stellen.
1954 schrieb Brecht, das Stück werde den nicht dialektisch Geschulten Schwierigkeiten bereiten. „Hier setzt sich ein ‚Ich‘ gegen Zumutungen und Entmutigungen einer Welt, die nicht eine ausnutzbare, sondern nur eine ausbeutbare Produktivität anerkennt." Baal wehre sich nicht gegen die „Verwertung", sondern gegen die „Verwurstung" seiner Talente. Aber nachdem er betont, er habe die erste und die letzte Szene wieder so hergestellt, wie sie in der ersten Niederschrift waren, merkt er an: „Ich gebe zu (und warne): Dem Stück fehlt Weisheit …"